DOMRADIO.DE: Was finden Sie denn grundsätzlich gut am Bürgergeld?
Pastor Franz Meurer (Pfarrer der Gemeinde Köln Höhenberg und Vingst, CDU-Mitglied und als "Sozialpfarrer" bekannt): Ich finde grundsätzlich gut, dass das Bürgergeld jetzt umzusetzen versucht, was Hartz IV auch versucht hat, nämlich Fördern und Fordern. Ich war am Anfang ein großer Fan von Hartz IV, weil Fördern und Fordern zusammengehört.
Bei uns arbeiten Ein-Euro-Jobber. Das sind Hartz-IV-Empfänger, die sich etwas dazu verdienen. Bei denen wurde mir das Geheimnis deutlich. Man muss den Menschen erst mal normale Sachen beibringen. Zum Beispiel wird bei uns morgens erst mal zusammen gefrühstückt und Mittagessen bekommen die Leute auch. Das sind oft Leute, das muss man klar sagen, die keinen normalen Tagesablauf mit Frühstück, Mittagessen und Abendessen kennen. Zuerst gibt es was hinter die Kiemen und dann geht es an die Arbeit.
Grundsätzlich wird beim Bürgergeld deutlich, wie die politischen Parteien verschieden auf bestimmte Dinge schauen. Ich bin allerdings überzeugt, dass Minister Heil ein wirklich guter Minister ist. Ebenso Minister Laumann, von dem bin ich sogar ein Fan, der ist auch in Ordnung.
Ich bin seit 54 Jahren Mitglied der CDU, aber eben von der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, also von den christlich-sozialen. Daher weiß ich schon, dass dieses Schonvermögen für konservativ geprägte Leute natürlich ein Juckepunkt ist.
Man darf aber nicht den Fehler machen zu denken, dass jeder, der sich anstrengt, eine Arbeit bekommt. Wer sauber tickt, kann sein Geld selbst verdienen, klar, aber sehr viele der Hartz-IV-Empfänger, auch unsere Ein-Euro-Jobber sind gesundheitlich und oder seelisch angeschlagen.
DOMRADIO.DE: Teilen Sie denn die Kritik der CDU/CSU wegen des Schonvermögens?
Meurer: Man muss einen Kompromiss finden. Das Schonvermögen wird man runterfahren müssen. 60.000 Euro ist sehr viel Geld. Es ist dem arbeitenden Bürger und der arbeitenden Bürgerin schwer beizubringen, warum die Bezieher nicht zuerst ein bisschen mehr ans eigene Fett rangehen müssen. Leider könnte diese Fragestellung verdecken, worum es eigentlich geht.
Es geht im Kern darum, dass alle Menschen in Arbeit kommen. Wir dürfen doch die Ressourcen und Fähigkeiten der Menschen nicht liegen lassen. Es wäre mir sehr recht, wenn die Diskussion um das Bürgergeld dazu führt, dass wir zur Kernfrage kommen: "What fits? - was passt zu den Menschen?". Nicht Fitness im Sinne von körperlicher Ertüchtigung, sondern welche Aufgabe passt zu seinen Fähigkeiten. Ich hätte bei dieser Frage gerne mehr Hirn und nicht im Kampf darum, was die eine Partei der anderen zugestehen kann.
DOMRADIO.DE: CDU/CSU bekommt viel Zustimmung für ihre Kritik. Ist da auch Sozialneid im Spiel? Und wie sehen das die Bedürftigen, für die sie sich engagieren?
Meurer: Die bedürftigen Menschen zittern und fragen sich, was übrig bleibt. Denjenigen, der 60.000 Euro auf der hohen Kante hat und einen Ein-Euro-Job macht, möchte ich bitte mal sehen. Das sind Ausnahmefälle. Im Normalfall - wenigstens die Leute, die wir wirklich seit Jahrzehnten haben; die bei uns tätig sind - leben die von der Hand in den Mund.
DOMRADIO.DE: Fördern und Fordern bleibt auch beim Bürgergeld die Devise, aber mit milderen Sanktionen. Daran wird kritisiert, dass man damit keinen mehr zur Arbeit motiviert bekommt. Ist da was dran?
Meurer: Ich will ihnen mal wieder - ich kann nicht anders - was positives sagen. Wenn wir Lebensmittelausgabe in unseren Pfarrsaal haben, kommt das Jobcenter auch zu uns. Es fällt vielen schwer, zum Amt zu gehen, aber wenn das Amt zu denen kommt ... Es ist genauso wie in der Bibel: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen.
Man muss die Leute in ihrer Not ernst nehmen und dann löst sich der Sozialneid schnell auf. Wenn man Menschen persönlich kennengelernt hat, die auf dem Arbeitsmarkt nicht zurechtkommen, weiß man, dass das meistens am Herrgott liegt. Der hat denen zu wenig Fähigkeiten geschenkt.
DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie denn Verbesserungsbedarf beim geplanten Bürgergeld?
Meurer: Ich sehe den Verbesserungsbedarf beim Fördern. Wir müssen von der Geldleistung rüber gucken zu der Förderung der Menschen. Wir müssen so eine Befähigungsgerechtigkeit herstellen, wie der berühmte Nobelpreisträger Amartya Sen sagt. Die Befähigung ist verschieden, aber wir müssen jeden einzelnen Menschen in den Arm nehmen.
Das Interview führte Dagmar Peters.