DOMRADIO.DE: Nach der Rückkehr von Olympia haben Sie von der außergewöhnlichen Atmosphäre geschwärmt, von der frohen, friedlichen Stimmung. Jetzt beginnen heute die Paralympics in Paris, die Sommerspiele für Menschen mit körperlicher Behinderung. Was für eine Stimmungslage erwartet Sie diesmal?
Elisabeth Keilmann (Sport- und Olympia-Seelsorgerin der Deutschen Bischofskonferenz): Ich muss sagen, die Atmosphäre war wirklich besonders. Jetzt freue ich mich auf die Paralympischen Spiele, auf viele Begegnungen und Gespräche. Ich wünsche mir, dass es ein einzigartiges, unvergessliches und friedliches Sportfest mit fairen Wettkämpfen wird.
Wir waren gestern zum Beispiel im Athletendorf und haben dort Parasportlerinnen und -sportler und die Delegationsleitung getroffen. Die Stimmung im Team der Paralympics war einfach großartig. Alle freuen sich, dass es jetzt losgeht.
DOMRADIO.DE: Zusammen mit dem evangelischen Paralympics-Pfarrer Christian Bode werden Sie wieder Seelsorge anbieten. Läuft das anders? Sind die Aufgaben vergleichbar mit den Olympischen Spielen?
Keilmann: Ja, die Aufgaben sind vergleichbar. Wie bei den Olympischen Spielen sind wir rund um die Uhr für die gesamte deutsche Mannschaft erreichbar und stehen auch in Krisenfällen zur Verfügung. Aber auch abseits von Notfällen können wir im Deutschen Haus die Teammitglieder treffen und haben dort Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, ins Gespräch zu kommen. Wir sind also mittendrin.
Neben diesen Gesprächen schaffen wir Gelegenheiten, einmal zur Ruhe zu kommen, Eindrücke auszutauschen und Kraft für die nächsten Tage zu finden. Wir feiern zum Beispiel am Sonntag einen Gottesdienst im Deutschen Haus. Jeden Freitag gibt es außerdem eine Auszeit im Paralympischen Dorf.
Des Weiteren haben wir Impulse vorbereitet, die auch dem Team direkt im Bereich Seelsorge zur Verfügung stehen. Die können jeden Tag abgerufen werden. Die Sportlerinnen und Sportler haben die Möglichkeit, mit einem Bibelvers, einen kurzen Text oder einen Segen in den Tag zu starten.
DOMRADIO.DE: Paris möchte durch die Paralympics zu einer größeren Wahrnehmung von Inklusion beitragen. Ist die Stadt da auf dem richtigen Weg oder hapert es noch?
Keilmann: Ja, ich nehme das auch wahr, dass sie zu einer größeren Wahrnehmung beitragen möchte. Ich habe sehr positiv wahrgenommen, dass die olympischen und paralympischen Symbole auf transparenten Hinweisschildern oder auf den Metro-Pfeilern immer nebeneinander zu sehen sind, so wie eine Einheit. Es wird immer von den Spielen gesprochen.
Gestern habe ich in der Metrostation ein Plakat gesehen, auf dem Stand: "Game is not over". Sie verstehen das wirklich als eine Einheit. Auch die Diözese Paris widmet sich dem Thema Menschen mit Handicap. Wir werden gleich zum Beispiel eine heilige Messe in "La Madeleine" zur Eröffnung der Paralympics mitfeiern. Das finde ich schon großartig.
Allerdings habe ich die Barrierefreiheit als ein Problem wahrgenommen. Im Gegensatz zu den Wettkampfstätten sind die Zugänge zur Metro leider nicht barrierefrei. So kann nicht jeder Athlet, jede Athletin oder Zuschauer ohne Weiteres die Station passieren.
DOMRADIO.DE: Die Paralympics sollen uns im Grunde alle inspirieren, Unterschiede bei den Menschen zu akzeptieren und im besten Fall auch diese als Stärke zu nutzen. Wo stehen wir da im Jahr 2024 aus Ihrer Sicht?
Keilmann: Ich glaube, in den letzten Jahren ist schon einiges passiert und ich nehme auch wahr - ich bin jetzt noch mal beim Sport - das sportliche Großereignisse mit Menschen mit Handicap eine Vorbildfunktion haben können. Sportlerinnen und Sportler zeigen, was in ihnen steckt, was alles möglich ist.
Das kann natürlich ein Antrieb für die Gesellschaft sein, wenn es zum Beispiel um gleichberechtigte Chancen in Bezug auf alle Lebensbereiche geht, sei es für Bildung, für Arbeit oder Freizeit. Ich hoffe sehr, dass die Spiele jetzt noch zu mehr Bewusstsein führen.
Es geht um gleichberechtigte Teilhabe. Mich stimmt es sehr positiv, dass das mediale Interesse gewachsen ist. Handlungsbedarf sehe ich aber noch bei der Barrierefreiheit oder bei dem Sport, bei inklusiven Sportstätten und insgesamt noch mal bei der Förderung gesellschaftlicher Teilhabe.
Es muss ein langfristiges Ziel der Inklusion sein, dass Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich, nicht nur gemeinsam Sport treiben, sondern auch gemeinsam miteinander leben.
DOMRADIO.DE: Die Olympischen Spiele und die Paralympics werden zusammen gesehen, aber sie werden immer noch getrennt ausgetragen. Da gibt es jetzt Forderungen, die Spiele gemeinsam laufen zu lassen. Wäre das nicht das richtige Zeichen, um auch den paralympischen Sportlern mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Keilmann: Ja, das ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Diese Frage gibt es schon länger. Warum werden die Olympischen und Paralympischen Spiele nicht zusammen veranstaltet und es gibt eine spannende Diskussion dazu.
Das Positive ist, das Thema Inklusion wird damit natürlich transportiert. Eine Zusammenlegung wäre inklusiv und hört sich plausibel an. Es hat zum Beispiel bei den Olympischen Spielen eine Parasportlerin, eine einarmige brasilianische Tischtennisspielerin teilgenommen. Das geht schon.
Aber trotzdem bleibt die Frage, wie realistisch ist dies zu verwirklichen? Da gibt es viele Hürden, die noch überwunden werden müssen. Inklusion hat viele Facetten. Wie ist die Vergleichbarkeit mit Leistung? Da gibt es die Klassifizierungssysteme. Es gibt die Debatte über Gerechtigkeit und Fairness, Logistik und Organisation. Vielleicht - das wünschen wir uns - gibt es irgendwann dazu auch eine gute Lösung.
Das Interview führte Tobias Fricke.