Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts Himmelklar. Das komplette Interview zum Anhören gibt es hier:
Himmelklar: In Ihrem Leben, in Ihrem Beruf dreht sich alles um die sogenannte "Königin der Instrumente", die Orgel. Warum ist sie das für Sie?
Philipp Klais (Orgelbauer und Geschäftsführer der Bonner Orgelbauwerkstatt Klais): Für mich persönlich ist die Orgel die Königin der Instrumente, weil es das Instrument ist, das zum gemeinsamen Singen einlädt. Das ist für mich eine sehr wichtige Aufgabe der Orgel. Als kleiner Junge, "ganz normal katholisch sozialisiert", bin ich in die Kirche gegangen und habe mich nie getraut mitzusingen, weil ich immer Angst hatte, der Nachbar dreht sich um und sagt: 'Sohn eines Orgelbauers, und trifft noch nicht mal den Ton'.
Dann habe ich irgendwann festgestellt, dass es ganz vielen Menschen so geht. Ich habe gemerkt, dass dieses warme, weiche, satte Fundament, das die Organistin oder der Organist uns zur Verfügung stellt, dazu einlädt, diese innere Scheu zu überwinden und mit einzustimmen in den gemeinsamen Gesang. Für mich ist das gemeinsame Singen der stärkste Ausdruck von Gemeinschaft und der stärkste Ausdruck von Gemeinschaft in der Liturgie.
Himmelklar: Sie bauen Orgeln auf der ganzen Welt. Berühmt ist die Schwalbennestorgel im Kölner Dom. Die Orgel für die Elbphilharmonie in Hamburg stammt aus Ihrer Werkstatt. – Daran sieht man, Sie bauen Orgeln nicht nur für Kirchen. Der Orgelbau und die Orgelmusik gelten ja inzwischen als immaterielles Kulturerbe der Menschheit. Würden Sie sagen "endlich" oder "zu Recht"?
Klais: Ich glaube, das Schöne daran ist, dass das nicht nur eine Auszeichnung ist, sondern vor allen Dingen auch ein Aufruf, Orgelmusik und Orgelbau für die Zukunft zu bewahren und an zukünftige Generationen weiterzugeben. Das ist für mich der wichtigste Aspekt dieser Auszeichnung der Orgel. Es gilt, die Orgelkultur lebendig zu halten und noch viel mehr mit Leben zu füllen, als wir das zum jetzigen Zeitpunkt tun.
Ich träume immer davon, dass Menschen sich für Orgelmusik begeistern. Ich glaube, dass wir alle gemeinsam heutzutage häufig in unseren Vorstellungen mit sehr vielen Vorurteilen konfrontiert werden. Wenn wir gemeinsam alles daransetzen, diese zu überwinden, könnten wir viel mehr möglich machen. Wovon ich träume, ist, abends um 21 Uhr, wenn die Kinder im Bett und wenn das Abendessen gegessen ist, zehnminütige Orgelkonzerte in einer kerzenbeleuchteten Kirche in der Nachbarschaft erleben zu dürfen. Kirchen sind so traumhaft schöne Räume der Begegnung. Und dabei niemanden auszuschließen, sondern Menschen aller Herkunft und aller Religionen und jeden Alters einzuladen.
Kirche als einen Ort der Begegnung aller Menschen zu verstehen, wo ich mich für zehn Minuten niederlasse, über das eigene Sein nachdenken und hinterher mit den Menschen um mich herum ins Gespräch treten kann. Das ist für mich so eine Traumvorstellung.
Gerade in Deutschland haben wir hierzu optimale Voraussetzungen: eine fantastische Ausstattung, sowohl von unendlich schönen Kirchenräumen, als auch damit gesegnet zu sein, viele richtig gute, hoch motivierte Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker zu haben.
Himmelklar: Inwiefern sind denn die Orgel und auch die Orgelmusik automatisch für Sie verbunden mit Ihrem Glauben?
Klais: Für mich persönlich sind sie sehr stark mit meinem Glauben verbunden. Ich bin auf diese Weise sozialisiert worden, bin damit aufgewachsen und es ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Für mich ist Orgelmusik ganz bedeutsam in dem Zusammen-Singen von Menschen, spielt also eine extrem große Rolle in der Liturgie bei der Begleitung der menschlichen Stimme. Scheu zu überwinden, alle Menschen zum Erleben von Gemeinschaft zum gemeinsamen Singen einzuladen, egal ob sie jetzt das Gefühl haben, eine gute Stimme zu haben, den Ton zu treffen oder nicht, halte ich für immens wichtig.
Für mich ist Musik eine Sprache, die von Menschen aller Herkunft, aller Religionen, aller Ideologien und Ideen verstanden werden kann. Ich würde gerne Brücken bauen, die nicht allein auf christliche Religionen beschränkt sind, sondern alle Menschen mit Musik umfangen und einladen.
