DOMRADIO.DE: Was ist der Verdienst der katholischen Soziallehre im Hinblick auf die Bewältigung der Pandemie?
Karl-Josef Laumann (CDU-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW): Ich glaube, dass vor allem die soziale Sicherung, die wir in Deutschland haben – organisiert über Sozialversicherungen; die wären ja ohne die katholische Soziallehre gar nicht entstanden –, einen Schutzschild geboten hat und auch in dieser Pandemie standgehalten hat; selbst die Krankenkassen, die ja sehr stark gefordert waren.
Wir können auch sagen, dass Unternehmen, in denen es eine gute Sozialpartnerschaft gibt, wesentlich stärker aus der Pandemie herausgekommen sind, als die, bei denen es das gar nicht gibt; weil man sich eben untergehakt hat, weil man aufeinander Rücksicht genommen hat, weil man den Sozialausgleich geschaffen hat.
Und natürlich müssen wir auch mal ganz klar sehen, die Pandemie wäre ohne unsere Familien im Chaos verlaufen. Denn der Staat war, um Kontakte zu reduzieren, gezwungen, sich aus vielen Betreuungsangeboten zurückzuziehen. Sowohl für die Kinder war das eine Herausforderung, für die Schüler, aber auch für viele behinderte Menschen, für pflegebedürftige Menschen.
Dadurch, dass der Staat die Einrichtungen nicht betrieben hat, um Kontakte zu vermeiden, waren ja die Menschen alle noch da. Das haben die Familien natürlich aufgefangen und zwar nicht nur – wo so viel darüber geredet wird – im Bereich von Kita und Schule, sondern sie haben es auch sehr stark im Bereich von Pflegebedürftigkeit aufgefangen oder etwa der Betreuung von Menschen, die bislang auf eine Struktur – etwa in Behindertenwerkstätten – zugreifen konnten.
DOMRADIO.DE: Das katholische traditionelle Familienbild hat durchaus Schwierigkeiten, in der heutigen Gesellschaft Stand zu halten, weil ja auch viele in einer Patchworkfamilie leben oder in einer anders geformten Beziehung. Wie können diese Zusammensetzungen von Familie gestärkt werden, auch im Hinblick auf die Pandemie, auf Soziales?
Laumann: Ich vertrete heute als CDU-Politiker folgenden Familienbegriff: Dort, wo Erwachsene Verantwortung für Kinder übernehmen oder auch Kinder Verantwortung für Erwachsene übernehmen, ist Familie. Als Politiker kann ich jetzt nicht sagen, dass nur die Frage von Ehe und Familie die Grundlage ist, sondern, dass es eben auch andere "Zusammenleben-Modelle" gibt, die auch auf Langfristigkeit, auf Beständigkeit angelegt sind, im Übrigen auch von unterschiedlichen sexuellen Veranlagungen her, die ja auch unterschiedlich sind und trotzdem auf Verlässlichkeit angelegt sind.
Aber es ist doch eine ganz wichtige Sache: Wir privilegieren Familien im Wesentlichen darüber, dass sie gemeinsam veranlagt werden und dass der Staat einsieht, dass die Ehe und die Familie eine Wirtschaftseinheit sind. Und das möchte ich nicht aufgeben.
Man kann meinetwegen Ehe noch auf andere Bündnisse beziehen. Aber sie abzuschaffen, das geht nicht. Denn die Pandemie hat gezeigt, Familien sind wirklich der verlässlichste Pfeiler, den wir in dieser Gesellschaft haben, und zwar Familie so definiert, wie ich es gerade getan habe.
DOMRADIO.DE: Ecken Sie da auch in der eigenen Partei bzw. auch bei Ihren kirchlichen Verbündeten ab und zu mal an? Der Familien-Begriff oder die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden ja heiß diskutiert...
Laumann: Ich glaube, dass Kirche das gute Recht hat, aus ihrer Sicht heraus die Sache zu definieren. Ich würde mir, was etwa die Segnung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften angeht, wo nicht Mann und Frau zusammenleben, wünschen, dass die Kirche sich dort auch ein stückweit verändert. Aber das ist meine Privatmeinung.
Ich glaube einfach, dass die Pandemie – darauf will ich eigentlich hinaus – sehr verlässlich gezeigt hat, wie wichtig beständige Lebensgemeinschaften sind. Und die Ehe ist eine besondere Beständigkeit. Deswegen ist auch die Privilegierung von Ehe und Familie in der heutigen Zeit wichtig, finde ich. Das hat die Pandemie uns gezeigt.
DOMRADIO.DE: Beim Thema der katholischen Soziallehre, sagen Sie, sind Sie meist parteipolitisch der einzige Vertreter, der diese Positionen vertritt. In den anderen Parteien sei davon wenig zu spüren. Wo merkt man denn ganz besonders, dass die CDU eine Partei der katholischen Soziallehre ist?
Laumann: Ich glaube, dass man es vor allen Dingen daran merkt, dass die CDU eine Volkspartei ist, dass sie wirklich in den vielen Jahren nachweisen kann, wo sie jetzt im Nachkriegsdeutschland die gestaltendste politische Kraft war, dass wir unsere Politik am Allgemeinwohl orientieren und nicht an Einzelinteressen.
Kerngedanke dessen, wie wir uns als Union eine Gesellschaft vorstellen, ist ja, dass der Staat, die Wirtschaft, aber auch die Institutionen für die Menschen eine dienende Funktion haben.
Ich stelle in meinem praktischen politischen Leben ganz oft fest, dass man ab und zu auch mal sagen muss: Leute, denkt dran, Krankenhäuser sind für kranke Leute da. Die Ämter, die sich um die Arbeitslosen kümmern, sind für die Arbeitslosen da und nicht die Arbeitslosen umgekehrt für die Ämter usw. Oft neigen die Institutionen nämlich dazu, irgendwann auch ein bisschen selbstgefällig zu werden.
Das zweite ist, dass Politik eben keine Einzelinteressen bedienen darf. Die CDU darf nicht eine Wirtschaftspartei sein. Sie darf aber auch keine Arbeiterpartei sein, sondern sie muss eben beides miteinander verbinden.
Und das Spannende in den nächsten Jahren wird sein, wie wir neben dem Ausgleich zwischen Wirtschaft und Sozialem die Komponente der Klimaneutralität, also der CO2-Neutralität hinzuzufügen.
DOMRADIO.DE: Jetzt sind die Umfragewerte ihrer Partei momentan wenig rosig im gegenwärtigen Wahlkampf. Liegt es am Programm oder am Kandidaten?
Laumann: Ich glaube, die CDU muss jetzt einfach ganz entschieden kämpfen. Und da gucken wir mal, ob die Träume, die manche Journalisten haben – "Hauptsache die CDU ist aus der Regierung" – stattfinden. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich da einfach eine veröffentlichte Meinung gegen die CDU aufgetan hat, die sich wünscht, dass wir nach so vielen Jahren einfach aus der Regierung verschwinden.
Warten wir es mal ab. Ich finde, wir haben einen guten Kanzlerkandidaten. Wir haben gute Kandidaten in den Wahlkreisen und wir haben ein überzeugendes Programm. Und dafür kämpfen wir bis zum 26. September um 18 Uhr.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.
Vorher hielt Karl-Josef Laumann im Rahmen eines Festaktes zum diesjährigen Gedenken an Joseph Kardinal Höffner einen Vortrag zum Thema "Christliche Sozialethik - Wegweiser für die Zeit nach Corona".