Papst besucht "größtes katholisches Denkzentrum der Welt"

Universität Löwen freut sich auf Franziskus

Papst Franziskus besucht Belgien. Am Sonntag feiert er eine Messe im Brüsseler Stadion. Anlass seines Besuchs ist der 600. Geburtstag der Universitäten von Löwen und Neu-Löwen, dem "größten katholischen Denkzentrum der Welt".

Autor/in:
Johannes Schröer
Universität in Leuven / © Wolf-photography (shutterstock)
Universität in Leuven / © Wolf-photography ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es gibt die flämische Universität von Löwen und es gibt die französischsprachige Universität von Neu-Löwen. Können Sie erklären, warum es da zwei Universitäten gibt? 

Prof. em. Reimund Bieringer (Neutestamentler an der Katholischen Universität Löwen (Leuven) in Belgien): In Belgien gibt es zwei große Gemeinschaften, die französischsprachige wallonische Gemeinschaft in der Region Wallonien und die niederländischsprachige flämische Gemeinschaft in Flandern. Schon im 19. Jahrhundert, Anfang des 20. Jahrhunderts, gab es in Hinsicht der Gleichberechtigung der Sprachen Spannungen zwischen den beiden Gruppen .

Im Jahr 1963 wurde dann eine Sprachgrenze gesetzlich festgelegt. Und Löwen wurde Flandern zugeordnet. Aber an der Universität gab es eine wichtige französischsprachige Richtung - dort wurde auch auf französisch studiert. Das war dann ein seltsames Gebilde. In der flämischen Stadt Löwen, wo niederländisch gesprochen wurde, konnte man französisch studieren.

Es kam dann zu größeren Spannungen, zu Demonstrationen - vor allem 1968. Die internationalen Studentenunruhen hatten in Löwen vor allem das Ziel, eine flämisch, niederländischsprachige Universität zu gründen. Nach vielen Streitereien wurde entschieden, dass die alte Universität Löwen in zwei Universitäten getrennt wird. Für die französischsprachige Universität wurde etwa 25 Kilometer weiter südlich eine ganz neue Universität aufgebaut, während die niederländischsprachige Universität in Löwen in den alten Gebäuden blieb. 

DOMRADIO.DE: Vor 600 Jahren wurde die katholische Universität Löwen gegründet. Was hat zur Gründung geführt? 

Blick auf die Altstadt von Leuven / © canadastock (shutterstock)
Blick auf die Altstadt von Leuven / © canadastock ( shutterstock )

Bieringer: Damals ging der für die Region bedeutsame Tuchhandel zurück und der Herzog Jan IV. von Brabant beschloss, eine Universität zu gründen. Der Herzog setzte sich sehr für die Bildung ein. Interessanterweise wollte er die Universität eigentlich in Brüssel gründen. Aber die Brüsseler wollten die Studenten nicht, weil sie dachten, die bringen nur Unruhe. Dann wurde die Universität in Löwen gegründet.

Es ist interessant, dass die Tuchhalle, dort wo der Tuchhandel damals stattgefunden hat, zur Hälfte für die Gründung der Universität zur Verfügung gestellt wurde. Heute ist diese Universitätshalle noch der eigentliche Sitz der Universität. 

DOMRADIO.DE: In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts galt die Universität von Löwen als eine Hochburg der katholischen Befreiungstheologie - mit viel Einfluss auf Lateinamerika. Wie kam es denn dazu? 

Bieringer: Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Gebrüder Boff und auch Gustavo Gutierrez in Löwen studierten. Aber ob der Einfluss der Universität auf die Befreiungstheologie so stark war, wie das vor allem in Deutschland oft dargestellt wird, wage ich zu bezweifeln.