Das ist für mich das Hauptziel, mich mit dem Bau von Musikinstrumenten zu beschäftigen. Denn das, was wir Orgelbauer und Orgelbauerinnen machen, ist: ein Mittel zur Verfügung stellen, auf dem fantastische Künstlerinnen und Künstler musizieren und diesem Instrument Klänge und Töne entlocken, die andere Menschen anregen, begeistern, ihnen Kraft geben, ihnen Mut und Hoffnung geben, sie manchmal auch aufregen, alles Mögliche mit ihnen machen. Ich finde, all diese Dinge sind unendlich wichtig.
Himmelklar: Schließung von Gotteshäusern, weniger Gläubige und Pfarrei-Zusammenlegungen – die Kirche steckt in der Krise. Befürchten Sie, dass Ihre Branche und vielleicht auch die Orgelmusik dadurch ausstirbt?
Klais: Ich persönlich befürchte das gar nicht. Ich glaube, dass wir noch gar nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die Krise der Kirche zu überwinden. Im Moment gibt es so eine große Mutlosigkeit, die völlig unangebracht ist. Ich glaube, dass dem deutlich besser zu begegnen wäre, wenn wir uns endlich zusammenraufen und sagen: Was sind denn eigentlich die tollen Dinge, die wir miteinander machen? Und anfangen, unsere Kirche zu verändern und aktiv mitzugestalten.
Was sind die sozialen Projekte, die wir machen? Was sind die Gemeinschaftsprojekte, die wir machen? Warum laden wir nicht alle Menschen ein, Kirchen als Raum der Begegnung zu verstehen? Warum sind wir so versteift auf unser kleines Kirchturmdenken, auf unser Denken, dass wir den einen einladen, den anderen ausschließen? Warum können wir nicht sehen, wie wichtig es für unsere Gesellschaft ist, Räume der Begegnung zu schaffen, bei denen alle Menschen eingeschlossen sind?
Ich glaube, dass wir das alle wollen. Wir haben jedoch noch nicht den richtigen gemeinsamen Weg gefunden, wie wir es möglich machen können. Ich persönlich glaube, wir denken viel zu sehr darüber nach: Wann können wir Öffnungszeiten für Kirchen anbieten? Wo müssen wir Gitter bauen? Wir denken viel zu sehr an die Hindernisse und erkennen die Möglichkeiten nicht. Einen von Kerzen erleuchteten und mit Musik erfüllten Kirchenraum an einem Abend zu erleben, ist mit das Schönste. Wenn man drin sitzt, und selbst wenn es keine Musik gibt, ist es auch schön, nur den Raum zu betrachten und es sich anzuhören.
Dasselbe frühmorgens: Ein Angebot für alle Menschen, für wenige Minuten zusammenzukommen – nicht speziell nur Christen und katholische oder evangelische Christen einzuladen, daran zu partizipieren. Ein kleiner erster einfacher Schritt, auf alle Menschen zuzugehen. Ich glaube, dass das etwas ist, was für unsere Gesellschaft unendlich wichtig ist.
Himmelklar: Es scheint unvorstellbar, ein solch vielseitiges, vielschichtiges Instrument wie die Orgel zu verstehen und zu erbauen. Geben Sie zu: Wie kompliziert ist es aus Ihrer Sicht?
Klais: Orgelbau ist überhaupt nicht kompliziert. Orgelbauen ist das Schönste, was es gibt. Das Spannende daran ist, dass die Aufgabenstellung so herausfordernd und vielseitig ist, dass man das am besten in einem Team macht. Das ist natürlich etwas, für das man hart arbeiten muss, weil es innerhalb eines Teams in erster Linie darum geht, dass alle in dieselbe Richtung denken, fühlen, sich bemühen und Leidenschaft entwickeln. Das ist das Schwierige und das Schöne daran: Mit allen gemeinsam mit Leidenschaft ein Instrument zu bauen.
Das führt die Orgel auch so nahe in ihrer Entstehung an die Menschen heran, die wir erreichen möchten, wo genau dieselben Herausforderungen entstehen. Ich glaube, es geht darum, dass grundsätzlich in allen Bereichen alle Menschen immer etwas Gutes möchten. Das ist meine Grundeinstellung. Auch wenn viele Fehler auf der Erde passieren, wenn viele Dinge schieflaufen, ist aber grundsätzlich meine Haltung, dass Menschen nichts Böses wollen, sondern dass Böses passiert.
Beim Bau des Instrumentes geht es darum, Dinge in die richtige Richtung zu lenken und die Energie und Leidenschaft, die alle am Bau Beteiligten aufwenden, auf einen Punkt zu bringen. Das ist manchmal nicht leicht und erfordert viel Austausch. Das sehen wir auch in der Kirche, dass da nicht alles immer so läuft, wie wir uns das wünschen würden.
Himmelklar: Sie haben das Team angesprochen. Sie führen den Orgelbau Klais schon über Generationen in Ihrer Familie. Wo klappt das im wortwörtlichen Einklang oder wo knirscht es vielleicht auch mal?
