Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye will ihren Glauben zeigen

"Es schien, als hätte ich nur Fehler an mir"

Sie begeistert Sportfans in aller Welt: Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye. Im exklusiven Interview mit DOMRADIO.DE spricht sie über ihren Sieg, ihren Lieblingsbibelvers und darüber, wie die Kraft des Glaubens Leben retten kann.

Autor/in:
Oliver Kelch
Yesimi Ogunleye (dpa)
Yesimi Ogunleye / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Herzlichen Glückwunsch zum Olympiasieg! Wie fühlt sich das an, Olympiasiegerin zu sein, ein paar Tage nach diesem grandiosen 20-Meter-Stoß?

Yemisi Ogunleye (Olympiasiegerin 2024 im Kugelstoßen): Ich dachte nach dem Wettkampf, dass ich das erst realisieren werde, wenn ein paar Tage vergangen sind. Jetzt bin ich aber heute hier und habe es immer noch nicht realisiert. Ich schaue mir bloß immer wieder die Videos an und denke: Was für ein unfassbares Erlebnis!

DOMRADIO.DE: Wo haben Sie denn die Medaille?

Yemisi Ogunleye

"Ich möchte sie mit den Menschen teilen, die mir so nah am Herzen liegen."

Ogunleye: Ich habe sie dabei. Ich versuche, sie gerade überallhin mitzunehmen. Ich möchte sie mit den Menschen teilen, die mir so nah am Herzen liegen.

DOMRADIO.DE: Im Wettkampf wirkten sie sehr konzentriert und in sich gekehrt. Was haben Sie zwischen den Versuchen gemacht? Und vor allen Dingen vor dieser letzten Kugel und diesen 20 Metern? 

Yesimi Ogunleye (dpa)
Yesimi Ogunleye / ( dpa )

Ogunleye: Die Bedingungen an dem Tag waren herausfordernd. Ich hatte mir wirklich vorgenommen, den Wettkampf hindurch ruhig zu bleiben. Aber in einem Stadion mit 80.000 Menschen kann es erdrückend sein, wenn so viele Leute jubeln und die Aufmerksamkeit auf einem liegt. Trotzdem habe ich es gut geschafft, den Fokus auf das Wesentliche zu setzen. Das bedeutet für mich: Die Kugel so weit wie möglich zu stoßen. Diese Ruhe behalte ich durch Singen oder Beten. Manchmal schreibe ich auch Dinge auf, die mir in den Kopf oder ins Herz kommen.

Yemisi Ogunleye

"Diese Ruhe behalte ich durch Singen oder Beten."

Nach dem ersten Versuch, bei dem ich gestürzt bin, in dem Moment, wo ich aus dem Ring gelaufen bin, kam mir dieses Lied in den Kopf: "I almost let go, the devil almost had me, but Jesus came and grabbed me". Ich habe das immer wieder hoch- und runter gesungen und in mein Notizbuch geschrieben, um mich einfach später daran zu erinnern, was ich in dieser Situation, die für mich extrem herausfordernd war, eigentlich gedacht oder getan habe. 

Vor dem letzten Versuch habe ich nicht gesungen, sondern gebetet. Ich habe gesagt: Es sind bloß ein paar Zentimeter, die noch fehlen, um Gold zu gewinnen. Es ist nicht unmöglich, alles ist möglich für den, der glaubt.

Ich habe für diesen letzten Stoß Gott eingeladen und gesagt: Komm‘ du mit mir in den Ring und lass uns hier das Unfassbare erreichen. Wir können den Sieg mit nach Hause nehmen. Als dann die Kugel bei 20 Metern aufgekommen ist und dann klar war, dass es für Gold reichen könnte, war ich einfach nur fassungslos, dass mein Gebet erhört wurde.

Yesimi Ogunleye (dpa)
Yesimi Ogunleye / ( dpa )

DOMRADIO.DE: War es wirklich Psalm 20, den Sie gebetet haben, wie viele Medien behaupten? "Er gebe dir, was dein Herz begehrt, und erfülle alles, was du dir vornimmst! Wir wollen jubeln über deine Hilfe / und im Namen unseres Gottes das Banner erheben. Der HERR erfülle all deine Bitten."

Yemisi Ogunleye

"Aber in dem Moment habe ich gesagt: Du bist meine Kraft, auch in meiner Schwäche."

