DOMRADIO.DE: Wie sieht die Situation der Christen im Irak aus?
Markus Rode (Leiter von Open Doors Deutschland): Nachdem der Islamische Staat vertrieben wurde, dachte man, das Kalifat sei verschwunden und es könnte wieder gut gehen. Aber wir haben von unseren Mitarbeitern vor Ort gehört, dass es seit der Vertreibung des IS eine weitere Zunahme der Verfolgung gibt, und zwar durch schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden. Die Christen vor Ort haben uns erzählt, dass die Situation extrem schwierig ist. Ein Pfarrer sagte uns: Wenn man versucht, das Menschenrecht der Religionsfreiheit irgendwo anzusprechen, bei einem Gericht zum Beispiel etwas einzuklagen, dann wird man in der Regel auf dem Weg zum Gericht schon liquidiert. Vor allem für Konvertiten ist die Situation angespannt, die aus dem jesidischen und dem muslimischen Hintergrund zum christlichen Glauben übergehen. Sie werden von ihren Familien, von den Clans, aber auch von den schiitischen islamistischen Milizen verfolgt.
DOMRADIO.DE: Mit wem haben Sie sich auf Ihrer Reise getroffen?
Rode: Wir haben uns mit Christen verschiedener Denominationen getroffen, aus der traditionellen Kirche, aber auch mit Konvertiten, die wir immer wieder im Versteck treffen konnten. Somit haben wir ein relativ breites Bild bekommen. Wir waren in Bagdad und auch im Norden des Irak.
DOMRADIO.DE: Das heißt, die Menschen müssen sich zum Beten verstecken...
Rode: Die offiziellen Denominationen müssen sich nicht verstecken. Nur in dem Moment, wo sie ihren Glauben öffentlich bekennen, wo sie aus ihren Kirchen rausgehen und sagen "Wir sind Christen" oder evangelisieren, was ja ein Auftrag der Christen ist, sie gefährdet. Als Christen sind sie aber grundsätzlich benachteiligt. Sie werden von vielen Dingen ausgeschlossen. Für die Konvertiten ist es extrem gefährlich. Die müssen tatsächlich abtauchen. Wenn sie sich treffen, müssen sie sehr vorsichtig sein, dass ihnen nicht aufgelauert wird. Wir haben auch von Ehefrauen konvertierter Christen gehört, die entführt wurden. Das Risiko ist im Moment extrem hoch.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation in Nigeria? Da gab es ja an Weihnachten 2023 dieses schreckliche Gemetzel in den Weihnachtsgottesdiensten.
Rode: Ja, das ist wirklich unfassbar. Für mich war es sehr schwierig persönlich zu wissen, ich treffe jetzt Menschen, die mit ansehen mussten, dass an Weihnachten ihre Familien vor ihren Augen zum Teil niedergemetzelt wurden. Ich habe einen Pfarrer getroffen, der seine fünf Kinder und seine Ehefrau verloren hat. Er hat dann gesehen, wie sie verbrannt in einer Ecke gelegen haben. Die Gewalt ist in Subsahara-Afrika und in Nigeria insbesondere, wo über 4000 Christen allein im letzten Jahr ermordet wurden, sehr brutal.
Das ist der Hotspot der Gewalt, auch weltweit. Wenn wir den Weltverfolgungsindex ansehen, wird klar, dass es dort sehr viele traumatisierte Christen gibt. Zehntausende mussten fliehen, weil ihre Dörfer von Dschihadisten überfallen wurden. Und es sind natürlich viele Witwen und Waisenkinder da, deren Eltern ermordet wurden.
DOMRADIO.DE: Halten die Menschen an Gott und ihrem Christsein fest oder fühlen sie sich auch von Gott verlassen?
