DOMRADIO.DE: Die Hälfte der Katholiken in Deutschland geht nie in die Kirche. Auf die Gesamtbevölkerung betrachtet sind es sogar 64 Prozent. Das sagt eine neue Umfrage von YouGov im Auftrag von katholisch.de. Mindestens einmal die Woche gehen demnach nur noch zehn Prozent in die Kirche. Überraschen Sie diese Zahlen?
Thomas Frings (Pfarrer im Ruhestand): Nein, überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass die Zahlen schon vor Jahren gegolten haben. Früher hieß es immer, Weihnachten kommen alle. Das hätte keine Gemeinde verkraftet, wenn wirklich alle gekommen wären. Ich glaube, selbst Weihnachten sind vor 20 Jahren schon nicht mehr die Hälfte gekommen.
DOMRADIO.DE: Eigentlich gibt es in der Kirche eine Sonntagspflicht. Spielt das überhaupt noch eine Rolle?
Frings: Bei kaum einem Katholiken spielt das eine Rolle. Es ist eine verschwindende Minderheit. Aber ich glaube, dass die, die noch gehen, heutzutage nicht gehen, weil sie eine Pflicht erfüllen.
DOMRADIO.DE: Wofür existiert denn überhaupt diese Pflicht?
Frings: Es ist ein Kirchengebot, kein biblisches Gebot. Es hört sich sehr nach Reglementierung, an der kurzen Leine halten und Bevormundung an. Aber ich habe mich explizit noch nie damit befasst.
DOMRADIO.DE: Sie sind dafür bekannt, dass Sie versuchen, mit ungewöhnlichen Aktionen den Kontakt der Menschen zur Kirche aufzubauen. Es gab Überlegungen für einen Tattoo-Gottesdienst, Karnevalsmessen. Ist das eine Möglichkeit, besser mit Menschen in Kontakt zu treten als über das althergebrachte Angebot einer Sonntagsmesse?
Frings: Ich glaube ja. Es geht nicht darum, dass die Leute mit anderen Modellen wieder gelockt und gefangen werden. Es geht darum, mit Menschen in Kommunikation zu treten.
Wenn immer gesagt wird, dass die nur zu besonderen Anlässen kommen, dann ist das aber doch schon seit Jahrzehnten so. Denn wir haben eine "Eventisierung" unserer gottesdienstlichen Formate. Die Leute kommen zu Weihnachten, weniger noch zu Ostern. Sie kommen vielleicht, wenn sie irgendwo im Urlaub sind Sie kommen zur Erstkommunion, zur Hochzeit, zur Taufe und zur Firmung. Aber danach bleiben die auch wieder weg.
DOMRADIO.DE: Das heißt, man sollte sich von der Idee verabschieden, darüber zu jammern, dass niemand zu den klassischen Gottesdiensten kommt und schauen, wie man sonst das Angebot unter die Leute bringt?
Frings: Ich habe mich schon lange davon verabschiedet. Es macht ja auch nur Stress, wenn man als Ziel hat, die Sonntagsgottesdienst-Besucherzahlen zu erhöhen. Als das Bistum Essen gegründet wurde, waren es, glaube ich, 34 Prozent. Die oberste Devise war: Diese Zahl ist erschreckend niedrig und muss nach oben gehen. Seit Gründung des Bistums, seit zig Jahren haben da viele Menschen daran gearbeitet und haben es nicht ein einziges Mal in einem Jahr auch nur geschafft, den Trend zu ändern. Das gilt für andere Bistümer auch.
Wann kommt bei uns an, dass wir nicht dieses Ziel haben? Es steht nirgendwo in der Heiligen Schrift "Macht sonntags Kirchen voll!". Ich arbeite schon lange nicht mehr darauf hin, dass das das Ziel meiner Arbeit ist.
DOMRADIO.DE: Was macht das mit Ihnen als Priester?
Frings: Ich strenge mich in den Momenten unglaublich an, bei denen ich die Gelegenheit habe, mit den Menschen innerhalb eines gottesdienstlichen Geschehens in Kontakt zu treten. Da ist es egal, ob es eine Hochzeit ist, eine Beerdigung, eine Taufe oder ob es am Sonntag ist.
Aber gerade da, wo Menschen nur selten kommen, muss ich besonders gut sein. Wenn die Gäste nach der Hochzeit wieder rausgehen, sollen sie auch sagen: "Das war Kirche, das war Gottesdienst. Und das hatte sogar mit mir und meinem Leben zu tun." Das ist mein Ziel und das ist das, was ich will und nicht die Fragestellung, ob ihr am Sonntag wiederkommt. Nein, das frage ich nicht.
DOMRADIO.DE: In der evangelischen Kirche gab es vor einiger Zeit die Diskussion, ob die regelmäßigen Sonntagsgottesdienste abgeschafft werden sollen. Für Katholiken hat die Sonntagsmesse auf dem Papier schon noch eine andere Bedeutung mit der Eucharistie als Zentrum des Glaubens. Aber bräuchte es vielleicht hier auch eine Diskussion, um weiter zu kommen, wenn das Angebt nicht mehr wahrgenommen wird?
Frings: Ja. Die Diskussion ist zum Beispiel gerade in der Kölner Innenstadt, wo ich mitarbeite, seit einigen Wochen im Dienstgespräch. Wissen Sie, wie viele Sonntagsmessen wir im Kölner Innenstadtbereich feiern? 78. Wenn die Hälfte davon wegfallen würde, würden die anderen Gottesdienste immer noch nicht sehr voll sein.
Also, wir diskutieren eigentlich im Moment nicht darüber, ob sie ganz ausfallen, sondern nur, ob wir sie auf ein Maß reduzieren, das auch der Nachfrage entspricht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.