Papst Franziskus hat bei einem Besuch des mexikanischen Nationalheiligtums in Guadalupe die besondere Sorge Gottes und der Kirche für Arme und Benachteiligte bekräftigt. Niemand dürfe aus den menschlichen Gemeinschaften, Gesellschaften und Kulturen ausgeschlossen bleiben, sagte er am Samstagabend Ortszeit in der Basilika, die mit 20 Millionen jährlichen Besuchern als das größte Marienheiligtum der Welt gilt. Alle Menschen seien wichtig, vor allem diejenigen, die "den Gegebenheiten nicht gewachsen sind oder nicht das nötige Kapital für deren Aufbau einbringen", so der Papst.
Die Messe in Guadalupe, das für die Christianisierung der Indigenen und der Mestizen in Lateinamerika eine zentrale Rolle spielte, bildete den Abschluss des ersten Besuchstags von Franziskus in Mexiko. Am Abend zuvor war er, von Kuba kommend, zu seinem knapp einwöchigen Besuch in dem bevölkerungsreichsten Land der spanischsprachigen Welt eingetroffen.
"Wahrzeichen der Liebe und der Gerechtigkeit"
Bei seiner Ankunft in Guadalupe begab sich Franziskus zunächst zur alten Kathedrale und zog dann in Prozession zu der modernen Basilika, wo er die Messe feierte. Zum Abschluss wollte er im "Camarin", wo sich das Bild der Gottesmutter befindet, in Stille beten.
Das Heiligtum von Guadalupe, das auf Marienerscheinungen aus dem Jahr 1531 für den inzwischen heiliggesprochenen Indio Juan Diego Cuauhtlatoatzin zurückgeht, sei ein "echtes Wahrzeichen der Liebe und der Gerechtigkeit" geworden, betonte der Papst. Die Gottesmutter habe Juan Diego als «sehr vertrauenswürdigen Botschafter» ausgewählt, um den Bau des zu errichtenden Heiligtums zu beaufsichtigen, zu betreuen und voranzutreiben. Juan Diego habe die Aufgabe ablehnen wollen, weil er sich für nicht geeignet hielt, aber die Gottesmutter habe insistiert, betonte der Papst unter Verweis auf die Geschichte des Heiligtums. Damit habe die Gottesmutter in ihm und damit in allen Kleinen, Vertriebenen und Ausgeschlossenen erstmals Hoffnung geweckt und gezeigt, was die Barmherzigkeit Gottes ist.
Heiligtum für Jugendliche
Guadalupe sei somit zum Heiligtum auch für Jugendliche geworden, die für sich keine Zukunft sehen würden und die vielen schmerzlichen und gefährlichen Situationen ausgesetzt seien. Hierhin kämen viele, die keine Kraft mehr hätten, die keinen Raum für Hoffnung, für Veränderung und für Verwandlung spürten. Auch von den Menschen heute verlange Maria, ihre "Botschafter" für Hungrige, Durstige, Gefangene, Kranke und Traurige zu sein.
Papst Franziskus hat die Bischöfe Mexikos ermahnt, engagiert das Evangelium zu verkünden und die Drogenprobleme des Landes energisch anzugehen. Bei dem Treffen in der Kathedrale von Mexiko-Stadt am Samstagmittag Ortszeit verglich der Papst die Drogenkriminalität mit Metastasen, die den Körper der Gesellschaft vernichten. Der Kampf dagegen verlange "prophetischen Mut" und ein "ernstes und qualifiziertes Projekt", so das Kirchenoberhaupt. "Ich bitte euch, die ethische und bürgerfeindliche Herausforderung nicht zu unterschätzen, die der Drogenhandel für die gesamte mexikanische Gesellschaft einschließlich der Kirche darstellt", appellierte der Papst.