Ogunleye: Nein, tatsächlich nicht. Ich habe einfach gebetet, was mir auf dem Herzen lag: Gott, geh´ du mit mir jetzt in diesen Ring und stoß‘ du mit mir. Nach so einem Wettkampf hat man irgendwann auch keine Kraft mehr. Aber in dem Moment habe ich gesagt: Du bist meine Kraft, auch in meiner Schwäche.

Psalm 20 war der Psalm, den ich in der Vorbereitung gemeinsam mit meiner Mutter gelesen habe. Ich habe mit Blick auf die Olympischen Spiele jeden Tag mit jemandem aus meiner Gemeinde zusammen gebetet und jeder hatte verschiedene Bibelverse oder irgendeine Ermutigung für mich. Und das, was wirklich richtig einschlagend war, war der Bibelvers, den meine Mama mir gegeben hat. Und das war eben dieser Psalm 20.

Ich habe immer wieder vor Augen gehabt, wie ich den ausleben werde im Stadion.

DOMRADIO.DE: Ist das dann auch einer Ihrer Lieblings-Bibelstellen? 

Ogunleye: Ich habe mehrere, die mich immer für eine bestimmte Zeit begleiten und mir Halt und Zuspruch geben. Psalm 20 war wie ein Versprechen oder eine Vision, die ich vor Augen hatte, und die dann auch eingetreten ist. Das fand ich so krass! 

Yemisi Ogunleye

"Das ist der Vers, der mich immer durchs Leben trägt."

Aber mein Lieblingsvers ist eigentlich Jeremia 29, Vers 11: "Denn ich allein weiß, was ich mit euch vorhabe: Ich, der HERR, habe Frieden für euch im Sinn und will euch aus dem Leid befreien. Ich gebe euch wieder Zukunft und Hoffnung. Mein Wort gilt!" 

Das ist der Vers, der mich immer durchs Leben trägt: Zu wissen, Gott hat einen Plan, egal, wo ich gerade bin, egal, was ich gerade mache. Er führt einfach den Weg und geht den Weg auch mit mir.

Yesimi Ogunleye (dpa)
Yesimi Ogunleye / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie zu Ihrem starken christlichen Glauben gefunden? Es soll ja Menschen geben, die stehen jeden Morgen auf, beten mal eben schnell, aber irgendwie kriegen sie keine Antwort. Bei Ihnen scheint das anders zu sein. 

Ogunleye: Ich bin im christlichen Glauben erzogen worden. Meine Mama hat meinen Bruder und mich immer in die Kirche mitgeschleppt. Ich sage wirklich geschleppt, weil wir das als Kinder nie machen wollten. Wir haben nie verstanden, warum wir in den Kindergottesdienst und Bibelverse lernen müssen. Wir haben das also eher so aus einem Pflichtgefühl heraus getan, um meiner Mama einen Gefallen zu tun. 

Dann kam ich selber an den Punkt - ich glaube da geht jeder Mensch irgendwann durch - an dem ich mich nach dem Sinn des Lebens gefragt habe, an dem ich mich gefragt habe, wofür ich eigentlich auf der Welt bin und was ich tun soll. Ich stand vor Herausforderungen und ich wurde gemobbt. Da waren meine Fragen natürlich viel größer. Werde ich wirklich geliebt, so wie ich bin? Es schien so, als hätte ich nur Fehler an mir. Das war der entscheidende Grund, warum ich mich auf die Suche begeben habe. Ich habe mich dann gefragt, ob es diesen Gott, von dem in der Kirche immer alle reden und von dem meine Mutter spricht, wirklich gibt.

Es gab einen Moment, in dem ich einfach nur sehr, sehr leer und sehr hoffnungslos war. Da habe ich zum ersten Mal mein Herz wirklich aufgemacht und Gott zugelassen. Ich sagte: "Gott, wenn es dich gibt, ich brauche dich jetzt! Ich brauche jetzt irgendwas von dir, das mir zeigt, dass du mein Leben geplant hast und dass du mich liebst. Und da kam beispielsweise auch Jeremia 29, Vers 11 genau richtig. Deshalb ist dieser Vers auch so fundamental wichtig für mich. Er ist eine Wurzel für alles, was daraus entsprossen ist. 

Das war eigentlich so mein Beginn. Ich war 14, als ich mein Herz für Jesus geöffnet habe und ihn bat, in mein Leben zu treten und mir zu zeigen, wofür ich geschaffen bin.

