Nach Ansicht des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner sollten sich Theologie und Kirche nicht vorschnell mit dem Befund abfinden, dass die religiöse Gleichgültigkeit in Europa immer weiter wachse. Dies werde der tatsächlichen Pluralität der religiösen Überzeugungen und Weltanschauungen nicht gerecht, schreibt Zulehner in einem Beitrag für das Portal "communio.de" am Mittwoch.
Zulehner reagiert damit auf Würdigungen der Theologen Jan-Heiner Tück und Tomas Halik zum 2024 erschienenen Buch "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt" des im niederländischen Tilburg lehrenden Pastoraltheologen Jan Loffeld. Diese waren vergangene Woche ebenfalls auf "communio.de" veröffentlicht worden. Tück und Halik bezeichneten darin das Buch als wichtige Reflexion auf moderne Ausformungen der Säkularisierung.
Gottverstecke aufspüren
"Jan Loffeld meint: Der Typ der Gleichgültigen, die Apatheisten und Egalisten, sei zunehmend dominant, er sei dabei, sich in Europas Kulturen unaufhaltsam breitzumachen und alle anderen religiös-kirchlichen Typen bedeutungslos zu machen", so Zulehner. Er selbst würde dem religiösen Pluralismus mehr Chancen geben, so der Theologe. Ein derartiger Befund mache nicht die Orte sichtbar, wo heute noch Religiosität, wenngleich oftmals nicht mehr kirchliche gebunden, gelebt werde.
Wenn man theologisch von der Annahme ausgehe, dass Gott sich nicht von der Welt abwende, sondern weiterhin in ihr wirke, könnte sich daraus "eine neuartige sozialwissenschaftliche Religionsforschung" entwickeln, so Zulehner. Diese würde versuchen, Gottesverstecke im Leben und Zusammenleben heutiger Menschen aufzuspüren.
Für die Kirche wiederum würde sich die Frage stellen, wie sich dieser Schatz des "Gottvorkommens" heben lasse: "Der Akzent pastoralen Handelns würde sich von einer Pastoral des kirchenzentrierten Gottesimports zu einer Pastoral des Gottaufspürens verlagern."