Im Kampf gegen diese Seuche sei ein systematisches Vorgehen notwendig. Die pastorale Arbeit müsse in den Familien und an den Rändern der Gesellschaft beginnen und auch die Kommunen und die Sicherheitskräfte einbeziehen. "Nur so wird man viele Leben ganz aus dem Fahrwasser befreien können, in dem sie erbärmlich ertrinken: sei es das Leben derer, die als Opfer sterben, sei es das Leben derer, die vor Gott immer blutbefleckte Hände haben werden, auch wenn ihre Tasche mit schmutzigem Geld gefüllt und ihr Gewissen betäubt ist", sagte der Papst.
Respekt für indigene Völker
Mit Blick auf die Situation der indigenen Völker in Mexiko und ihre "faszinierenden und nicht selten dezimierten Kulturen" forderte Franziskus die Bischöfe zu besonderem Respekt auf. Er betonte, Mexiko brauche seine indianischen Wurzeln. Die Indigenen Mexikos warteten noch darauf, wirklich anerkannt zu werden. Dies sei Voraussetzung dafür, dass "Mexiko jene Identität erbt, die es zu einer einzigartigen Nation macht und nicht zu einer unter anderen".
Zugleich betonte Franziskus, dass es aufgrund der Geschichte des Landes drei Realitäten gebe: die "antike und reiche Sensibilität der Indianervölker", "das Christentum, das tief in der mexikanischen Seele verwurzelt ist" und "die moderne Rationalität europäischer Prägung, welche die Unabhängigkeit und Freiheit hochhalten möchte". In diesem Zusammenhang ermahnte er die Bischöfe, das Volk stets an die Macht der christlichen Wurzeln zu erinnern. Er wünschte der mexikanischen Kirche, dass es ihr gelingen möge, zur Einheit des Volkes, zu Versöhnung und Integration des Landes beizutragen.
Ein besonderes Lob sprach Franziskus den Bischöfen für ihren Einsatz für die Millionen von Migranten aus, die in einer Auswanderung nach Nordamerika ihr Glück suchen. Er forderte sie auf, sich gemeinsam mit den US-amerikanischen Bischöfen um die Migrantenseelsorge zu kümmern.
Verhaltene Reaktion der Bischöfe
Mit zum Teil harschen Worten ermahnte Franziskus die Bischöfe zu Bescheidenheit und Transparenz. Er warnte sie vor Klerikalismus und Triumphalismus, vor Intrigen, "eitlen Karriereabsichten" oder "unfruchtbare Interessengemeinschaften und Komplizenschaften". Die Kirche brauche für ihre Arbeit keine Dunkelheit. Die Bischöfe sollten einen klaren Blick, eine transparente Seele und ein offenes Gesicht haben, betonte der Papst.
Abweichend vom Redemanuskript forderte er sie auf, bei internen Streitigkeiten "die offene Debatte unter Männern" zu suchen, die sich streiten und dennoch zusammen beten und einander verzeihen können. Die 170 Mitglieder der Mexikanischen Bischofskonferenz hörten die Rede des Papstes in den Bänken der Kathedrale sitzend an; zum kurzen Applaus am Ende erhoben sich nur einige von ihnen.
Gegen Gewalt und Korruption
Zum Auftakt seiner Mexiko-Reise hatte Franziskus zuvor Gewalt und Korruption in dem lateinamerikanischen Land angeprangert. Bei einer Begrüßungszeremonie im Regierungspalast von Mexiko-Stadt beklagte er, das viele Leid, das etwa die Drogenkriminalität verursache, bremse die Entwicklung des Landes. Er forderte den Aufbau eines "menschenwürdigen politischen Lebens", in dem sich niemand als Opfer fühle.
Die politisch Verantwortlichen Mexikos müssten dafür sorgen, dass alle Bürger "effektiv Zugang zu den unerlässlichen materiellen und geistigen Gütern erhalten", fügte der Papst hinzu. Dazu zählten angemessener Wohnraum, menschenwürdige Arbeit, Ernährung, Gerechtigkeit, Sicherheit, eine gesunde Umwelt und Frieden, mahnte der Papst.
