Pfarrer Olaf Lindenberg über Seelsorge im Pendlerzug

"Ich biete Zeit"

Olaf Lindenberg ist seit 25 Jahren Priester. Als Kind eines Bahners mag er Züge. So kam er auf die Idee, sich - als Geistlicher erkennbar - in Pendlerzüge zu setzen, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen.

Bahnreisende am Hauptbahnhof in Köln / © Marius Becker (dpa)
Bahnreisende am Hauptbahnhof in Köln / © Marius Becker ( dpa )

KNA: Herr Pfarrer Lindenberg, was war der Anlass, einmal die Woche mit der Regionalbahn zu fahren, immer dienstags ab Limburg um 6.55 Uhr, retour ab Frankfurt um 17.01 Uhr?

Olaf Lindenberg (Pfarrer im Pastoralen Raum Blasiusberg im Bistum Limburg): Am Anfang stand die Beobachtung: es pendeln ganz viele Leute täglich. Und ich wollte nicht nur eine Einweg-Kommunikation anbieten, wie bei meinem Blog oder per Mail, sondern dachte mir, ich setz' mich einmal in der Woche in den Zug rein. Das hat eine andere Qualität: Die Leute können dann mit einem Priester reden, ohne eine Sekretärin anrufen zu müssen oder ohne sich in dieses komische Ding, das sich Beichtstuhl nennt, setzen zu müssen. Sie wollen ja auch gar nicht beichten, sondern nur reden.

KNA: Sind die Leute manchmal einfach froh, etwas loswerden zu können?

Lindenberg: Ja, das ist sogar der Grundtenor vieler Gespräche: Da ist jemand, der mir einfach mal zuhört, der mich nicht bewertet, der mir nicht sofort sagt, was ich machen muss. Es geht nicht darum, in einer halben Stunde ein Lebensproblem zu lösen. Wichtig ist es aber, dass Leute das, was sie belastet, mal aussprechen können. Es auszusprechen, ist schon die halbe Miete. Das hilft.

KNA: Sie sind an Ihrem schwarzen Priesterhemd und dem weißem Kollarkragen deutlich als Geistlicher erkennbar. Was fragen die Leute einen Priester im Zug - oder was sagen Sie?

Lindenberg: Manchmal ist es ein Rat wegen einer schwierigen Situation in der Familie oder bei beruflichen Problemen. Und die Leute wollen wissen: Wie und wo kommt da jetzt Gott vor?

KNA: Inwieweit hilft die Zugsituation bei der Unterhaltung?

Lindenberg: Im Unterwegssein kommt man generell leichter ins Gespräch. Das ist etwas anderes als zum Beispiel ein Beichtgespräch.

KNA: Setzen Sie sich immer in das gleiche Abteil?

Lindenberg: Ja, ins Fahrradabteil, weil es ein markiertes Zug-Ende ist. Und dieses Abteil hat noch etwas ganz Tolles: zwei Einzelsitze gegenüber.

KNA: Viele Reisende sitzen ganz gern allein, schauen auf ihr Smartphone oder haben Kopfhörer auf den Ohren. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Leute mit niemandem reden wollen oder einfach einen Ruheraum brauchen?

Lindenberg: Eher Letzteres. Diese "Codes" muss man lesen können: Der Blick ins Smartphone, die Kopfhörer auf den Ohren oder die Aktentasche auf dem Nebensitz um sich herum gebaut wie ein Schutzwall: Ich finde, das muss man respektieren.

KNA: Sie selbst sprechen niemanden an?

Lindenberg: Nein, erstmal nicht. Wenn sich dann jemand zu mir setzt, versuche ich aber schon Blickkontakt aufzunehmen.

KNA: Wann haben Sie die meisten Gespräche im Zug geführt: morgens oder nachmittags?

Lindenberg: Morgens. Da sind die Leute eher bereit, zu reden.

KNA: Sollte die Kirche mehr solche Aktionen machen? Oder fehlt da die Fantasie?

Lindenberg: Ich glaube, der Heilige Geist ist sehr fantasievoll. Unsere Herausforderung ist einfach, uns wieder stärker auf ihn einzulassen. Glaube muss immer konkret werden. Denn der christliche Glaube hat ein wichtiges Grundkonzept: Gott wird Mensch!

KNA: Wird die Kirche diesem Gedanken ausreichend gerecht?

Lindenberg: Es gibt es immer wieder die Tendenz, dass sich Kirche in sich selbst verkapselt. Wir brauchen als Kirche zwar auch den sicheren Hafen, das Obergemach, in das sich auch die Apostel an Pfingsten zurückgezogen haben. Aber von dort wurden sie dann wieder hinausgeschickt in die Welt!

KNA: Gab es Reaktionen der Kirchenleitung auf Ihre Aktion?

Lindenberg: Unser Limburger Bischof Georg Bätzing hat das sehr wohlwollend aufgenommen.

KNA: Sie sind ein "Bahnerkind". Was bekommt man in einem solchen Elternhaus mit auf den Weg?

Lindenberg: Mein Vater war Bahner, mein Großvater Lokführer. Ich finde, Bahnfahren ist eine urdemokratische Angelegenheit. Da kommen alle Schichten zusammen, wenn man einmal von der Aufteilung in 1. und 2. Klasse absieht. Aber man kann im Zug Menschen treffen, denen man sonst im normalen Leben nicht begegnen würde. Etwa dann, wenn man sich so wie ich kürzlich in einen völlig überfüllten ICE gerade noch reinquetscht und sich dann mit einem Hardcore-Fan des FC St. Pauli zwei Stunden unterhält.

KNA: Fragen sich manche Leute auch, ob Sie – mit langen Haaren und Dreitagebart – überhaupt ein echter Priester sind?

Lindenberg (lacht): Da entspreche ich vielleicht nicht so dem Klischee, aber nein, das ist kein Thema. Der Kollarkragen soll einfach zeigen: Hier ist ein Mensch, der Zeit hat. Das ist es, was ich biete: Zeit.

Von Norbert Demuth


 

Pfarrer Olaf Lindenberg im Zug / © Harald Oppitz (KNA)
Pfarrer Olaf Lindenberg im Zug / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema