Am vergangenen Samstag wurde im Vatikanstaat das Justizjahr 2021 eröffnet. Vor dem Papst und im Beisein von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi verwies Staatsanwalt Gian Piero Milano auf einige Erfolge der Justiz des päpstlichen Kleinstaates. Darunter seien internationale Kooperationen mit Italien, Großbritannien, Brasilien, Jersey, Slowenien und Polen, bei denen es um Verdachtsfälle etwa von Geldwäsche oder Veruntreuung geht.
Gleichzeitig räumte Milano ein, der von Franziskus verfügte Reformprozess sei "noch lange nicht abgeschlossen, da es in vielen Bereichen noch Lücken und Ungereimtheiten gibt".
Teilaspekt des "Finanzskandals"
Einen schlagenden Beweis dafür lieferte wenige Tage zuvor ein Richter in England. In seiner Urteilsbegründung vom 10. März, gut eine Woche später veröffentlicht, geht es um einen Teilaspekt des "Finanzskandals" (Papst Franziskus) im vatikanischen Staatssekretariat bei verlustreichen Investitionen in eine Londoner Immobilie (60, Sloane Avenue).
In dem Zusammenhang hatte die Vatikanjustiz am 5. Juni 2020 den italienischen Investment-Banker Gianluigi Torzi zur Vernehmung in den Vatikan geladen - und dort gleich für zehn Tage in einer Zelle der Schweizergarde festgesetzt.
Am 11. November beantragten Milanos Mitarbeiter bei einem Londoner Gericht eine einstweilige Verfügung, Torzis Vermögen auf drei Londoner Konten einzufrieren, insgesamt rund 755.000 Euro. Diesem Antrag gab das Londoner Gericht einen Tag später statt. Torzi klagte auf Aufhebung der Verfügung; deren Grundlage sei lückenhaft und stelle Sachverhalte falsch dar.
Peinliches Zeugnis
In seinem 42 Seiten starken Urteil zerpflückt - man muss es so sagen - Richter Tony Baumgartner in erster Linie die Entscheidung seines britischen Kollegen vom 12. November. Gleichzeitig stellt er der vatikanischen Justiz sowie Mitarbeitern des Staatssekretariats ein teils peinliches Zeugnis aus.
Um gleich klarzustellen: Baumgartner fällt kein Urteil im Fall des Finanzskandals selbst; er beurteilte allein, ob es rechtmäßig war, Torzis Vermögen einzufrieren, damit dieser Geld, das eventuell dem Vatikan gehört, nicht ausgeben kann.
Zwar müssten Begründungen für einstweilige Verfügungen meist sehr schnell verfasst werden, weil Eile geboten ist. Nicht so im Fall Torzi: Seit dessen Festnahme im Vatikan waren fünf Monate verstrichen. Warum plötzlich diese Eile, fragt Richter Baumgartner. Die Gefahr, dass Torzi sich mit dem Geld aus dem Staub machen wollte, sah er nicht.
Und so entlarvt der britische Jurist auch das mitunter dilettantische Vorgehen und Verhalten im Vatikan. Anstatt sich auf Details möglicher Unregelmäßigkeiten Torzis zu konzentrieren, entwarf die vatikanische Strafverfolgung die Szenerie einer breit angelegten Verschwörung eigener Mitarbeiter und deren auswärtigen Komplizen. Einem von diesen, Torzi, werden zweifache Veruntreuung, zweifacher Betrug, Erpressung und Geldwäsche vorgeworfen, im Zeitraum von Juni 2014 und Anfang Mai 2019.
Durch diese Schrotschusstaktik wollte man anscheinend entweder zumindest ein oder zwei Treffer landen - oder die Schuld auf interne Bauernopfer und vermeintlich korrupte italienische Finanzjongleure abwälzen, um eigene Obere zu schützen.
Sogar Kardinalstaatssekretär Parolin involviert?
So wie die Affäre von Baumgartner analysiert wird, waren aber vor allem der Substitut, Kurienerzbischof Edgar Pena Parra, ja sogar Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, involviert. So findet sich in den Akten eine Aussage des stellvertretenden vatikanischen Staatsanwalt Alessandro Diddi über "das Erstaunen der höheren Autoritäten" und "der Oberen des SDS [des Sekretariats] und insbesondere des Substituten Edgar Pena Parra".
Allerdings - so Baumgartner - benenne Diddi nicht, "wer genau (möglicherweise außer Erzbischof Pena Parra) erstaunt ist und warum", noch gebe es einen direkten Bericht von Pena Parra. Zudem würden "kritische Dokumente", auf die sich Diddi bezieht, "von ihm nicht vorgelegt. Auffallend abwesend in den Unterlagen ist die Notiz des Kardinals vom 25. November 2018". Der "Kardinal" ist Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin selber.
Dies ist einer von rund einem Dutzend Fällen, in denen Baumgartner der Verfügung gegen Torzi gravierende Lücken oder falsch dargestellte Sachverhalte vorwirft. Weswegen er sie am Ende aufhebt. An einem fairen Prozess vor dem Vatikangericht gegen Torzi, sollte es je dazu kommen, zweifelt Richter Baumgartner jedoch nicht grundsätzlich.
An anderer Stelle schreibt Baumgartner: "Die Vorstellung, Erzbischof Pena Parra habe solch ein Dokument unterzeichnet, ohne sich mit den Verträgen vertraut zu machen, die auszuführen er Monsignore Perlasca beauftragte, finde ich schwierig zu akzeptieren, zumal angesichts der Bedeutung der Transaktion und der Höhe der Summen, um die es ging."
Vatikanische Justiz hinkt im internationalen Vergleich hinterher
Dies ist kein Urteil zum Sachverhalt an sich, aber ein großer Zaunpfahl, bei den Ermittlungen zum Finanzskandal im Staatssekretariat noch einmal genauer hinzuschauen - auch an höheren Stellen. Ob der Papst in seiner Ansprache am vergangenen Samstag auch deswegen daran erinnerte, dass vor dem Gesetz alle gleich sind und etwaige Privilegien aus der Vergangenheit abzustellen seien?
Nicht allein Richter Baumgartner zeigt, dass die vatikanische Justiz bis zur Erreichung internationaler Ermittlungs- und Justizstandards noch Arbeit vor sich hat. Bereits im Dezember hatte Italiens Oberster Gerichtshof die vom Vatikan beantragte und von der Staatsanwaltschaft Mailand verfügte Festnahme der Managerin Cecilia Marogna - Verdächtige in einem anderen Aspekt des Finanzskandals - für unrechtmäßig erklärt.