Pater berichtet über sein Jahr als Gefangener von Islamisten in Mali

Essen und Beten unter einer Plane

Ein Jahr lang war der deutsche Pater Hans-Joachim Lohre in den Händen von Islamisten in Mali und lebte wie seine Entführer als Nomade. Er erzählt, wie er die Zeit überstanden hat und warum er ihr sogar etwas Positives abgewinnen kann.

Autor/in:
Andreas Otto
Pater Hans-Joachim Lohre in seinem Büro der katholischen Universität in Bamako (Mali) am 26. November 2015. / © Hans B. Schering (KNA)
Pater Hans-Joachim Lohre in seinem Büro der katholischen Universität in Bamako (Mali) am 26. November 2015. / © Hans B. Schering ( KNA )

Es ist der 20. November 2022. Pater Hans-Joachim Lohre will gerade in der malischen Hauptstadt Bamako in sein Auto einsteigen, um zur Sonntagsmesse zu fahren. Doch plötzlich kommen drei Leute in Militäruniformen auf ihn zu, zerren den katholischen Priester in ihren Wagen und fahren davon. Zuerst denkt er, Malis neue Machthaber hätten ihn verhaftet. Doch als die Fahrt am Sitz der Militärregierung vorbeiführt, weiß er: Er ist in der Hand von Islamisten.

Pater Hans-Joachim Lohre war ein Jahr Gefangener von Islamisten in Mali. / © Hans B. Schering (KNA)
Pater Hans-Joachim Lohre war ein Jahr Gefangener von Islamisten in Mali. / © Hans B. Schering ( KNA )

Pater Ha-Jo - wie er genannt wird - stammt aus dem ostwestfälischen Hövelhof. Für seinen Orden, den als "Weiße Väter" bekannten Afrikamissionaren, wirkt er schon mehr als ein Vierteljahrhundert in Mali. In dem Land mit rund 80 Prozent Muslimen und höchstens zwei Prozent Christen hat er sich unter anderem als Studierendenseelsorger und zuletzt in einem Zentrum für den christlich-islamischen Dialog engagiert. Der Geistliche berichtet, wie ihm die Kidnapper im Auto Handschellen anlegen und eine Mütze über den Kopf ziehen. Sofort befällt ihn ein Gedanke: "Das kann jetzt Jahre dauern."

"Leben wie in Pfadfindercamp"

Denn er ist in den Händen eines mit Al-Kaida verbundenen Tuareg-Stammes. Und der hat in seinem Kampf für die Einführung der Scharia schon mehrere andere Europäer über vier, sechs oder acht Jahre in seine Gewalt gebracht, auch um Lösegeld oder die Freilassung von Gefangenen zu erpressen. Bei aller Tragik - der vor ihm liegenden Zeit versucht der Pater einen positiven Sinn zu geben. Keine Termine und endlich mal viel Zeit zum Beten. "Ich beginne heute mein Sabbatjahr", sagt er sich.

Die Tuareg hätten ihm schnell signalisiert, ihm nichts zu tun. Und tatsächlich sei er stets anständig behandelt worden - ohne Gewaltexzesse, wie man sie etwa von der Terrorgruppe Islamischer Staat kenne. Die nun folgende Zeit vergleicht Pater Ha-Jo mit dem Leben in einem Pfadfindercamp - draußen unter einer von vier Pfosten gehaltenen Plane: mal im steppigen Buschland, mal in der Wüste und dann im Gebirge im Norden des Landes. 

Zweimal am Tag gibt es warmes Essen. Zum Waschen hinter einer Sanddüne oder einem Busch geben ihm seine Bewacher einen 20-Liter-Kanister mit. Ansonsten kann er sich - mit Kaftan-Robe und Turban bekleidet - in einem zugewiesenen Bereich bewegen. Und theoretisch auch fliehen. "Aber 300 Kilometer Wüste und Wildnis drumherum - da denkt man einfach nicht an Flucht."

Bekehrungsversuche des Gefangenen

Als belastend an dem unfreiwilligen Nomadenleben empfindet Pater Ha-Jo die Bedrohung durch giftige Tiere wie Schlangen, Spinnen oder Skorpione. Zwar seien das auch Geschöpfe Gottes. "Aber sie sind doch nur da, um tot gemacht zu werden", witzelt der Geistliche. Und dann quält die nächtliche Kälte in der Wüste. "Ich habe in meinem Leben noch nie so viel gefroren." Manchmal kann er sich an einem Lagerfeuer wärmen. Ein Bewacher gibt ihm einmal seine Decke. Aus Sicht von Lohre wollen die Tuareg moralische Überlegenheit zeigen, indem sie ihre Gefangenen human behandeln - und damit ganz anders, was ihnen Bilder aus dem Gefangenenlager Guantanamo vermitteln, wo Amerikaner Muslime mit kaltem Wasser abspritzten.

