domradio.de: Wie war das, als Sie mitbekommen haben, dass sich Papst Franziskus mit dem russischen Patriarchen Kyrill I. getroffen hat?
Berthold Pelster (Nahost-Experte des kirchlichen Hilfswerks "Kirche in Not"): Die Nachricht, dass sich die beiden treffen würden, kam relativ überraschend. Wir hatten das seit Jahren erwartet, aber der genaue Termin war ja lange Zeit geheim gehalten worden. Für uns war das eine großartige Sache. Ich habe mir heute im Internet ganz schnell Fotos und Videos angeschaut und da habe ich eine Gänsehaut bekommen, weil wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Dass sich der Papst und der Patriarch von Moskau treffen, ist wirklich ein historisch bedeutsames Ereignis.
Kirche in Not hat seit Anfang der 90er-Jahre der russisch-orthodoxen Kirche geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Diese Kirche hat unter dem Kommunismus mehr als jede andere Kirche gelitten. Über einige Jahrzehnte hinweg haben die Kommunisten versucht, den christlichen Glauben auszurotten. Sie haben viele Kirchen zerstört, viele orthodoxe Priester und Bischöfe sind umgebracht worden. Die Kirche ist durch diese kommunistische Herrschaft sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Das ist zum Glück seit Anfang der 90er-Jahre vorbei. Kirche in Not hat unter anderem mitgeholfen, die Priester auszubilden und die Bibliotheken wieder mit Literatur auszustatten.
domradio.de: Sie sind international tätig, hat die Flüchtlingskrise ihre Arbeit verändert?
Berthold Pelster: Ich denke schon. Vor allen Dingen die Arbeit im Nahen Osten. Wir sind dort seit Jahrzehnten tätig und haben immer das kirchliche Leben unterstützt, indem wir die Ausbildung von Priestern gefördert haben, indem wir Ordensleute unterstützt haben und den Bau von Kirchen gefördert haben. Aber seit 2014 hat die Lage dort noch einmal an Dramatik gewonnen. Die Verfolgung der Christen in Syrien, im Irak ist so schlimm, wie selten zuvor. Wir erinnern uns noch alle, als im Sommer 2014 mehr als 120.000 Christen aus Mossul und der angrenzenden Ninive-Ebene vertrieben worden sind. Über Nacht haben sie praktisch ein Ultimatum von den Milizen des Islamischen Staates bekommen, der Mossul erobert hatte und sie mussten fliehen und konnten nur das Allernötigste mitnehmen. Sie sind dann in den kurdischen Teil des Iraks geflüchtet und dort musste den Menschen geholfen werden. Sie haben sich dann nach Ankawa gewendet, das ist ein Stadtteil von Arbil. Dort gab es christliche Gemeinden, in denen sie Zuflucht gesucht haben. Die Priester von dort sind mit uns in Kontakt getreten und wir haben dann zusammen mit anderen Hilfsorganisationen die Menschen unterstützt. Wir haben Geld bereitgestellt, damit Wohncontainer aufgestellt werden konnten. Wir haben auch Schulcontainer für ungefähr 15.000 Kinder errichten lassen, damit sie wieder zur Schule gehen konnten. Da hat sich unsere Hilfe vor Ort noch einmal deutlich geändert und einen anderen Akzent bekommen.
domradio.de: Die Kirche in Deutschland ist schon aktiv, um den Flüchtlingen zu helfen. Aber Sie sind sozusagen an der Wurzel vor Ort. Ist das nicht auch ein großes Problem, dass so viele Christen flüchten, weil Sie die Christen eigentlich vor Ort unterstützen wollen?
Berthold Pelster: Die Bischöfe mit denen wir dort sprechen, sind immer ganz verzweifelt. Sie sagen, dass sie natürlich verstehen können, wenn ein Familienvater die Entscheidung trifft, in den Westen zu gehen, nach Europa oder nach Amerika, nach Lateinamerika, da gibt es sehr viele orientalische Christen. Sie können das verstehen, wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder denken, sie wollen nicht, dass Kinder in Flüchtlingssiedlungen groß werden oder ständig der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Entführungen oder Kriegen zu werden. Auf der anderen Seite wollen die Bischöfe die christliche Gemeinschaft im Orient erhalten. Sie sind immer hin und hergerissen. Ich glaube, dass viele von ihnen wegen dieser inneren Zerrissenheit schlaflose Nächte haben.
Das Gespräch führte Silvia Ochlast.