Rode: Sie sind oft sehr am Kämpfen. Manche stellen sich die Frage: "Gott, warum lässt du das zu?". Aber sie haben mir im Gespräch auch gesagt: "Auch wenn man solche Fragen hat, bleiben wir im Glauben an Jesus Christus fest, weil wir ihn als Retter erkannt haben, und wir wollen unseren Glauben gerade in diesen Umständen nicht verlieren." Denn das ist ja das Ziel der Islamisten, die in die Dörfer kommen und sagen: "Wenn wir in zehn Tagen wiederkommen, dann sind die Kirchen Moscheen, sonst bringen wir euch um". Und so habe ich erlebt, dass Pastoren, Leiter, Christen aus diesen Dörfern mir erzählt haben, wie sie ausgepeitscht wurden und wie sie mit ansehen mussten, wie ihre Frauen und Kinder mit Macheten in Stücke geschlagen wurden.
DOMRADIO.DE: Solche Ereignisse hinterlassen auch psychische Spuren. Wie viel Angst haben die Menschen dort?
Rode: Sie müssen immer mit der Angst leben und umgehen. Denn wenn sie von ihrem zerstörten Dorf ins nächste fliehen, sind die Dschihadisten auch wieder auf dem Weg dorthin. Das ist mittlerweile nicht nur in Nigeria, das ist in Niger, in Burkina Faso, in allen diesen Staaten dasselbe. Die Dörfer werden zerstört. Die Dschihadisten sind bestens ausgerüstet und haben Maschinengewehre dabei. Man weiß nicht, wer genau dahinter steckt, aber es gibt Strömungen, die Afrika islamisieren wollen. Auch der Islamische Staat Westafrika ist dort sehr stark aktiv. Es sind viele islamistische Gruppierungen, die wieder ein Kalifat dort haben wollen, wo die Korruption groß ist und wo es ein Machtvakuum gibt.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet den Menschen vor Ort die Hilfe von Open Doors, zum Beispiel auch durch Ihren Besuch?
Rode: Das hat ihnen so viel bedeutet. Ich kann es selbst kaum in Worte fassen, weil ich das gar nicht für möglich gehalten hatte. Allein die Tatsache, dass wir dorthin gereist sind. Ich bin mit einem kleinen Kamerateam dort gewesen. Wir haben den Menschen gesagt, wir sind wegen euch da. Wir haben uns unter anderem in einem Traumazentrum getroffen. Dort habe ich die Gespräche geführt und die Menschen haben gesagt, dass du hier bist, ist für uns eine so große Ermutigung. Ich habe ihnen gesagt, ich bin nicht hier alleine nur für Open Doors, sondern ich fühle mich als Botschafter der Christen in Deutschland, die für euch beten wollen.
Und deshalb habe ich die Reise auch gemacht. Ich wollte einfach deutlich machen, ich bin eine Art Stellvertreter der Christen in Deutschland. Die, die den Film "The Journey" sehen, sollen durch diese Berichte und das, was die Christen dort erlebt haben und erzählen, herausgefordert werden, für sie einzutreten und für sie zu beten.
Ich durfte auch Ermutigungskarten verteilen. Viele Christen in Deutschland haben mir paketeweise Karten mit Bibelworten und ermutigenden Worten mitgegeben. Als ich die verteilt habe, sind Tränen geflossen. Die Menschen waren so berührt und ich glaube, das müssen wir wissen. Es sind ja unsere Glaubensgeschwister.
DOMRADIO.DE: Die Open Doors Tage 2024 werden, anders als in den vergangenen Jahren, diesmal nur online stattfinden. Warum?
Rode: Wir haben dazu immer verfolgte Christen eingeladen. Das letzte Mal fanden die Tage in Erfurt in der Messe statt und sie haben dort berichtet. Tausende Christen waren da und haben für sie gebetet. Das ist sehr ermutigend.
Wir haben uns diesmal entschieden: Wir wollen dort sein, wo sie leben, wo sie letztendlich auch leiden, damit man noch mehr Christen und Christinnen treffen kann. Denn es ist extrem schwierig, heutzutage Christen aus Nigeria nach Deutschland zu bekommen oder aus dem Irak. Die Risiken sind zu groß. Es ist ein sehr langer Visaprozess, der in der Regel selten zum Erfolg führt. Das ist diesmal eine andere Form der Begegnung. Aber durch das Online-Format und durch das Fernsehen am Samstag werden viele dabei sein können.
Das Interview führte Dagmar Peters.