DOMRADIO.DE: Ihr Vater stammt aus Nigeria, Ihre Mutter aus Deutschland. Sie sind in Deutschland geboren und haben Rassismus selber erlebt. Wie gehen Sie damit um?

Yemisi Ogunleye

"Wer ich bin hängt nicht von meiner Nationalität oder meiner Hautfarbe ab."

Ogunleye: Ich habe daraus gelernt. Wer ich bin, hängt nicht von meiner Nationalität oder meiner Hautfarbe ab. Auch wenn andere das vielleicht davon abhängig machen oder mich darauf festnageln wollen. Ich finde mich darin, wer ich mit Christus bin. Und deshalb kann ich auch mit vergangenen Verletzungen einfach gut umgehen und sie heilen lassen. 

Ich kann es nur jedem empfehlen, seine Identität nicht an seiner Hautfarbe festzumachen, auch wenn andere das versuchen. Manchmal muss man über dem stehen, was die Menschen sagen. Diese Resilienz musste ich einfach aufbauen und mir eine dicke Haut zulegen. Rassismus passiert. Das ist ein Thema. Aber ich darf mich von so negativen Dingen nicht entmutigen lassen. Ich versuche, immer wieder Licht in diese Dunkelheit zu bringen oder das Licht in ihr zu finden. Und ich hoffe sehr, dass viele junge Menschen so eine gewisse Resilienz aufbauen können. 

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie gläubigen Menschen, die sich nicht trauen, den Glauben nach außen zu tragen?

Yemisi Ogunleye

"Am Ende hat sich herausgestellt, dass sie gerade auf dem Weg war, sich ihr Leben zu nehmen."

Ogunleye: Viele Menschen trauen sich nicht. Vielleicht, weil sie denken, dass es nichts bewirkt. Oder weil sie glauben, dass das, was sie erlebt haben oder das, was sie in sich tragen, keinerlei Impact hat. Ich habe einmal ein Erlebnis gehabt mit einem jungen Mädchen auf der Straße. Sie sah so fertig und müde aus und ich hatte das Gefühl, ich sollte ihr von Gott erzählen und dass Gott sie liebt. Am Ende hat sich herausgestellt, dass sie gerade auf dem Weg war, sich ihr Leben zu nehmen. Zu hören, dass Jesus sie liebt und Gott einen Plan für ihr Leben hat, hat sie in dem Moment einfach geflasht. 

Dieser mutige Schritt, seinen Glauben zu zeigen, kann anderen helfen, unabhängig davon, was die Menschen denken. Selbst wenn es nur eine Person da draußen gibt, die uns irgendwie Hoffnung gibt, uns irgendwie Leben gibt, lohnt sich das. Ich glaube, wir stehen uns da manchmal selbst im Weg, weil wir uns fragen, was wir überhaupt bewegen können. Aber wenn man den Schritt wagt und einfach mal erzählt, welche Erfahrungen man gemacht hat, kann das jemanden helfen. Es ist ja nicht so, dass man es jemandem aufzwingt.

Ich finde es super, darüber zu sprechen und davor habe ich auch keinerlei Angst. Das ist alles, was ich tun kann. Es gibt aber natürlich auch Menschen, die damit gar nichts anfangen können und auch das ist okay. 

DOMRADIO.DE: Da schließt sich dann irgendwie dieser Kreis zur Glocke im Stade de France. Diese Glocke, die wandert nach den Paralympics in die Kathedrale Notre Dame. Und Sie durften sie jetzt als Olympiasiegerin läuten. Haben Sie schon einen Termin, die Glocke in Paris zu besuchen, wenn sie dann in Notre Dame hängt?

Ogunleye: Das machen wir auf jeden Fall. Das Erlebnis war einzigartig. Als ich da vor dem Fernseher saß und den anderen Olympiasiegern dabei zugeschaut habe, wie sie das gemacht haben, dachte ich: Was muss das für ein Gefühl sein? Dieses Stadion wird erhellt mit diesem Glockensound. Ich fand es so cool! Ich habe im Nachgang gesehen, dass ich diese Glocke fünf Mal geläutet habe. Die Zahl fünf ist ja auch irgendwie ein Zeichen für die Gnade Gottes und seinen Willen und die Abhängigkeit, die wir als Mensch vor unserem Schöpfer haben. 

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR