Zum "Gloria" gibt es den ersten Gänsehautmoment. Beherzt greift Domorganist Winfried Bönig an dieser Stelle immer in die Tasten und holt alles aus seinem Instrument heraus, was geht. Es kostet keine Mühe, sich bei diesem gewaltig tosenden Orgelbrausen vorzustellen, dass die Menschen in der Antike angesichts der Nachricht von der Auferstehung Jesu als einem für sie kaum fassbaren Ereignis in ihren religiösen Grundfesten erschüttert wurden und man von einer vergleichbar bewegenden Erfahrung auch über 2000 Jahre später noch emotional ergriffen werden kann. Denn spätestens dann – während gleichzeitig das schwere Geläut des "Dicken Pitter" zu hören ist und die Messdiener die Schellen einsetzen – weiß jeder Gottesdienstbesucher: Jetzt ist es soweit. Nach einer bewegenden Lichtfeier in einem sonst vollständig dunklen Dom, in dem sich die vielen kleinen Kerzen, die die Menschen in den Händen halten, nur wie vereinzelte Orientierungspunkte in der Weite des Raumes verlieren, nach einer feierlichen Prozession aller Geistlichen und Seminaristen vom Osterfeuer unter den Türmen zur Altarvierung, dem Gesang des Exsultet sowie mehreren Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament kann nun die Osterfreude gefeiert werden.
Dann wird es mit einem Mal auch hell, und der Kölner Erzbischof stimmt wenig später das dreifache Oster-Halleluja an. Es folgt die Weihe des Wassers, mit dem er die Gemeinde nach der Erneuerung des Taufversprechens besprengt. Dieses mündet schließlich ein in die Mitte der Feier des Pascha-Mysteriums: in die Eucharistie. Diese vier Teile – Lichtfeier, Liturgie des Wortes, Tauffeier und Eucharistie – folgen aufeinander aufbauend und markieren zugleich einen großen Spannungsbogen: von der Dunkelheit zum Licht, vom Tod zum Leben. In dieser Weise feiert die Kirche in der Liturgie der Osternacht mit vielen einzelnen Riten und heiligen Zeichen Tod und Auferstehung Jesu Christi und verkündet seine Wiederkunft.
Dankbar für Präsenzgottesdienste
"Zweifellos der Höhepunkt des Jahres für mich, der wichtigste Gottesdienst überhaupt, viel berührender noch als die Christmette", schwärmt Johannes Creeten. "Wenn ich den dicken Pitter höre, kommen mir jedes Mal ganz automatisch die Tränen", zeigt sich der 69-Jährige bewegt, der sich nach langem Anstehen vor dem Hauptportal des Domes – erst eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn ist an diesem Abend Einlass – einen Platz in der ersten Reihe sichern konnte. Eigens aus Frechen kommt er und verweist stolz auf eine kleine Anstecknadel auf seiner Jacke. Viele Jahre hat er sich in seiner Pfarrgemeinde St. Mauritius für die Wiederinstandsetzung seiner Kirche eingesetzt; dafür ist ihm der Orden "Pro ecclesia et pontifice" verliehen worden. Doch schon vor über zehn Jahren ist der Kölner Dom zu seiner geistlichen Heimat geworden, wie er betont. Hierhin kommt er regelmäßig an jedem Sonntag und zu allen Hochfesten.
"Es ist so beeindruckend, wenn zum ersten Mal die Orgel wieder einsetzt und das Licht angeht. So würdig wird einfach nirgendwo Auferstehung gefeiert", findet er. "Hier im Dom ist das kirchliche Leben, wie ich es gewohnt bin und immer gelebt habe. Das bedeutet mir viel", erklärt Creeten, der lange auch als ehrenamtlicher Küster tätig war. Wenn möglich, sei er immer schon eine Stunde vor Gottesdienstbeginn in der Kathedrale. "Dann genieße ich diese Ruhe und freue mich auf jedes einzelne Element, das ich aus meiner Küstertätigkeit wiedererkenne." Er sei einfach nur froh und dankbar, dass die Messen zu Ostern trotz anhaltender Diskussionen über Präsenzgottesdienste stattfinden würden.
Unterstützung für den Erzbischof zum Ausdruck bringen
Mario Schmitz führte geschlagene zwei Stunden die auf Einlass wartende Schlange auf der Domplatte an. Bereits um 19 Uhr – zweieinhalb Stunden vor Beginn der Osternachtsfeier – ist er aus Neuss am Dom eingetroffen. "Ich wollte einen guten Platz", begründet der junge Mann seine Ausdauer, die ebenfalls mit guter Sicht auf den Altarraum in der ersten Reihe belohnt wird. Er komme in jedem Jahr zur Osternacht aus der Neusser Quirinus-Gemeinde nach Köln, "allein schon weil ich hier meine Lieblingsglocke hören will", wie er sagt. "Und ich lasse bei der Gelegenheit immer meine eigene mitgebrachte Osterkerze vom Kardinal segnen. Sie brennt dann das ganze Jahr über bei uns zu Hause." Die bringe er seiner Mutter mit, weil sie selbst nicht mehr mit dabei sein könne.
