DOMRADIO.DE: Es ist ja so was mit der Sprache der Bibel, also zu Weihnachten. Da hören wir beispielsweise Formulierungen wie "das Wort ward Fleisch". Fühlen Sie sich da so ein bisschen als Übersetzer?
Pfarrer Joachim Gerhardt (evangelischer Kirchenkreis Bonn): Das versteht ja erst mal kein Mensch. Aber es stecken so viele schöne Botschaften in der Weihnachtsgeschichte, die man eigentlich ganz gut übersetzen kann. Friede auf Erden ist eine Botschaft, da kann man sofort anschließen, und das ist die Sehnsucht ganz vieler Menschen. Ich glaube, die Kunst einer guten Weihnachtspredigt ist es: erstens nicht, zu viel zu sagen und zweitens klare Botschaften zu haben.
DOMRADIO.DE: Man will es ja in den Weihnachtsmessen bzw. -gottesdiensten auch ganz besonders gut machen, weil die Kirchen üblicherweise voll sind. Spüren Sie denn da auch so einen gewissen Druck?
Gerhardt: Ja sicher. Wenn es nicht der Fall wäre, wäre ich irgendwie am Job vorbei. Das ist ja auch eine tolle Chance, dass so viele Menschen kommen, auch immer noch kommen. Trotz allem Traditionsabbruch, finde ich, ist es für uns in der evangelischen wie in der katholischen Kirche eine Riesenchance, Menschen mit der ganz wichtigen Botschaft des Lebens und Friede auf Erden zu erreichen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie alle Predigten schon vorbereitet?
Gerhardt: Ich bin dabei. Auch dieses Gespräch ist Teil davon, was ich dieses Jahr predigen werde. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, sich bis zum Ende auch als Prediger, als Pfarrer durchlässig zu halten für die Botschaft, auch ein bisschen zu spüren, wie das Martin Luther gesagt hat, wie die Menschen ticken und spüren, den Menschen aufs Maul schauen.
Klingt ein bisschen grobschlächtig bei Luther. Aber es ist ja die Botschaft, zu gucken, was die Menschen fühlen und daran anzuschließen. Ich will den Menschen nicht nach dem Mund reden, aber ich will ihnen eine Botschaft sagen, die sie am Ende mit dem Herzen berührt.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen, welche "Fehler" machen manche Priester?
Gerhardt: Das Wort ward Fleisch – wenn man solche Sätze eins zu eins wiederholt, ist das schon eine Gefahr, dass man sich in so eine undogmatische Formulierung flüchtet, die am Ende aber gar keiner versteht.
Die Gefahr ist, dass ich zu viel sagen will. Weil ich denke, jetzt habe ich ja die große Chance mit einmalig 600 Leuten in der Kirche, denen ich alles sage, was mir wichtig ist. Da gilt der alte journalistische Grundsatz: Weniger ist mehr.
Und am Ende habe ich ganz viel geschafft, wenn die Menschen mit einer Botschaft nach Hause gehen.
DOMRADIO.DE: Hilft es Ihnen, dass Sie Journalist sind?
Gerhardt: Ja, ich glaube, ich habe in meiner journalistischen Ausbildung manchmal mehr über Predigen gelernt als im Predigerseminar. Weil man eben lernt, zum Beispiel innerhalb einer Radioandacht von anderthalb Minuten Menschen alles Wichtige zu sagen. Es ist beruhigend zu wissen, dass man auch in der Kürze den Menschen wirklich etwas Wichtiges sagen kann. Das gilt auch für eine Predigt.
DOMRADIO.DE: Auffällig ist ja ein typischer Predigt-Duktus, der nicht unbedingt dazu geeignet ist, die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Wie vermeiden Sie diesen Sprech-Stil?
Gerhardt: Indem ich mit den Menschen spreche. Ich spreche die Menschen manchmal ganz konkret von der Kanzel aus an, denn dann guckt man sie auch an und sieht auch, ob sie gerade gähnen, weggucken oder auf die Uhr gucken und sich denken: "Hoffentlich ist es bald vorbei, es reicht".
Dass man mit den Menschen ins Gespräch geht, das hilft. Mit ein bisschen Berufserfahrung kann man auch versuchen, freier zu sprechen, auch das hilft schon mal ganz gut, weil man dann ganz anders im Kontakt mit den Menschen ist. Und Weihnachten ist ja auch die große Aufgabe, dass wir Menschen miteinander ins Gespräch bringen, in Gemeinschaft bringen, in einer Welt, wo so viele Menschen alleine leben. Das war damals auch schon die Situation in Bethlehem. Maria und Josef waren auch allein am Rande. Die Hirten waren alleine am Rande. Gemeinschaft stiften ist eine der ganz großen Aufgaben von uns Kirchen. Da ist Weihnachten eine Riesenchance.
DOMRADIO.DE: Kann man beim Thema Predigen auch was von Jesus lernen? Wie hat er gepredigt?
Gerhardt: Verständlich hat er gepredigt, vor 2000 Jahren sicherlich noch anders als heute. So zu sprechen, dass die Menschen es verstehen, das war seine Aufgabe. "Selig sind, die Frieden stiften." Ein toller Satz, den kannst du heutzutage eins zu eins auch sagen. Das gilt für die Weltpolitik, fängt aber am eigenen Küchentisch an, vormittags beim Frühstück, wo die Familie zusammensitzt.
Ich glaube, um Frieden zu stiften in der Welt, müssen wir auch selber lernen, mit uns selbst sozusagen friedlich umzugehen und im eigenen Umfeld anzufangen.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, wird inhaltlich Dreh- und Angelpunkt dieses Weihnachten für Sie?
Gerhardt: Friede auf Erden ist schon eine zentrale Botschaft dieses Jahr, in unserer Gesellschaft, in der Weltpolitik. Aber ich denke auch bei vielen Menschen, wo wir doch alle sehr von Krisen gebeutelt sind, von Unsicherheiten, Unklarheiten. Es ist wichtig, spirituell aufzutanken. Weihnachten ist die Aufgabe, Menschen, ob Christ oder nicht, anzusprechen. Wer in die Kirche kommt, wer eine Andacht hört, wer Kerzen anzündet, soll das Gefühl haben: Hier kann ich Kraft schöpfen. Denn auch die Geschichte Jesu beginnt ja erst mit Weihnachten. Der hat Wunder getan, er hat Kranke geheilt, er hat Frieden gestiftet. Das alles passiert ja erst nach Weihnachten. Weihnachten ist das Fest, um dafür Kraft zu schöpfen.
Das Interview führte Verena Tröster.