Neue Formen des Dialogs
Der Papst sprach vor Politikern, Wirtschaftsvertretern und Diplomaten im Nationalpalast von Mexiko-Stadt. Als erster Präsident des Landes hatte Staatschef Enrique Pena Nieto ihn dorthin eingeladen. Bei allen früheren Papstbesuchen waren die Empfänge wegen der streng laizistischen Verfassung des Landes protokollarisch niedriger eingestuft.
Franziskus forderte in seiner Rede neue Formen des Dialogs zwischen den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kräften des Landes. Die katholische Kirche wolle mit der Regierung zusammenarbeiten. Leider werde das "Gemeinwohl" zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht hoch gehandelt, betonte Franziskus. Es sei notwendig, ein "wirklich menschenwürdiges politisches Leben" und eine Gesellschaft aufzubauen, "in der sich niemand als Opfer der Wegwerfkultur fühlt", sagte der Papst in seiner ersten Rede auf mexikanischem Boden.
Am Nachmittag (01.00 Uhr MEZ) feiert Franziskus eine Messe in dem größten Marienheiligtum der Welt in Guadalupe. Er werde "Maria anflehen, ihren barmherzigen Blick niemals von uns abzuwenden", schrieb er am Freitag über den Kurznachrichtendienst Twitter.Der Gottesdienst gilt als religiöser Höhepunkt des sechstägigen Papstbesuchs in Mexiko. Franziskus war am Freitagabend (Ortszeit) in dem lateinamerikanischen Land angekommen.
Weiterreise nach Ecatepec
Wenige Stunden vor seinem Eintreffen in Mexiko war Franziskus bei einem Zwischenstopp auf Kuba als erster Papst der Kirchengeschichte mit dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., zusammengetroffen. In einer gemeinsamen Erklärung betonten die Kirchenoberhäupter den Wunsch nach Einheit und warnten angesichts der Konflikte in Nahost vor der Gefahr eines neuen Weltkriegs.
Am Sonntag reist Franziskus weiter in die nahe gelegene Millionenstadt Ecatepec, die mit einer Serie von Morden an Frauen Schlagzeilen machte. Am Montag steht die Provinz Chiapas im Süden auf dem Reiseprogramm. Dort kämpft seit Jahrhunderten die indigene Bevölkerung um Gleichberechtigung mit den wohlhabenderen Mestizen und Weißen im Norden. Am Dienstag besucht Franziskus die Stadt Morelia im Bundesstaat Michoacan, das als Hochburg des Drogenhandels gilt. Ein letzter Höhepunkt der zwölften Auslandsreise des Papstes ist der für Mittwoch geplante Aufenthalt in Ciudad Juarez an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze.
Gläubige hoffen auf Appell an Politik
Von der Reise in das vom Drogenkrieg erschütterte Mexiko erhoffen sich viele Gläubige deutliche Worte von Papst Franziskus an die politisch Verantwortlichen. In einer Videobotschaft hatte er im Vorfeld die ausufernde Korruption und Gewalt in Mexiko angeprangert. Am Mittwoch will der Papst mit Häftlingen im Gefängnis von Cereso sprechen, das als eines der gefährlichsten in Lateinamerika gilt.
Für Aufmerksamkeit innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche sorgt auch der Besuch im von Armut und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung geprägten südlichen Bundesstaat Chiapas am Montag. Franziskus will nicht nur eine Messe mit Ureinwohnern feiern. Er lenkt den Blick auch auf die jahrzehntelange innerkatholische Diskussion darüber, ob in Chiapas überwiegend verheiratete Diakone anstelle von zölibatär lebenden Pfarrern geweiht werden sollen.
Schon jetzt steht fest, dass es nicht die letze Reise des Argentiniers auf seinen Heimatkontinent werden wird. Am Donnerstag (Ortszeit) teilte Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos per Twitter mit, der Papst habe einen für 2017 erwarteten Besuch in Kolumbien für die erste Jahreshälfte offiziell bestätigt.