Es scheint so zu sein, dass die späteren Befreiungstheologen - Gutierrez zum Beispiel - in Löwen Soziologie studierten und dass sie in Löwen die Bewegung von Kardinal Joseph Cardijn kennenlernten. Kardinal Cardijn war der Begründer der internationalen Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Für ihn war der Dreiklang "sehen, urteilen, handeln" bedeutend. Ich denke, dass das ein großer Auslöser für Boff und Gutierrez war und für ihre Ideen zur Entwicklung der Befreiungstheologie. 

Reimund Bieringer

"Sicher ist es nicht übertrieben, wenn man sagte: das ist das größte katholische Denkzentrum der Welt."

DOMRADIO.DE: Es ist schon etwas Besonderes, dass Papst Franziskus Löwen besucht. Seine Besuche in europäische Länder kann man sonst an einer Hand abzählen. Es muss ihm also sehr wichtig sein. Warum bedeutet ihm das so viel? 

Bieringer: Zum einen scheint Papst Franziskus schon seit langem einige gute Freunde und Kontakte zu Menschen zu haben, die in Belgien wohnen oder aus Belgien kommen. Und andererseits hängt es mit der Bedeutung der beiden Universitäten von Löwen zusammen.

In der niederländischsprachigen Universität Löwen studieren zurzeit etwa 65.000 junge Menschen und in der französischsprachigen Universität in Louvain-la-Neuve (Neu-Löwen) über 40.000. Das sind über 100.000 Studierende an beiden Universitäten. Sicher ist es nicht übertrieben, wenn man sagte: das ist das größte katholische Denkzentrum der Welt.

Ein historisches Jubiläum von 600 Jahre Universität Löwen unterstreicht auch die wichtige Bedeutung dieser beiden Universitäten für die katholischen Welt. So ist es vielleicht verständlich, dass der Papst auf die Einladung des Königs von Belgien eingegangen ist, nach Löwen zum Jubiläum zu kommen.

Reimund Bieringer

"Wir müssen uns der zunehmenden Säkularisierung stellen."

DOMRADIO.DE: Und was bedeutet der Papstbesuch für die Universität? 

Bieringer: Der Papstbesuch ist für uns an der Universität auch eine Einladung, über unsere katholische Identität nachzudenken - über die Frage, was es für uns bedeutet, dass Löwen eine katholische Universität ist.

Wir müssen uns der zunehmenden Säkularisierung stellen und darüber diskutieren, wie wir unter den säkularen Bedingungen die katholische Tradition weiterführen können. Der Papstbesuch kann für uns ein Impuls sein, darüber neu nachzudenken.

DOMRADIO.DE: Wie ist das denn in Belgien? Wie macht sich dort die Krise durch die zunehmende Säkularisierung bemerkbar? 

Bieringer: Flandern gehört zu den Regionen Europas, die am meisten säkularisiert sind. Das geht natürlich auch nicht an einer Universität wie Löwen vorbei. Aber an unserer Universität sind die katholischen Werte und auch das katholische Selbstbild tief verwurzelt. Nicht nur, weil wir eine sehr starke katholisch-theologische Fakultät haben, die - nach anerkannten Rankings - international zu den besten der Welt gehört, sondern auch weil wir das Studienjahr mit einer Messe beginnen - und für das zweite Semester findet Anfang Februar zum Patronatsfest der Universität, an Lichtmess, eine Messe statt.  

Die spannungsreiche Verbindung zwischen Glaube und Wissenschaft spielt an der Universität eine sehr wichtige Rolle. Man kann sehr gläubig, katholisch sein und gleichzeitig auch sehr offen für die Wissenschaften. Der Löwener Prof. Georges Lemaître ist dafür ein Vorbild. Er war Priester und Wissenschaftler. Er hat wissenschaftliche Artikel geschrieben, die die Theorie der Expansion des Universums und die Idee des Urknalls begründeten. In dieser Tradition können die Löwener Universitäten weiterhin einen wichtigen Beitrag leisten. 