Klais: Es knirscht bei uns erheblich. Und es knirscht immer wieder. Ich glaube, das ist wichtig. Die Schwierigkeit liegt nicht im Knirschen. Die Schwierigkeit liegt darin, wie wir kommunikativ damit umgehen, dieses Knirschen so zügig wie möglich und so respektvoll wie möglich zu beheben. Da muss auch alles ausgesprochen werden dürfen. Die allerwichtigste Grundhaltung in dem Zusammenhang ist Respekt. Respekt anderen Menschen gegenüber und Respekt der Denkweise anderer Menschen gegenüber. Das führt letztendlich dann auch zu dem Begriff der Toleranz.
Ich glaube, das sind die beiden wichtigsten Begriffe, die dazu führen, dass Menschen miteinander tolle Dinge leisten können. Wir als Orgelbauer und Orgelbauerinnen empfinden oftmals auch einen Respekt den Leistungen früherer Generationen von Orgelbauern gegenüber. Wenn wir historischen Instrumenten begegnen und uns überlegen, wie gehen wir mit denen um und wie restaurieren wir die, dann ist für uns wieder der Respekt das wichtigste Wort. Wir überlegen, so viel wie möglich historischer Substanz zu bewahren, um späteren Generationen die Möglichkeit zu geben, davon zu lernen, daran zu partizipieren und zu vielen weiteren Erkenntnissen zu kommen, die wir heutzutage noch gar nicht sehen können.
Himmelklar: Was ist beim Orgelbau, wenn Sie auf die Jahre zurückschauen, die Sie das schon machen, Ihr persönliches Highlight? Gibt es da eine besondere Geschichte?
Klais: Da gibt es ganz viele Geschichten. Die Lieblingsgeschichte ist die Geschichte meines Vaters und was der gesagt hat, wenn man ihm diese Frage gestellt hat. Er hat gesagt: Wissen Sie, ich habe drei Kinder und ich mag die alle drei unendlich gern. Ich habe da kein Lieblingskind. Im Endeffekt empfinden wir unsere Instrumente, die wir bauen, als Familienmitglieder unserer Werkstattfamilie.
Natürlich ist es für einen katholischen Rheinländer immer ein Traum, im Kölner Dom arbeiten zu dürfen. Das will ich nicht verhehlen. Das ist einfach auch so ein Raum, der einen anrührt und berührt und der einen verändert, auf den man sich einlassen muss. In diesem Raum nachts alleine zu sein, empfinde ich als ein Geschenk für mein Leben, da einfach nur ein paar Minuten verbringen zu dürfen.
Ich sehe natürlich, dass der Dom so etwas möglich macht: Das Domkapitel bietet für junge Leute nachts Führungen an, bei denen sie auch mal auf den Altarstufen liegen dürfen und Musik hören können beispielsweise. Für mich geht es darum, noch viel mehr Menschen an diese Räume heranzuführen. Ich glaube, dass wir häufig Religion und auch christliche Religion und christlichen Glauben sehr steif betrachten. Wir werden wir viel schöpferischer sein müssen, damit es uns gelingt, die Begeisterung für den Glauben und die Begeisterung für die Kirche in eine nächste Generation tragen zu können. Ich sehe das als eine ganz wichtige Aufgabe.
Wenn wir über Kirche sprechen, dann ist es so, dass wir Katholiken uns häufig selber davon ausnehmen. Kirche sind in der Regel die anderen. Hier sollten wir umdenken, wenn uns Kirche wichtig ist. Ist Kirche eigentlich etwas, was wir für unseren Glauben, für unsere Gesellschaft, für unsere Gemeinschaft von Menschen als wichtig ansehen? Wenn das so ist – und so sehe ich das – dann sollten wir aktiv daran mitarbeiten, Kirche mit Leben nach unseren Vorstellungen zu füllen; das weiterzutragen, vielleicht auch weiter zu verändern, auch so umzuformen, dass es uns besser gefällt. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe und Verantwortung.
Himmelklar: Was für die Verkündigung des Glaubens gilt und für die Weitergabe Ihrer Begeisterung von der Orgelmusik, das gilt natürlich auch überhaupt für die Musik. Sie sind auch Mitglied des Hochschulrats in Würzburg. Geht es Ihnen dabei darum, dass Sie den jungen Leuten, also der nächsten Generation das mitgeben, was Sie selber erfahren haben?
Klais: Ich empfinde es als Geschenk, dass ich Mitglied in einem Hochschulrat sein darf. Für mich geht es darum, zukünftigen Generationen zu ermöglichen, so viel zu lernen, wie es irgendwie geht und ihnen alle Türen zu öffnen. Ich denke, das ist gerade die Aufgabe für uns jetzt. Ich möchte selbst noch so viel lernen und meistens fühle ich mich selbst noch jung. Ich denke immer, "wir Jungen" müssen doch zusammen sehen, dass alles möglich wird. Wichtig ist mir, Begeisterung, Leidenschaft und die Offenheit für alle Möglichkeiten in zukünftige Generationen zu tragen.
Das Interview führte Katharina Geiger.