KNA: Exzellenz, Papst Franziskus besucht für zwei Tage Ägypten. Was bedeutet diese Reise?
Erzbischof Pierbattista Pizzaballa (Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem): Diese Reise ist sehr wichtig - aus zwei Gründen, die freilich miteinander zusammenhängen. Der Papst kommt zu einer Begegnung in die Al-Azhar-Universität, die ein wichtiges Zentrum des sunnitischen Islam ist. Das ist bedeutsam angesichts des Entstehens des Kalifats; angesichts der Vorgänge in Syrien, im Irak und in anderen Teilen der islamischen Welt samt ihren Auswirkungen auf die Christen; aber auch angesichts einer Zunahme des islamischen Fundamentalismus in Europa. Daher ist die Begegnung mit einem kulturellen, religiösen, sunnitischen Zentrum von hoher Bedeutung, um einen Weg aufzuzeigen. Der Besuch wird die Probleme sicher nicht lösen - aber er kann ein Gespräch mit der islamischen Welt auf breiterer Ebene einleiten.
KNA: Und der zweite Grund?
Pizzaballa: Der andere Aspekt, der zuletzt immer mehr hervortrat, ist die Solidarität mit den Christen, die der Papst mit seiner Reise bekunden will. Die Christen gerade in Ägypten zahlen einen sehr hohen Preis für die gewachsenen Spannungen in der islamischen Welt.
KNA: Was erwarten Sie von dem Besuch?
Pizzaballa: Keine radikalen Veränderungen. Die Situation wird noch weiter anhalten. Aber meiner Ansicht nach sind Gesten wichtig; dass er kommt, dass er bei den Menschen ist. Ich hoffe, dass er starke Reden hält, die Richtungen aufzeigen. Natürlich wissen wir, dass sich der Islam nicht in den Katholizismus verlieben wird und umgekehrt - oder dass man aufhörte, Bomben in Kirchen zu deponieren. Dennoch ist es sehr wichtig, dass Franziskus die Reise unternimmt und zu den Menschen spricht.
KNA: Ist die Lage für die Christen erst in den vergangenen Jahren so dramatisch geworden?
Pizzaballa: Wer Ägypten kennt, weiß, dass die Probleme nicht erst gestern entstanden sind. Es ist eine fortschreitende Verschlechterung. Die jüngsten Attentate haben für große Aufmerksamkeit gesorgt. Aber was die Situation gerade in den Dörfern betrifft, gab es schon seit langem Probleme. Sie haben sich in den vergangenen zwei, drei Jahren verschärft, aber sie haben nicht bei Null begonnen.
KNA: Lässt sich die Lage der Christen in Ägypten mit der in Ihrem Patriarchat irgendwie vergleichen - oder ist sie total verschieden?
Pizzaballa: Das sind total unterschiedliche Situationen mit anderen Dynamiken. Natürlich gibt es mitunter Missverständnisse mit dem Islam. Aber die christliche Welt hier im Heiligen Land ist nicht das Hauptziel von islamischem Fundamentalismus.
KNA: Sie sind mit der Aufgabe angetreten, das Lateinische Patriarchat wieder auf einen guten Weg zu führen. An welchem Punkt sind Sie?
Pizzaballa: Wir sind erst am Anfang dieses Wegs. Das erste Jahr ist zunächst dazu da, sich einen Überblick zu verschaffen und die Personen kennenzulernen. Dann wird man sehen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Es ist sehr viel Arbeit zu tun, im pastoralen wie im administrativen Bereich. Aber ich bin auf guten Willen und Hilfe getroffen, das ist wichtig.
KNA: Sie sind mitunter streng in ihren Äußerungen, Ansprachen und auch Briefen. Ist das in dieser Form nötig?