Ein anderer Punkt ist, dass die katholische Universität Löwen sehr international ist und der Anteil internationaler Studierender von außerhalb der Europäischen Union sehr groß ist. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Ausbildung von Fachkräften in den Ländern, die es wirtschaftlich schwer haben und die sicher diese Unterstützung gebrauchen können. Es gibt auch viele Forschungsprojekte, die zur Lösung von Problemen in Ländern des globalen Südens beitragen. 

DOMRADIO.DE: Nun gab es Stimmen in den Medien, die behaupteten, dass die Universität Löwen den Papstbesuch nicht genügend auf ihren Internetseiten propagiert oder sogar versteckt hat. Haben Sie das auch gehört? 

Bieringer: Ich habe das auch gelesen - in der deutschen Presse. Das fand ich seltsam. Meiner Beobachtung nach war das eine Außenseitermeinung. Es hat doch keinen Sinn, den Papst einzuladen und das dann zu verstecken. Also ich habe diesen Eindruck hier nicht. Es ist schwer zu verstehen, wo das herkommt. 

DOMRADIO.DE: Nun befindet sich auch die belgische Kirche in einer Krise. Auch in Belgien gibt es sexualisierten Missbrauch durch Geistliche. Wie würden Sie die Situation zurzeit beschreiben? 

Reimund Bieringer

"Ich freue mich, den Papst in Belgien willkommen zu heißen."

Bieringer: Die Situation ist sicher sehr schwierig. Durch den Papstbesuch kommt das auch in den Medien erneut zur Sprache. Wichtig ist vor allem, dass die flämische Kirche hier und auch die wallonische Kirche, also insgesamt die belgische Bischofskonferenz, sich dem Problem wirklich gestellt hat und gut reagiert hat.

Zum Beispiel gibt es viele Maßnahmen zur Vorbeugung und zur Aufarbeitung, auch für die Begleitung betroffener Menschen und für die finanzielle Entschädigung. Es sind wirklich große Anstrengungen gemacht worden, aber es muss auch noch viel passieren. 

DOMRADIO.DE: Werden Sie beim Papstbesuch dabei sein? 

Bieringer: Ja, ich werde sogar dreimal dabei sein, also bei der akademischen Feier am Freitag hier in Löwen, dann am Samstagmorgen in der Kathedrale von Koekelberg, wo der Papst sich mit Menschen trifft, die sich in der belgischen Pastoral engagieren. Dort ist ein Gespräch mit dem Papst über die Situation der Pastoral in Belgien geplant. Und dann werde ich auch beim abschließenden Gottesdienst im Stadion am Sonntag in Brüssel dabei sein. 

Blick auf die Basilika auf dem Koekelberg in Brüssel / © Maykova Galina (shutterstock)
Blick auf die Basilika auf dem Koekelberg in Brüssel / © Maykova Galina ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen das? 

Bieringer: Für mich ist das sehr wichtig. Ich bin auch Rektor eines Kollegs für Studierende. Hier haben wir etwa 60 Priester aus etwa 20 verschiedenen Ländern. Mit ihnen werden wir diesen Gottesdienst besuchen und werden dadurch auch, was auch für mich wichtig ist, die universale und internationale Dimension, die Unterschiedlichkeit und die Diversität der katholischen Kirche in der Einheit, für die der Papst steht, erleben. Ich freue mich, den Papst in Belgien willkommen zu heißen.

Kirche in Belgien

Belgien hatte in der jüngeren Kirchengeschichte große Bedeutung als Stätte der wissenschaftlichen Theologie und in der Mission. Nach den Missbrauchsskandalen steht zuletzt wie anderswo eher Krisenbewältigung im Zentrum. Vor allem die Universität Löwen (Leuven/Louvain) ist eine europaweit renommierte Stätte der wissenschaftlichen Theologie und speziell der Missionstheologie. Sie verlor allerdings etwas von ihrem Nimbus im flämisch-wallonischen Sprachenstreit der 1960er Jahre und durch die sprachliche und räumliche Trennung in zwei Hochschulen.

Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang (shutterstock)
Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang ( shutterstock )
Quelle:
DR