Gertrud Lutterbach und ihre Freundin Maria Bota schätzen die außergewöhnlich feierliche Liturgie des nächtlichen Gottesdienstes im Dom, wollen bewusst aber auch ein Zeichen der Solidarität setzen. "In diesen besonderen Zeiten ist es uns ein Anliegen, unseren Erzbischof in seinem Dienst zu unterstützen und das mit unserer Teilnahme zum Ausdruck zu bringen." Die beiden älteren Damen freuen sich sichtlich, dass sie in diesem Jahr wieder live mit dabei sein können und nicht – wie 2020 – alles nur vom Bildschirm aus verfolgen müssen. "Auch wenn es in diesem Jahr ja auch wieder vorübergehend zu befürchten stand, dass dieses eindrucksvolle Ostererlebnis nur online stattfinden würde", sagt Lutterbach.
Osterjubel fällt deutlich verhaltener aus
So wird es vielen gehen, die früh genug die Tickets zu diesem Ostergottesdienst gebucht haben und sich nun glücklich schätzen, dass sie zu den wenigen gehören, die die Messe im Dom auf den 172 ausgewiesenen Plätzen mitfeiern können. Mehr – wie an diesem Abend – werden es nur, wenn sich Ehepartner oder Familien anmelden, die dann zusammen in einer Bank sitzen dürfen. Trotzdem beeinflussen die geltenden Abstands- und Hygienevorschriften nicht nur optisch das Gesamtbild. Der Osterjubel, der sonst üblicherweise schon allein zahlenmäßig mit mehreren Tausend Besuchern zum Ausdruck kommt, aber auch in vielen inbrünstig von der Gemeinde gesungenen Kirchenliedern, fällt deutlich verhaltener aus. Domvikar Jörg Stockem hat vor Beginn der Messe noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass den Gemeindegesang ausschließlich die zehn Sängerinnen des Mädchenchores unter der Leitung von Domkantor Sperling übernehmen und die Gemeinde auf "selbsttätiges Mitsingen" daher verzichten möge. Daran halten sich alle konsequent, auch wenn’s schwer fällt und man versucht ist, das eine oder andere beliebte Kirchenlied mitzusummen.
Und auch die vielen leeren Kirchenbänke, an die man sich längst schon irgendwie gewöhnt hat, machen einmal mehr schmerzlich sichtbar, wie viel doch eigentlich fehlt, wenn die Mitfeier des wichtigsten Festes der Christenheit in Präsenz nur wenigen vorbehalten bleibt. Auch im Altarraum ist es nicht so voll wie sonst. Nicht nur, dass Weihbischof Steinhäuser diesmal der einzige Vertreter der Bischofsriege ist, die sonst mit am Altar steht, auch die Anzahl der konzelebrierenden Domkapitulare ist doch um einige Geistliche reduziert.
Im Alltag als österliche Menschen leben
Es ist ein Osterfest unter besonderen Umständen. Das schwingt in dieser Osternacht 2021 merklich mit und sorgt unterschwellig auch für ein wenig Melancholie bei dem einen oder anderen Besucher. Dabei ist die Pandemie mit allen ihren Be- und Einschränkungen nur ein Aspekt. Auch die anhaltende, vor allem medial ausgetragene Debatte um die Rolle von Kardinal Woelki im Kontext der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachten und die aktuelle Kirchenaustrittswelle lassen – gleich im doppelten Wortsinn – den Eindruck deutlich leiserer Töne entstehen. "Alles war wunderschön und super feierlich, aber mir fehlten die überschwängliche Freude, die doch zu Ostern dazugehört, und auch eine gewisse Leichtigkeit. Alle scheinen so bedrückt", sagt jemand nach der Messe beim Verlassen des Domes.
Zuvor hatte Erzbischof Woelki in seinem Schlusswort noch einmal auf das Wesentliche gelenkt. Er erklärt: Der Friede sei mit Euch – mit diesem Gruß sei der Auferstandene seinen Jüngern begegnet. "Das soll auch der Gruß sein, der uns in dieser Stunde vom Auferstandenen entgegengebracht wird: der Frieden, die Einheit, die Versöhnung, die er schenkt zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen. Wir haben den wichtigsten, bedeutendsten und schönsten Gottesdienst der Kirche gefeiert", betont er. Nun gelte es, "das, was wir hier gefeiert haben, in unserem Alltag zu leben als österliche Menschen: aus der Freude des Glaubens heraus, aus der Freude von Ostern heraus. Und den Menschen zu sagen, dass Gott um sie weiß, er einen jeden liebt und kennt, er jeden erlöst und dass Gott auf ihn wartet. In dieser Freude, Zuversicht und Hoffnung wollen wir Gott darum bitten, dass er uns als Gesegnete zum Segen macht für viele Menschen."