Organisationen fordern Zugang zu fairen Asylverfahren

Strategiewechsel in Flüchtlingsstreit?

in Europa
Das individuelle Asylrecht in Eruopa und der Familiennachzug bleiben umstrittene Themen beim Umgang mit Flüchtlingen. Jetzt sei die Bundesregierung Innenminister Thomas de Maizière zufolge zu einem Strategiewechsel bereit.

Meldung als Asylsuchender / © Daniel Karmann (dpa)
Meldung als Asylsuchender / © Daniel Karmann ( dpa )

Demnach könnte die zentrale Frage der Verteilung der Flüchtlinge zurückgestellt werden, wie de Maizière am Donnerstag vor einem informellen Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in der bulgarischen Hauptstadt Sofia erklärte. "Vielleicht ist es auch sinnvoll, dass wir uns zeitlich zunächst auf die anderen Themen konzentrieren, ohne dass wir den Zusammenhang aus dem Auge verlieren, dann gibt es vielleicht eher Fortschritte", sagte der Minister.

Zwar sei die Zahl der neu ankommenden Menschen in Europa nicht mehr so hoch wie 2015 und 2016 und ein Kompromiss daher generell leichter. Es gebe allerdings für Deutschland auch andere sehr wichtige Punkte bei der Reform des europäischen Asylsystems, führte de Maizière aus. Dazu gehörten etwa gleiche Aufnahmebedingungen und verlässliche Verfahren zwischen den EU-Staaten.

"Geist der Solidarität"

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben das Ziel ausgegeben, bis Juni eine Einigung über die Reform des europäischen Asylsystems zu finden. Das sollte die künftige Verteilung der Flüchtlinge einschließen. Deutschland stand bislang auf dem Standpunkt, dass zumindest bei besonders hohen Flüchtlingszahlen alle EU-Staaten einen Teil aufnehmen müssten. Auf die Frage, ob eine Einigung auch ohne Verteilung möglich sei, sagte de Maizière am Donnerstag, das werde am Ende der Verhandlungen entschieden.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte auf die Frage, ob eine Einigung über die Verteilung bis Juni möglich sei, "der europäische Geist und Geist der Solidarität werden sich durchsetzen". Bei dem Problem geht es den Worten des Kommissars zufolge ohnehin weitgehend um die Innenpolitik in den jeweiligen Ländern.

Individuelles Asylrecht

Mehrere Organisationen haben in einem gemeinsamen Aufruf den Erhalt des Zugangs zum individuellen Asylrecht in Europa gefordert. Zu den Unterzeichnern des am Donnerstag veröffentlichten Appells gehören unter anderem: Pro Asyl, Amnesty International, Caritas, Der Paritätische Gesamtverband, die Arbeiterwohlfahrt, Diakonie Deutschland und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst.

Die Organisationen und Verbände äußerten sich mit Blick auf den Beginn der Koalitionsverhandlungen in Deutschland, das bevorstehende Treffen der EU-Innenminister in Sofia sowie die anstehenden Verhandlungen im EU-Parlament über das geplante Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS).

Familiennachzug

Nach aktuellen Vorschlägen des EU-Rats und der Kommission solle der Flüchtlingsschutz verstärkt auf Drittstaaten außerhalb der EU verlagert werden, heißt es in der Erklärung. Dies habe zur Folge, dass die Mitgliedstaaten Asylsuchende an den EU-Außengrenzen ohne inhaltliche Prüfung in Drittstaaten zurückweisen könnten. "Dies wäre ein schwerer Eingriff in die Grund- und Menschenrechte der Asylsuchenden", so die Kritik der Unterzeichner.

Eine Beschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge halten Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) für falsch. Dadurch würden die soziale und wirtschaftliche Integration von Flüchtlingen maßgeblich erschwert, sagte der IfW-Migrationsexperte Claas Schneiderheinze am Donnerstag in Kiel.

Überschaubare Anzahl

Die weitere Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte und eine zukünftige Beschränkung auf 1.000 Menschen pro Monat vermittelten den Flüchtlingen, dass sie nicht willkommen sind. Inhalt und Signalwirkung dieser Beschlüsse seien für die Integration verheerend und stünden "in keinem Verhältnis zur Anzahl potenzieller Nachzügler".

Die meisten Flüchtlinge seien ohnehin entweder kinderlos und ledig oder hätten ihre "Kernfamilie" bereits nach Deutschland gebracht, so der Experte. Auch seien Versorgungsengpässe bei der Aufnahme inzwischen überwunden, so dass "der Nachzug einer überschaubaren Anzahl an Familienmigranten kaum Schwierigkeiten bereiten würde", sagte Schneiderheinze.

Aufenthaltstitel

Der Experte kritisierte auch eine "Umetikettierung" bei den Aufenthaltstiteln. Seit Inkrafttreten des Asylpakets II werde vielen Antragstellern der subsidiäre Schutz zugesprochen, die vorher einen vollen Flüchtlingsstatus erhalten hätten. Das gelte selbst für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. "Dabei bleibt die Lage im Herkunftsland unverändert", erklärte Schneiderheinze. Das Argument, dass subsidiär Geschützte relativ kurzfristig in ihre Heimat zurückkehren würden und somit keine Erlaubnis für einen Familiennachzug erhalten sollten, könne deshalb nicht gelten.

Tatsächlich würden die meisten subsidiär Geschützen wohl länger in Deutschland bleiben. Es liege im Interesse aller, sie so gut wie möglich zu integrieren.

Temporär oder dauerhaft

Die Bundesregierung hatte Anfang 2015 den Familiennachzug für subsidiär geschützte Personen in Deutschland erleichtert. Im Frühjahr 2016 beschloss sie mit dem Asylpaket II, den Familiennachzug bei subsidiär Geschützten – oft aus Syrien – für zwei Jahre bis Mitte März 2018 vollständig auszusetzen. Derzeit ringt der Bundestag um eine Lösung für die Zeit nach Mitte März. Zur Debatte stehen eine weitere Aussetzung – temporär oder dauerhaft – oder eine Wiederzulassung des Familiennachzugs.

 

Quelle:
epd , KNA