DOMRADIO.DE: Das Papier soll eine Einladung zum Gespräch über eine zeitgemäße Sexualpädagogik sein. So hat es der zuständige Bischof Hermann Glettler aus Innsbruck bei der Vorstellung gesagt. "Denn gemeinsam sind wir dem Leben und der Liebe verpflichtet.“ Wenn man Sexualität als positive Lebenskraft bewertet, ist man dann mit dem Papier auf einer Linie?
Klaus Prömpers (Journalist mit Schwerpunkt auf Kirchengeschehen in Österreich): Im Prinzip ja. Aber man muss natürlich sehen, dass das innerhalb der Kirche wahrscheinlich noch ein umstrittener Punkt ist. Obwohl man sagen muss, dass es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, den Versuch der Kirche gibt, sich der Sexualität nicht nur als Reproduktionsort, also als Gebärmaschine zuzuwenden, sondern auch die Lust dessen, was da vollzogen werden kann zwischen Mann und Frau zu sehen.
Das stellt dieses Papier stärker in den Vordergrund und versucht in der Richtung zu argumentieren und den Menschen zu helfen, einen neuen Zugang zu finden und gleichzeitig Anschluss an die aktuelle Diskussion zu finden.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist Kirche und Sexualität immer so eine Sache. Will denn die Österreichische Bischofskonferenz mit dieser Broschüre auch so etwas zeigen, wie: Man kann mit uns reden?
Prömpers: Das auf jeden Fall. Und sie will sowohl den Eltern der Kinder, als auch den Jugendlichen, als auch den Lehrern, die das als Sexualpädagogen in der Schule sehr häufig betrifft, sagen: Wir sind da bei euch. Und wir sind nicht allem gegenüber ablehnend, sondern wir sagen nur: Bestimmte Moralvorstellungen der Kirche gelten nach wie vor. Also beispielsweise der Schutz des Lebens. Daneben kann es aber natürlich auch Sexualität mit Lust verbunden geben, ohne dass man gleich Kinder will.
DOMRADIO.DE: An wen richtet sich das Heftchen genau?
Prömpers: Das geht im Grunde an alle, die es interessiert. An Jugendliche wie Eltern, Lehrer, Erzieher, Jugendgruppenleiterinnen und Jugendgruppenleiter. Also alle, die sich damit in ihrem Alltag befassen. Und das sind insbesondere dann natürlich Jugendliche und Eltern und Lehrer. Aber eben auch Jugendgruppen innerhalb der Kirche, die sich immer wieder damit befassen und versuchen, das, was zunächst von vielen Jugendlichen als enger Rahmen gesehen wird, ein bisschen auszuweiten und auf den Boden der Tatsachen zu stellen; und auch auf den Boden des Evangeliums zu stellen.
Denn im Evangelium ist beispielsweise ja nichts Abfälliges über Homosexualität gesagt, sondern, wie Papst Franziskus auch in seinem Schreiben "Amoris Laetitia“ gesagt hat: Liebe ist mehr als nur Vermehrung, und Liebe ist mehr als nur Zuwendung zu dem Glücklichen, sondern Liebe ist auch dann gültig, wenn es um Unglück oder um Schwierigkeiten geht - also etwas Unvermeidliches.
Ich finde sehr schön den Satz, der im Papier steht: "Die Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften und zugleich die grundsätzliche Ermutigung, Kindern, Jugendlichen das Leben zu schenken, gehören für unsere eigene christliche Sexualpädagogik jedenfalls zusammen." Aber das ist nicht ausschließlich der Punkt dieses Papiers.
DOMRADIO.DE: Geht es auch um eine altersgerechte Sexualerziehung, die auch einer wissenschaftlichen Einordnung folgt? Hat man sich damit auch beschäftigt?
Prömpers: Das ist im Grunde vorsichtig angedeutet. Wenn man die Entwicklung der Biologie ansieht, muss man ja sagen, dass man mittlerweile andere Einstellungen haben kann, muss und sollte. Beispielsweise gegenüber den Schwulen und Lesben, die auch in der Kirche gerne andocken würden, aber doch häufig zurückgewiesen werden. Es bestehen teils sehr alte Vorstellungen darüber, was Sexualität bedeuten kann und muss oder soll. Und da öffnet sich das Papier ganz vorsichtig, ohne die Konservativen ganz vor den Kopf zu stoßen.
DOMRADIO.DE: Also das heißt die ganze LGBTQ+ usw. Menschen sind durchaus mit erwähnt?
Prömpers: Mit angesprochen, indirekt. Nicht ausdrücklich mit diesem Begriff, wie wir ihn aus der öffentlichen Diskussion kennen. Aber man sagt eben, dass Sexualität und Lust verbunden sein können, auch mit anderen Formen als nur zur Reproduktion. Und das macht meines Erachtens auch die Türe auf dafür, dass man anerkennt: Es gibt Menschen, die homosexuell empfinden. Und von daher muss man auch die achten und sollte sie nicht an der Kirchentür zurückstoßen.
DOMRADIO.DE: Wenn die Worte Sexualität und Kirche in einem Atemzug fallen, dann ist man sehr schnell auch bei dem Thema sexueller Missbrauch. Der, wie wir ja wissen, von Geistlichen überall begangen worden ist und vielleicht auch noch wird; den die Kirche seit Jahrzehnten versucht aufzuarbeiten. Spielt das in dem Papier auch eine Rolle?
Prömpers: Das wird im Grunde umgangen, denke ich. Und das ist in dem Zusammenhang auch nicht unberechtigt. Denn die katholische Kirche in Österreich hat doch sehr früh sehr vieles mit Aufklärung, Aufarbeitung, Schadensersatz und Schmerzensgeld geleistet. Mit einer Kommission, die, geleitet von einer Frau, versucht hat, den Opfern entgegenzukommen.
Natürlich sind nicht alle Täter wirklich erfasst worden und gar nicht alle Täter bestraft worden, weil Teile der Täterschaft natürlich auch schon verstorben waren, als das aufgedeckt wurde. Aber da hat die katholische Kirche in Österreich keinen so riesigen Nachholbedarf wie an anderen Stellen, denke ich. Deswegen ist das nicht eigens erwähnt.
Aber das schwingt sicher mit bei der Erstellung des Papiers, das seit 2020/21 vom Institut für Ehe und Familie erarbeitet wurde und nun von der Bischofskonferenz, wenn man so will, abgesegnet und vorgestellt worden ist, mit der Haltung vom zuständigen Bischof Glettler aus Innsbruck, der ohnehin in den Kreisen der Bischofskonferenz und der Katholiken als ein kunstsinniger und gleichzeitig sehr aufgeschlossener, noch vergleichsweise junger Bischof gilt.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.