Ganz nüchtern berichtet die ungarische Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) auf ihrer Website davon, dass ihr Metropolit Hilarion (Alfejew) suspendiert wurde.
Unter der Überschrift "Beschluss des Heiligen Synods über die Sachlage in der Eparchie Budapest-Ungarn" wird der entsprechende Abschnitt aus dem Protokoll der Sitzung des Moskauer Leitungsgremiums wiedergegeben, die Patriarch Kyrill I. am 25. Juli leitete. Hilarion äußerte sich dazu bislang nicht. Einen Tag zuvor, an seinem 58. Geburtstag, hatte er noch einen Gottesdienst in der Kathedrale in Budapest gefeiert und Fotos davon in sozialen Netzwerken verbreitet.
Es sieht so aus, dass die Bischofskarriere des einst zweitwichtigsten Geistlichen der ROK zu Ende zu geht, auch wenn er formal weiter den Titel Metropolit behält. Die Vorwürfe, er habe seinen jungen Assistenten Subdiakon Georgij Suzuki sexuell belästigt und trotz Mönchsgelübde im Luxus geschwelgt, haben Hilarions Ruf ruiniert.
Beschlossene Konsequenzen des Heiligen Synods
Der Heilige Synod entschied in dem Skandal vier Dinge. Erstens, die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur Situation in der ungarischen Eparchie, der Hilarion seit Juni 2022 vorsteht. Zweitens, für die Dauer der Arbeit der Kommission wird der Metropolit vorläufig als Leiter der Eparchie abberufen.
Drittens, der ungarischen Diözese steht vorläufig Metropolit Nestor (Sirotenko) vor. Der 49-Jährige ist seit 2022 Metropolit von Korsun und Westeuropa mit Sitz in Paris. Viertens, auch den Vorsitz der biblisch-theologischen Kommission und eines weiteren Gremiums des Patriarchats muss Hilarion abgeben. Beide Posten übernimmt einstweilig der 55-jährige Bischof von Jegorjewsk, Methodius (Zinkowski), der zugleich Vikar von Patriarch Kyrill I. ist.
Die Expertin für die ROK, Natallia Vasilevich, hält es für sehr unwahrscheinlich, dass Hilarion unter Patriarch Kyrill I. seine bisherigen Ämter zurückerhält. "Hilarion ist bei Kyrill völlig in Ungnade gefallen", sagte die orthodoxe Theologin der KNA.
Durch Audiomitschnitte, Fotos, Videos und E-Mails gut untermauert
Entscheidend sei, dass die Beziehung des Metropoliten zum Kirchenoberhaupt schwer belastet sei, was bereits im Juni 2022 zu Hilarions Abberufung als Außenamtschef geführt und zur Versetzung nach Budapest geführt habe. Die jetzigen Vorwürfe gegen ihn seien zudem durch Audiomitschnitte, Fotos, Videos und E-Mails gut untermauert.
"Aber meiner Meinung nach waren das Schlimmste für Hilarion seine Äußerungen über Patriarch Kyrill, seine Geldgeber und den Fernsehsender Spas", so die im deutschen Exil lebende Belarussin. Hilarions ehemaliger Assistent Subdiakon Georgij Suzuki hatte sie ohne Einwilligung des Metropoliten aufgezeichnet.
Es ist nicht der erste Fall in der ROK, in dem es um sexuellen Missbrauch geht. "Normalerweise verfolgt die russisch-orthodoxe Kirche im Umgang mit solchen Fällen unterschiedliche Strategien", sagt Vasilevich. Das hänge jeweils davon ab, wie viel Aufsehen der Fall in der Öffentlichkeit errege, ob es eindeutiges Video- oder Fotomaterial für die Anschuldigungen gebe, welchen Status die betroffenen Personen haben.
Strafen gegen rund 30 Geistliche
Zwei russisch-orthodoxe Bischöfe verloren laut der Expertin wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs bereits ihre Posten: "In ihren Fällen wurden Nacktfotos veröffentlicht." Allein in den Monaten April, Mai und Juni soll Patriarch Kyrill I. Strafen gegen rund 30 Geistliche gebilligt haben, die Kirchengerichte aus verschiedenen Gründen verhängt haben, wie ein Blogger unter Berufung auf ein offizielles Dokument berichtete. Vier der betroffenen Geistlichen davon hatten Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert.
Es sei möglich, dass Hilarion Bischof bleibe, zwangsweise in den Ruhestand versetzt werde oder anders bestraft werde, so Vasilevichs. In ihren Augen ist Hiliarion einstweiliger Nachfolger in der Eparchie Budapest-Ungarn, Metropolit Nestor, "einer der Guten": "Er ist ausgeglichen und das ist sehr gut für einen Bischof."
Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Theologe Reinhard Flogaus sieht in dem Skandal "nicht nur einen radikalen Ansehensverlust für Hilarion und das Ende seiner kirchlichen Karriere", wie er in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt.
Der Skandal bedeute auch einen "enormen Glaubwürdigkeitsverlust für die Hierarchie der ROK insgesamt". Zudem werde auch der Patriarch selbst durch Hilarions Äußerungen desavouiert und die Lebensführung des Metropoliten diskreditiere den "Kampf des Moskauer Patriarchats gegen die angeblichen Laster des Westens und den Konsumismus".