DOMRADIO.DE: Ein Papst kommt ja nicht alle Tage vorbei. Wie ist die Stimmung bei Ihnen im Moment?
Pater Gregor Schmidt MCCJ (Provinzial der Comboni-Misionare vom Herzen Jesu in der Provinz Südsudan): Die Stimmung ist gut unter den Leuten, die jetzt alles vorbereitet haben. Wir hatten mal einen Besuch von Johannes Paul II. in Khartum, das war ja früher mal ein Land. Insofern fühlen die Südsudanesen, dass das der zweite Besuch in ihrem Land ist. In den 1990er-Jahren war das, glaube ich, dass Papst Johannes Paul II. dort ein Fußballstadion gefüllt hat.
Hier im Südsudan haben wir das Glück, sogar eine ökumenische Pilgerreise zu haben mit dem anglikanischen Bischof aus Canterbury und dem Moderator der Presbyterianer. Von daher wird es hier ein riesiges Treffen mit mehreren 100.000 Menschen werden, vermuten wir.
DOMRADIO.DE: Man kann sich also schon vorstellen, dass das ein Ausnahmezustand bei Ihnen wird auf den Straßen?
Pater Gregor: Ja, aber vor allen Dingen, weil die Regierung sehr auf Sicherheit pocht und viele Straßen gesperrt hat. Da ist vieles unklar, wer sich wo in der Stadt überhaupt bewegen darf. Damit wir zum Beispiel als Ordensleute zu diesen Veranstaltungen überhaupt zugelassen werden, müssen wir da vier Stunden vorher anreisen, weil nämlich zwei Stunden vorher alles hermetisch abgeriegelt wird, bevor der Papst irgendwo in die Nähe kommt.
Die haben hier ein Sicherheitssystem aufgebaut, das ist ein bisschen übertrieben, finde ich.
DOMRADIO.DE: Seit 2009 leben und arbeiten Sie als Missionar im Süden des Landes in der Diözese Malakal. Somit haben Sie auch 2011 die Unabhängigkeit mitgemacht. Der Südsudan ist das jüngste Land der Welt. Die damalige Euphorie und die Hoffnungen haben sich aber nicht so wirklich gehalten. Das Land versinkt in Gewalt und in Korruption. Was ist da schiefgelaufen in der Zeit?
Pater Gregor: Ich habe sogar vor 2011 im Jahr 2010 die ersten freien Wahlen erlebt. Das war auch schon sehr aufschlussreich, weil die Leute kein Konzept haben von moderner Demokratie, wie wir uns das vorstellen. Es gibt eigentlich das Individuum als Bürger, was dann eine autonome Entscheidung trifft, welches Programm einer Partei unterstützt wird.
In dem Dorf, wo ich gelebt habe, da haben aber die Ältesten in der Woche vorher entschieden, was gewählt wird. Dann haben alle Leute das Kreuz an der gleichen Stelle gesetzt, weil die auch Analphabeten sind. Da war ein Ankreuzer in der Wahlkabine, es war überhaupt keine geheime Wahl. Also wenn wir jetzt Demokratie in einem Land wie Südsudan fördern wollen, dann sind die Voraussetzungen da gar nicht gegeben.
Das Votum zur Unabhängigkeit ist sehr wohl Volkes Wille gewesen. Da haben sich ja 99 Prozent dafür entschieden. Aber sie waren sich nur einig, dass sie vom islamischen Norden wegwollen. Untereinander leben sie in Volksgruppen, ethnischen Gruppen und Clan-Gesellschaften und da ist wieder jeder nur für sich. Jeder schaut, dass seine eigene Gruppe vorankommt und überlebt – ohne Rücksicht auf andere Gruppen.
Wenn sich die Macht im Staat dann auf wenige Personen konzentriert, dann ist ganz klar, wenn die Ressourcen des Landes nicht gleich verteilt werden, dann kommt es zum Knall. Egal welche Gruppe herrscht, die sammelt dann praktisch hauptsächlich für ihre eigene Klientel, um es mal sehr einfach auszudrücken, warum der Demokratie-Versuch gescheitert ist.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es einen Moment, wo die katholische Welt auf den Südsudan geblickt hat in den letzten Jahren. Das war 2019, als der Papst den Präsidenten und seinen Rivalen beide in den Vatikan eingeladen hat und ihnen dann die Füße geküsst hat und sie regelrecht um Frieden angefleht hat. Wie ist das bei Ihnen angekommen? Welche Rolle hat auch diese Geste des Papstes gespielt?
Pater Gregor: Ehrlich gesagt halte ich wenig von symbolischen Gesten. Auch dieser Papstbesuch ist eine symbolische Geste und wird nichts an den Konflikten und an den Ursachen von Korruption verändern. Und es sind auch nicht nur zwei Gegenspieler. Dieses Land ist Anarchie. Da gibt es 1000 Personen, die regieren wollen und wo jeder die eigene Region beherrschen will. Das ist eine sehr komplizierte Situation, wo es nicht nur zwei Kontrahenten gibt.
Was der Papst beabsichtigt hat, hat sich nicht irgendwie ausgedrückt in einer anderen Politik, weil die Leute in ihren Gruppen und in ihren strategischen Machtspielen in gewisser Weise gefangen sind in ihren Denkmustern und da so nicht so leicht rauskommen durch eine symbolische Geste.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie die Möglichkeit haben, dem Papst was zu sagen. Was würde das sein? Was müsste der über Ihr Land wissen und verstehen?
Pater Gregor: Ich habe sogar tatsächlich morgen ein kurzes Grußwort. Wir sind heute eingeladen worden, zum Flughafen zu gehen, aber da reden wir nicht mit dem Papst. Morgen versammelt er sich mit den Ordensleuten und Priestern und auch Katecheten. Da habe ich anscheinend eine Minute oder so. Ich habe mir aber noch gar nicht überlegt, was ich sagen möchte in dieser kurzen Zeit. Ich glaube, dass der Papst schon vieles richtig macht, dass er wirklich versteht, dass die Kirche eine Kirche des Volkes ist und in weiten Teilen der Welt auch eine Kirche der Armen.
Er gibt praktisch das, was er jetzt als Papst ist, in seiner Funktion zurück und sagt: Jeder soll sein Katholischsein oder sein Christsein vor Ort vorleben und ein Zeuge Jesu sein. Das ist, glaube ich, eine sehr wichtige Botschaft und Ermutigung, die der Papst uns hier geben kann, wenn er als Besucher im Vorbeigehen kommt.
Wenn der Papst ehrlich Interesse hat, würde ich ihn einladen, meine Rundbriefe zu lesen. Ich habe ziemlich viel auf der Webseite erklärt, warum die Situation im Südsudan so komplex ist. Es braucht Zeit, um sich da einzuarbeiten. Diese ganze Sache mit der ethnischen Identität, das ist eine Realität, da lohnt es sich, die zu verstehen, um den Südsudan zu verstehen, warum diese Verhältnisse so kompliziert sind.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.