Orthodoxe Kirchen in der Ukraine beeinflusst von Krieg

"Selber sehr verstrickt"

An der ukrainischen Kirche ist der Krieg im vergangenen Jahr nicht spurlos vorüber gegangen. Der Status Quo ist verwirrend. Theologin und Osteuropaexpertin Regina Elsner gibt Orientierung.

Zerstörte Kirche in der Ukraine / © Evgeniy Maloletka (dpa)
Zerstörte Kirche in der Ukraine / © Evgeniy Maloletka ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die meisten Gläubigen in der Ukraine sind orthodox. Gehen wir doch mal kurz in die Zeit vor dem Krieg. Wie war da die Ausgangslage? Welche Kirchen gab es da?

Regina Elsner (privat)

Dr. Regina Elsner (Theologin und Osteuropaexpertin): Es gibt in der Ukraine mehrere orthodoxe Kirchen. Es gab lange Zeit drei, seit 2018/2019 gibt es eigentlich zwei orthodoxe Kirchen. Einmal die Ukrainische Orthodoxe Kirche. Das ist eine Kirche, die immer in Gemeinschaft mit Moskau stand, zum Moskauer Patriarchat gehört, aber gleichzeitig selbstständig ist innerhalb dieser Kirche.

Und dann gab es da seit 2019 die orthodoxe Kirche der Ukraine, die unabhängig ist und die vom Patriarchen in Konstantinopel, in Istanbul, vom Ökumenischen Patriarchen anerkannt wurde. Und diese beiden Kirchen erkennen sich gegenseitig nicht an, sie stehen in Konkurrenz miteinander. Und diese Entwicklung innerhalb der Orthodoxie in der Ukraine ist auch ein wichtiger Faktor in diesem Krieg und auch in der Art und Weise, wie Russland und die russische Kirche auf diesen Krieg guckt.

DOMRADIO.DE: Was hat sich jetzt in diesem einen Jahr geändert? Da gab es zwischendurch durchaus Zwist und Spaltung.

Christliche Kirchen in der Ukraine

Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine.

Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny (KNA)
Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny ( KNA )

Elsner: Die Kirchen wurden natürlich auch daran gemessen, in diesem Krieg, wie sehr sie sich loyal verhalten zur Ukraine. Dieses Thema, wie ukrainisch eine Kirche ist, hat die beiden Kirchen schon vorher gegeneinander aufgebracht, weil man der Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört, immer vorgeworfen hat, russische Interessen zu vertreten. Das hat sich in diesem Krieg natürlich zugespitzt. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche hat sich im Mai 2022 für vollständig unabhängig von Moskau erklärt. Vorher gab es schon in den Gemeinden großen Widerstand gegen das, was die russisch-orthodoxe Kirche gesagt und getan hat in diesem Krieg. Man hat also schon auch unter den Gläubigen gemerkt, man will mit dieser Kirche eigentlich nichts mehr zu tun haben in Moskau. Aber der Trennungsprozess ist kompliziert. Auch die anderen orthodoxen Gläubigen in der Ukraine sind nach wie vor nicht davon überzeugt, dass diese Kirche wirklich keine russischen Interessen mehr vertritt. Es ist in diesem Krieg natürlich auch entscheidend für die Menschen, wie man zu diesem russischen Aggressor steht.

DOMRADIO.DE: Im Mai ereignete sich die völlige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, die die Ukrainische Orthodoxe Kirche von Moskau erklärt hat. Diese Abspaltung ist kirchenrechtlich auch nicht unproblematisch. Warum?

Elsner: Das Kirchenrecht ist an der Stelle einfach wirklich sehr kompliziert. Man sagt, dass eine Kirche erst dann vollständig unabhängig ist, wenn sie sich als autokephal bezeichnet. Das ist ein Fachbegriff, der manchen Menschen nach in solchen Erklärungen vorkommen muss. Und dieser Begriff kommt nicht vor in der Erklärung vom Mai 2022 und deswegen werfen viele Leute dieser Kirche nach wie vor vor, dass sie das nur getan hat, um ihre Gläubigen nicht zu verlieren, aber eigentlich doch noch mit Moskau in Verbindung steht. Man sieht nicht wirklich die Ernsthaftigkeit der Trennung in diesem Moment, weil man das so sehr an diesem kirchenrechtlichen Terminus Autokephalie festmacht.

Patriarch Kyrill I. / © Natalia Gileva (KNA)
Patriarch Kyrill I. / © Natalia Gileva ( KNA )

DOMRADIO.DE: Patriarch Kyrill I. vermischt ja ganz klar Kirche und Politik. Zum Beispiel verklärt er den Tod russischer Soldaten als Märtyrertod oder er legitimiert öffentlich Präsident Putins Angriffsbefehle. Ist das bei den ukrainischen Geistlichen in einer ähnlichen Weise zu beobachten. Äußern die sich auch politisch? Wie sehen Sie das?

Elsner: Das ist sehr unterschiedlich in den verschiedenen Kirchen. Zum einen ist die orthodoxe Kirche der Ukraine sehr viel stärker in ihrer ukrainischen Identität, das heißt, sie ist sehr viel deutlicher für die Ukraine, auch für die ukrainische Armee. Sie ist sehr, sehr deutlich und natürlich dann auch schon wieder politisch.

In der Ukrainischen Orthodoxen Kirche versucht man zum einen, sich sehr politisch zurückzuhalten und ausdrücklich nicht politisch zu reden. Und gleichzeitig gibt es in dieser Kirche aber auch eindeutig nachgewiesene Kollaboration, wo also Bischöfe durchaus genau so reden wie der Patriarch von Moskau. Es ist also sehr verschieden, sehr unterschiedlich und schwer unter einen Hut zu kriegen. Insgesamt würde ich aber sagen: Was in der Ukraine vollständig fehlt, ist die Sakralisierung dieses Kampfes. Dass man also sagt, die ukrainische Armee kämpft hier im heiligen Sinne gegen den russischen Aggressor, diese Sakralisierung fehlt in der Ukraine vollständig.

DOMRADIO.DE: Welche Vision könnten die Kirchen aus Ihrer Sicht in der Zukunft verfolgen? Könnten sie zum Beispiel vermittelnde Positionen einnehmen, möglichen Friedensverhandlungen Gewicht verleihen?

Elsner: Ich bin da sehr skeptisch, was das Internationale angeht. Zwischen Russland und der Ukraine können Kirchen eigentlich keine vermittelnde Funktion einnehmen, weil sie selber sehr verstrickt sind in diesen Krieg, weil sie Teil der Ideologie auch geworden sind. Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Ich sehe aber schon die Chance gerade in der Ukraine, dass die orthodoxen Kirchen und Gläubigen dort sehr viel tun können für die Versöhnung innerhalb der Ukraine, für eine Gesellschaft, die im Reinen mit sich selber ist, auch mit ihrer orthodoxen Identität. Da könnten diese beiden Kirchen, die jetzt so weit voneinander entfernt sind, sehr viel tun für die Vereinigung der Gesellschaft, für die Einheit der ukrainischen Gesellschaft und auch für die Zukunft dieser Gesellschaft.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine

Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny (KNA)
Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
DR