Pizzaballa: Es ist kein Geheimnis, dass es um das Lateinische Patriarchat manche Gerüchte, manchen Lärm und Geschwätz gibt. Da ist mitunter Klarheit nötig, wenn auch in abgestufter Form. Gegenüber dem Klerus, meinen engsten Mitarbeitern, bin ich sehr deutlich. In einem öffentlichen Brief kann ich natürlich nicht auf Details eingehen, aber ich versuche zu erklären, dass es Probleme gibt, die gelöst werden müssen - einschließlich konkreten Anweisungen.
KNA: Was sehen Sie als Ihre Hauptaufgabe an - für die Christen im Heiligen Land und vor allem in Jerusalem? Wie kann man ihnen eine Zukunft garantieren?
Pizzaballa: Ich bin kein Messias, ich kann die christliche Präsenz nicht retten. Besonders wichtig ist, dass in dieser Phase die christlichen Kirchen gemeinsam als Kirche handeln und zusammenarbeiten. Unsere Christen brauchen ein gemeinsames Wort der Ermutigung und der Unterstützung. Sonst werden wir lächerlich. Denn wir können nicht anderen eine Lektion in Sachen Dialog erteilen, wenn wir ihn nicht selbst untereinander praktizieren. Unseren Gläubigen fehlt so vieles, sie brauchen Häuser und Arbeit - und unsere Unterstützung.
KNA: Aber der Exodus der Christen aus dem Heiligen Land hält an, auch aus Jerusalem. Was wäre nötig, um ihn zu stoppen? Mehr Schulen, mehr Kranken- und Sozialeinrichtungen?
Pizzaballa: Es gibt keine magischen Lösungen. Die Gründe, warum Christen weggehen, aber auch Muslime, sind die Schwierigkeit, eine Arbeit zu finden und eine Wohnung. Denn die Kosten sind enorm. Zudem ist der Aufenthaltsstatus mitunter unklar, viele haben keine israelische oder palästinensische Staatsbürgerschaft. Wir versuchen, den Menschen soweit wir können zu helfen. Aber wir haben nicht die Ressourcen für alles. Wir können keine Staatsbürgerschaft zuweisen; wir können nicht allen eine Wohnung zur Verfügung stellen. Aber gerade bei Wohnungsbauprojekten ist eine Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen notwendig. Wenn wir alle, Katholiken, Anglikaner, Orthodoxe, uns gemeinsam einsetzen, dann wird es etwas leichter, als wenn jede Gemeinschaft allein operiert.
KNA: Wie sind die Beziehungen zwischen den Kirchen? Haben sie sich im Zuge der erfolgreichen Restaurierungsarbeiten in der Jerusalemer Grabeskirche verbessert?
Pizzaballa: Die Restaurierung wurde erst möglich, weil man zu einer Übereinkunft gekommen ist. Die gemeinsamen Instandsetzungsarbeiten, auch in der Geburtskirche von Bethlehem, sind das Resultat einer solchen Haltung. Sie wurden möglich, weil Wunsch und Wille dazu bestanden.
Das Interview führte Johannes Schidelko.
Zur Person:
Pierbattista Pizzaballa (52) ist ein italienischer Franziskaner und Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem. Das Patriarchat für die römisch-katholischen Christen des Heiligen Landes erstreckt sich über das Staatsgebiet von Israel, Jordanien, Zypern und die Palästinensischen Gebiete. Pizzaballa hat sein neues Amt im Juli 2016 angetreten. Zuvor war er zwölf Jahre Franziskaner-Kustos im Heiligen Land, also qua Amt oberster Hüter der christlichen Stätten.
Pizzaballa, am 21. April 1965 in Cologno al Serio in der Diözese Bergamo geboren, studierte Theologie in Rom und Jerusalem und wurde 1990 zum Priester geweiht. Vor seiner Wahl zum Kustos 2004 - er war damals der zweitjüngste der Geschichte - war der Franziskaner im Auftrag seines Ordens Seelsorger für die hebräischsprachigen Christen in Jerusalem.