Pfarrer Meurer nach Münchner Missbrauchsgutachten entsetzt

"Einfach mal sagen: Wir haben versagt!"

Der Kölner Pfarrer Franz Meurer spricht nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachten deutliche Worte. Er sei menschlich erschüttert vom emeritierten Papst Benedikt XVI. Man müsse sich dem systemischen Versagen stellen.

Pfarrer Franz Meurer / © Harald Oppitz (KNA)
Pfarrer Franz Meurer / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie denn den Bericht zum Münchner Missbrauchsgutachten aufgenommen?

Franz Meurer (Pfarrer in Köln-Höhenberg und Köln-Vingst): Ich habe das ja erwartet. Aber zum Glück, um mal mit dem Positiven anzufangen, bin ich noch ganz unter dem Eindruck unserer Pfarrgemeinderatssitzung: 18 Menschen im Alter von 16 Jahren bis zu mir, ich bin mit 70 Jahren der Älteste. Die Gemeinden, wo die Menschen sich engagieren, werden die Kirche retten. Der Abgrund, klar, den gibt es. Ich habe ja vorige Woche, schon lange gedacht, es wird explodieren, in München wie woanders auch. Schade ist natürlich, dass der Papst ganz schlecht rüberkommt. Aber wenn man sagt, es war nichts, dann kriegt man ein Problem. Man muss sich dem stellen, dass es ein systemisches Versagen ist.

DOMRADIO.DE: Um Papst Benedikt geht es natürlich vor allen Dingen. Dem wird unter anderem vorgeworfen, gelogen zu haben. Wie sehr erschüttert Sie das?

Meurer: Mich erschüttert es menschlich, weil ich nicht verstehen kann, warum man immer versucht Recht zu haben oder immer versucht, irgendwie juristisch rauszukommen und sagt, dass man nicht dabei war. Sondern man muss einfach mal sagen, dass wir insgesamt als Kirche versagt haben. Da muss etwas im System verändert werden und daran arbeiten wir. Und das System vor Ort ist ganz einfach. So viel Demokratie, so viel Machtverteilung, wie es irgendwie geht. Und ich bin froh darüber. Wenn ich mal irgendwo meine Rolle raushängen lassen würde, nach dem Motto "ich bin jetzt der Pastor", dann würden die anderen sagen: "Hör mal, bist du krank? Soll man einen Arzt informieren?" Das heißt, dieses Gemeinsame, Communio, was wir doch jetzt am Sonntag in der Lesung haben, ein Leib und viele Glieder. Die Niere kann nicht zur Leber sagen, hau ab, und das edelste Glied ist das schwächste. Das muss man sich mal vorstellen, der alte Grundsatz: Es geht nur so schnell beim Wandern, wie der Langsamste mitkommt.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie die Gemeinderatssitzung angesprochen. Das sind alles ganz Engagierte bei Ihnen, wie wir wissen. Aber wie nehmen die denn auch wieder so einen neuerlichen Missbrauchsskandal auf?

Was Pfarrer Franz Meurer von Jugendlichen vorgehalten bekommt

"Mit Kirche sehe ich scheiße aus."

Meurer: Das ist natürlich jetzt heftig, was ich sage. Wir hatten normalerweise in den letzten Jahren immer Kirchenaustritte unter 30, also ein bisschen. Das hat sich jetzt verdreieinhalbfacht, auf 118. Es sind auch Leute aus sehr engagierten Familien dabei. Da sage ich den Eltern natürlich nichts, Datenschutz ist ja klar. Aber das ist natürlich schrecklich, dass jetzt viele Leute sagen, ich sage mal dieses berühmte Zitat der Jugendlichen: "Mit Kirche sehe ich scheiße aus". Die Frage muss doch für uns sein: Wie sieht man mit Kirche aus? Und mit Kirche muss man gut aussehen, dann funktioniert das. Das heißt, die Zukunft der Kirche, deswegen bin ich ja in Gottes Namen am Abgrund mehr als zuversichtlich, darüber entscheiden die Gläubigen vor Ort.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie auch selber gesagt: Es ist definitiv ein systemisches Versagen. Was muss denn passieren, damit Konsequenzen, die jetzt auch dieses System betreffen, für die Zukunft irgendwann mal funktionieren?

Meurer: Das Allerwichtigste bei allem ist Transparenz. Das heißt, die Kirche muss das, was sie sonst fordert, ich komme ja von der christlichen Soziallehre her, muss sie selber vorleben. Das heißt Subsidiarität. Also zuerst mal entscheiden die Leute selber. Zweitens Transparenz, alles offen auf den Tisch, und zwar ungefragt offen auf den Tisch. Das heißt, meine Anforderung ans Führungspersonal der Kirche ist ziemlich hoch. Um es mal knallhart zu sagen: Wenn einer Personalchef wird ohne vorher anderthalb Jahre Ausbildung, ja, wie soll das denn funktionieren?

DOMRADIO.DE: Kann die vom Papst ausgerufene Weltsynode Ihrer Meinung nach helfen, so eine grundlegende Reform in der Katholischen Kirche zumindest anzustoßen?

Franz Meurer / © Smilla Dankert (Erzbistum Köln Presse)

Meurer: Ja, aber unbedingt. Ich habe zum Beispiel gerade einen tollen Artikel gelesen von der Frau Professor Demmer, darin steht, dass das Wichtigste Zugänglichkeit ist. Das Wort hatte ich vorher noch nie gehört. Das heißt, es muss Zugänglichkeit sein, im wahrsten Sinne des Wortes, dass man zugucken kann, dass man hin kommen kann, dass die Menschen sich öffnen. Als König Salomon ganz jung von Gott gesagt wurde, das er einen Wunsch äußern kann, ein Klumpen Gold oder eine riesige Streitmacht oder was weiß ich. Da hat er sich ein hörendes Herz gewünscht. Er wollte Zugang zu den Menschen gewinnen. Und das ist eigentlich schon das ganze Geheimnis.

Das Interview führte Martin Mölder.

Quelle:
DR