Orthodoxes Ostern in der Grabeskirche mit einer Flamme aus dem Grab Christi

Die geheimnisvolle "Liturgie des Heiligen Feuers"

Rund 350 Millionen orthodoxe und altorientalische Christen in aller Welt blicken zu den Osterfeiertagen auf Jerusalem. Am Karsamstag, den die orthodoxen Kirchen in diesem Jahr heute begehen, findet in der Grabeskirche eine geheimnisvolle, mehr als 1.600 Jahre alte Zeremonie statt: die "Liturgie des Heiligen Feuers", bei der nach dem Volksglauben eine Flamme auf wundersame Weise aus dem Grab Christi hervorgeht. Sie markiert den Höhepunkt der orthodoxen Osterfeiern in der Heiligen Stadt.

Autor/in:
Georg Pulling
 (DR)

Der dänische Theologe und Publizist Niels Christian Hvidt betont, diese Liturgie sei wohl die älteste unverändert praktizierte christliche Zeremonie der Welt. Einigen Quellen zufolge geht sie auf das 4. Jahrhundert zurück; andere geben das 8. Jahrhundert als Ursprung an. Um das Jahr 1000 entstanden erste Berichte über eine wundersame Herabkunft des Heiligen Feuers.



Zehntausende einheimische Christen sowie Pilger aus aller Welt nehmen an der Feier teil. Die israelische Polizei ist mit einem Großaufgebot präsent, um den Andrang zu kanalisieren. Russland, Griechenland und andere orthodox geprägte Staaten entsenden Regierungsdelegationen; das Fernsehen überträgt in viele Länder live, und das "Heilige Feuer" wird per Flugzeug in die Hauptstädte überbracht.



Nur Personen mit Zugangsgenehmigung dürfen die Sperren zur Grabeskirche passieren. Mit fünf bis sechs Stunden Wartezeit müssen aber auch sie rechnen. Um 13.00 Uhr bahnt sich eine Delegation israelischer Beamter ihren Weg durch die Massen. Obwohl sie keine Christen sind, gehören sie fest zur Zeremonie: Ihre Anwesenheit symbolisiert die Römer aus der Zeit Jesu, die das Grab Jesu versiegelten, damit die Jünger seinen Leichnam nicht stehlen und behaupten konnten, er sei auferstanden.



Strenge Kontrolle

In dieser Tradition ist es heute Aufgabe der Beamten, das Grab mit Wachs zu versiegeln. Zuvor kontrollieren sie, ob sich eine versteckte Flamme in der Kapelle befindet, an der der Patriarch seine Kerzen entzünden könnte. So soll Israel sicherstellen, dass mit dem Lichtwunder kein Schwindel getrieben wird.



Um 13.45 Uhr betritt der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem die Kirche. Er wird entkleidet bis auf ein weißes Gewand.

Sämtliche Lichter in der Kirche sind erloschen. Einzige Lichtquelle ist das Sonnenlicht, das durch das Kuppelglas dringt. Mit zwei großen, nicht brennenden Wachskerzen betritt der Patriarch allein die Grabkammer und kommt wenig später mit brennenden Kerzen wieder heraus. Er übergibt das Licht an den armenischen und dann an den koptischen Patriarchen. Danach reicht er die Flamme an die Gläubigen weiter.



Dem Theologen Hvidt gelang es in den späten 90er Jahren, den inzwischen verstorbenen Patriarchen Diodoros I. zu den Vorgängen zu befragen. Er zitiert: "Vor dem Grab spreche ich mehrere Gebete, und dann warte ich. Manchmal kann es ein paar Minuten dauern, aber meistens ereignet sich das Wunder sofort: Von genau dem Stein, an dem Jesus lag, geht ein undefinierbares Licht aus." Seine Grundfarbe sei blau, mit vielen Nuancen. "Mit menschlichen Worten lässt es sich nicht beschreiben."



Über die Jahrhunderte bezeugt

Das Licht erhebe sich dann aus dem Stein, bewege sich aber jedes Jahr anders. Manchmal stehe es bloß über dem Stein, manchmal erleuchte es das ganze Grab. "Irgendwann sammelt sich das Licht in einer Säule und ändert seine Beschaffenheit so, dass ich meine Kerzen daran entzünden kann", so Diodoros.



Das Lichtwunder sei von vielen über die Jahrhunderte bezeugt, so Hvidt. Es sei aber nicht nur für den Glauben des Einzelnen von Bedeutung, sondern darüber hinaus auch für die Einheit der Kirche. Er verweist auf den griechisch-orthodoxen Metropoliten Timotheos von Vostra, den früheren Kanzler des Patriarchates, der dem Geschehen eine enorme ökumenische und einende Kraft zuschreibt. "Bis ins 13. Jahrhundert feierte die gesamte Kirche die Lichtwunderzeremonie. Selbst nachdem die Katholiken die Stadt verlassen hatten, blieb es eine vereinende Zeremonie aller Orthodoxen."