Zwischen dem Pater und seinen Entführern entwickelt sich ein ganz spezieller muslimisch-christlicher Dialog. Die Dschihadisten wollten zurück zur idealisierten Zeit von Mohammed, zu einem Leben nach der Scharia ohne westliche Übel wie Rauchen, Alkohol oder Sex vor der Ehe, so Lohre. Und dahin wollen auch sie ihn bekehren. Immer wieder kommt einer seiner Bewacher, um von ihm das muslimische Glaubensbekenntnis zu hören. Den ersten Teil sagt der Ordensmann wortgetreu und voller Überzeugung auf: "Es gibt keinen Gott außer Gott." Den zweiten Teil "Und Mohammed ist sein Prophet" wandelt er aber ab in "Und Jesus ist das Wort Gottes".

Bei allem Bemühen, ihn "vom einzig wahren Glauben" zu überzeugen und vor dem Höllenfeuer zu bewahren, hält Lohre konsequent an seinem christlichen Leben fest. So wie er das der Muslime respektiert. Über zwei Stunden am Tag feiert er Gottesdienst und stellt sich dabei vor, in einer Pfarrgemeinde, vor Studierenden oder in der Kathedrale zu sein. "Nach 40 Priesterjahren kann man das Evangelium halbwegs auswendig." Der imaginierten Gemeinde hält er die Predigt. Wein geben ihm die Islamisten nicht, aber zumindest mit Brot kann er die katholische Messe feiern. "Das Kirchenjahr mit Advent, Weihnachten, Ostern und den vielen Heiligenfesten - das ist in dieser Zeit meine Stütze."

Pater hört Gebet für seine Freilassung im Radio

Nach ein paar Monaten kommt unerwartet eine Abwechslung in den Gefangenen-Alltag: ein Radio. Pater Ha-Jo wird zu dieser Zeit gemeinsam mit drei italienischen Zeugen Jehovas festgehalten - und sie alle erfahren plötzlich, was in der Welt vor sich geht: der tödliche Flugzeugabsturz des Wagner-Chefs Prigoschin oder der Hamas-Terroranschlag - auf einmal ist die Weltpolitik im Wüstenlager präsent. Sonntags bringt das nationale Radio in Mali eine katholische Sendung. Und hier hört Pater Ha-Jo eines Tages ein Gebet - für seine Freilassung. "Das hat mich zu Tränen gerührt."

Am 26. November 2023 befindet sich Lohre auf dem Flug nach Deutschland. Seine Geiselnahme endet damit viel früher als in vielen anderen Fällen. Was dazu geführt hat, weiß er nicht. Aber eine Rolle kann aus seiner Sicht auch die Initiative gespielt haben, die der Präsident des hohen Islamrates in Mali gestartet hatte. Wegen der Entführung des Ordensmannes initiierte er zwei Wochen später eine Demo gegen die Militärführung wegen wachsender Unsicherheit. Und rief die Muslime dazu auf, fortan bei jedem Freitagsgebet für den christlichen Pater zu beten. Seiner Entführung kann er etwas Positives abgewinnen: "Sie hat den christlich-islamischen Dialog mehr vorangebracht, als ich mir das jemals hätte träumen lassen."

Gemeinsam mit seinem Ordensoberen wird Pater Ha-Jo nach seiner Entführung auch vom Papst empfangen. Franziskus will wissen, wie er denn die schreckliche Zeit in Mali überstanden habe. Als Lohre davon spricht, dass er ein Sabbatjahr erlebt habe, meint Franziskus zum Oberen: "Der Pater ist aber lustig." Dabei will Lohre gar keinen Witz machen, sondern meint es wortwörtlich mit der Auszeit bei den Islamisten.

Mali

Mali ist ein Binnenstaat in Westafrika, etwa dreieinhalb mal so groß wie Deutschland. Schätzungsweise 85 bis 90 Prozent der rund 19 Millionen Einwohner bekennen sich zum sunnitischen Islam.

Zwei von drei Einwohnern sind jünger als 25 Jahre. Das enorme Bevölkerungswachstum des vielsprachigen Vielvölkerstaates zählt zu den größten weltweit. Die Landwirtschaft macht mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und beschäftigt bis zu 80 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung.

Dogon Village Songo, Bandiagara im westafrikanischen Mali. / © Svejgaard (shutterstock)
Dogon Village Songo, Bandiagara im westafrikanischen Mali. / © Svejgaard ( shutterstock )
Quelle:
KNA