domradio.de: Das hätte es früher nicht gegeben: Wenn Papst und Primas sich begegnen, wirkt es fast freundschaftlich. Sie scherzen sogar miteinander. Da kann man sich fragen: Mögen die sich wirklich so sehr oder ist das nur Show?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redakteur): Ich würde schon sagen, dass es keine Show ist und dass sie sich wirklich mögen. Es ist allerdings auch nicht besonders schwierig, weil Franziskus auch die einzigartige Fähigkeit hat, menschliche Blockaden zu überwinden, um den Präfekten der Glaubenskongregation zu zitieren. Auch Justin Welby zeichnet natürlich auch eine gewisse Herzlichkeit aus. Es ist nicht das erste Treffen, sondern bereits das dritte. 2013 haben sie sich zum ersten Mal getroffen und dann beim sogenannten Gebetstreffen 2014 in Assisi. Da ist es schon zu einigen Scherzen und netten Bemerkungen gekommen. Insofern ist damit zu rechnen, dass es in dieser Form auch weitergeht.
domradio.de: Der offizielle Dialog zwischen den Kirchen begann vor 50 Jahren. Was hat sich seitdem getan?
Stens: Es gab Zeiten, da waren sowohl Anglikaner als auch Katholiken nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Das ist das Ergebnis einer sehr leidvollen Geschichte. Die Entstehung der anglikanischen Kirche muss man mit der Rolle vergleichen, die England auch mit in der EU spielt: Immer schon am Rande gewesen, immer schon ein bisschen eigenständig. So war das auch mit der Kirche. Unter Heinrich VIII. ist es dann zur Loslösung von der römischen Kirche gekommen. Die Katholiken in England haben immer schon eine schwierige Rolle gespielt. Sie galten zum Teil auch als Staatsfeinde.
Wir erinnern uns zum Beispiel an das versuchte Pulverfass-Attentat vom 5. November 1605, welches durch Katholiken auf das britische Parlament geplant gewesen war. Insofern ist es so, dass es hier immer schon Verwundungen gegeben hat. Im 20. Jahrhundert gab es dann Annäherungen. Anglikaner waren zum Beispiel als Beobachter beim Zweiten Vatikanischen Konzil anwesend. Dort hat die römisch-katholische Kirche ihre Sichtweise auf die anderen Konfessionen und auf die kirchlichen Gemeinschaften der Reformation nochmal neu sortiert und geordnet. So ist es eben zu einigen Zusammenkünften gekommen. Insofern ist man hier seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil offiziell im guten Gespräch.
domradio.de: Katholik zu sein bringt im Heimatland des Primas aber doch noch manche Probleme mit sich. Toni Blair, der ehemalige Premier von Großbritannien zum Beispiel, ist ja erst nach seiner Amtszeit zum Katholizismus konvertiert. Was hat es damit auf sich? Durfte er das vorher nicht?
Stens: Doch, er hätte es machen dürfen. Es hätte aber sicherlich große Irritationen gegeben. Wir müssen uns vorstellen, die Mehrheit der Engländer ist anglikanisch, und dann konvertiert der Premierminister zum Katholizismus. Das hat diesen Geschmack, von dem ich gerade schon erzählt habe. Andererseits gibt es in England auch eine große Gruppe von Agnostikern, beziehungsweise auch einen starken Atheismus. Blair soll selbst gesagt haben, dass ihm Religion immer wichtig gewesen sei, aber er hat das während seiner Amtszeit nie großartig zum Thema gemacht, weil man ihn sonst für verrückt erklärt hätte. Somit hat er das auf die Zeit nach seiner Amtszeit verlegt.
Was für die anglikanische Kirche gilt: Wir haben es hier mit einer Staatskirche zu tun. Der König, die Königin ist das Oberhaupt, aber der Premier ist bei den Bischofsernennungen durchaus auch berechtigt, Kandidaten vorzuschlagen. Ein katholischer Premier würde dabei sicherlich einige Irritationen auslösen. Es gibt kein Gesetz in England, das vorschreibt, dass der Premierminister im Gegensatz zum König nicht katholisch sein darf. Aber Blair hat es aus Rücksicht auf die anglikanische Mehrheit sowie die Agnostiker und nichtreligiösen Menschen in seinem Land so gehalten, dass er erst nach seiner Amtszeit zur katholischen Kirche konvertiert ist.
domradio.de: Werden solche möglichen Streitpunkte auch angesprochen bei einem Treffen?
Stens: Das Gespräch heute ist als privat deklariert. Das heißt: Die Inhalte sind eigentlich gar nicht genau bekannt. Man muss dazu auch sagen, dass es nicht die primäre Aufgabe des Papstes ist, die englische Politik zu bewerten. Es wird in erster Linie sicherlich einen guten und freundschaftlichen Dialog zwischen Franziskus und Erzbischof Welby geben. Möglicherweise wird auch die ein oder andere theologische Komponente angesprochen. Ich denke es geht aber erst einmal darum, das Gemeinsame, das Christusbekenntnis, aber auch das Wirken in der Welt zu thematisieren. Vielleicht wird es auch um Europa gehen. Da erleben wir gerade ein großes Auseinanderbrechen mit vielen Fragen bezüglich des Brexits.
domradio.de: Heute Abend gibt es aber ein gemeinsames Gebet. Und dafür wurde ein besonderer Ort ausgewählt: Das Kloster "Sankt Andreas und Sankt Gregor am Monte Celio". Warum ist dieser Ort für beide Kirchen so bedeutend?
Stens: Dieses Andreaskloster Monte Celio kann man als Mutterhaus der anglikanischen Kirche bezeichnen. Es ist eine Gründung durch Papst Gregor den Großen im Haus seiner Familie. Er hatte dort sein Stammhaus stehen und dort wurde dieses Kloster gegründet. Der Abt Augustinus wurde Ende des 6. Jahrhunderts durch Gregor zu einer Missionsreise nach Kent geschickt. Augustinus wurde dann der erste Erzbischof von Canterbury und demnach Apostel der Angelsachsen. Justin Welby ist sein 104. Nachfolger. Das heißt: Hier liegen vielleicht die Wurzeln der anglikanischen Kirche. Darum ist es auch für Justin Welby ein denkwürdiger Ort.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.