Ökumenischer Literaturpreis für mexikanische Autorin

Die Magie des Realismus

Mammutjäger als literarisches Vorbild: Bestseller-Autorin Sabina Berman verblüfft mit eigenwilligen Einsichten zum trügerischen Gebrauch der Sprache. Schnörkellos hält die Mexikanerin mit polnisch-jüdischen Wurzeln der modernen Welt den Spiegel vor. Dafür wird sie nun mit dem "LiBeraturpreis" geehrt.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Wer von lateinamerikanischen Literaten Blumiges oder Schwülstiges erwartet, wird im Gespräch mit Sabina Berman bereits in den ersten Sekunden enttäuscht. Klar, schnörkellos und darum oft provokativ kommt die Mexikanerin, die am Sonntag in Frankfurt am Main den "LiBeraturpreis" erhält, sofort zur Sache. "Ich schreibe für die Höhlenmenschen", sagt die 57-Jährige. "Keine Künstlichkeit, keine Metaphern, keine Schönfärbereien."



Berman wird für ihren Bestseller ausgezeichnet: "Die Frau, die ins Innerste der Welt tauchte". Das bisher in elf Sprachen übersetzte Buch ist zugleich ihr erstes Werk, das auf Deutsch erschien. Darin demonstriert Berman die Kraft einer auf das Wesentliche reduzierten Sprache. Fiktive Ich-Erzählerin und Protagonistin des Romans ist Karen, eine autistische junge Frau. Dank glücklicher Fügung macht sie im internationalen Business Karriere und entblößt zugleich mit ihrer eigenwilligen Weltsicht die Logik des Profits. "Bei jeder Redewendung und jeder Metapher muss Karen ihren iPad benutzen und herausfinden, was gemeint ist", sagt Berman über ihre Hauptfigur. "Diese Situation kenne ich selbst sehr gut."



25. Preisvergabe

Bermans Misstrauen in die Sprache gründet in ihren Erfahrungen in ihrem Land. "In Mexiko bist du verloren, wenn du dem Gesagten nicht ständig misstraust." Der Boden für den oft trügerischen und betrügerischen Gebrauch der Sprache wurde ihrer Ansicht nach in Mexiko bereits mit der Eroberung durch die Spanier vor 500 Jahren gelegt.



Die Staatspartei PRI, die mehr als sieben Jahrzehnte bis zum Jahr 2000 autoritär regierte, habe diesen Stil perfektioniert. "Nach jeder Ansprache des Präsidenten verbrachten wir Stunden damit herauszufinden, was wirklich gemeint war, sagt Berman. Zugleich blickt sie skeptisch auf den kommenden Präsidenten Enrique Peña Nieto, mit dem die PRI nach zwölf Jahren Opposition an die Macht zurückkehrt. Ihre Befürchtung: Peña Nieto werde Mexiko wieder in die "wunderbare und unendliche Welt der Simulation versenken".



Der LiBeraturpreis wird vom Ökumenischen Zentrum Christuskirche in Frankfurt zum 25. Mal an eine Autorin aus einem Entwicklungs- und Schwellenland vergeben, die neu auf dem deutschsprachigen Buchmarkt sind. Der Preis ist mit symbolischen 500 Euro und einer Einladung zur Buchmesse verbunden.



"Wir sind die sprechenden Affen"

Berman ist Essayistin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Sie wurde in Mexiko bereits mehrfach preisgekrönt. Ihre Theaterstücke und Filme werden im gesamten amerikanischen Kontinent gezeigt. Ihre erste Auszeichnung in Deutschland hat für die studierte Psychologin eine besondere Note: Berman ist die Tochter polnisch-jüdischer Einwanderer, die vor den Nazis nach Lateinamerika geflohen waren. Sie besuchte in Mexiko-Stadt jüdische Schulen, in denen der Holocaust ein ständiges Thema war. Ihre erste Auslandsreise vor rund 30 Jahren unternahm sie darum nach Deutschland, getrieben von dem Wunsch, die Geschichte zu verstehen. Dort fand sie eine unerwartete Vertrautheit vor.



"Die gegenwärtige deutsche Kultur ist vom Holocaust ausgehend konstruiert. Meine auch", resümiert Berman. "Sowohl Juden als auch die Deutschen wissen, dass die Kultur zusammenstürzen und in die Barbarei münden kann, ganz schnell. Wir teilen darum gewisse Glaubenssätze, so etwa, dass die Annehmlichkeit des zivilisierten Lebens verteidigt werden muss."



Verteidigt wird die Zivilisation bei Berman mit der Sprache. "Wir sind die sprechenden Affen", sagt sie. Vorbild sind für sie darum die Höhlenmenschen, die dank effizienter Kommunikation erfolgreich Mammuts jagten. In diesem Sinn fordert Berman eine Sprache, die die Realität bewältigen hilft, und nicht eine, die falsche Realitäten vorgaukelt. Lachend erlaubt sich die Sprachpuristin zuletzt doch noch eine Metapher zu ihrer Schreibtechnik: "Zwei Fäden von Mammutblut rinnen aus meinen Mundwinkeln und beflecken die geschriebenen Worte."