Pfarrer Schießler würdigt Franziskus als großen Papst

"Diese Türen wird niemand mehr schließen können"

Auch die Münchner Gemeinde St. Maximilian trauert um den verstorbenen Papst. Pfarrer Rainer Maria Schießler ist beeindruckt von dem Mitgefühl für den Papst und betont, dass Franziskus viel Potenzial für Veränderung hinterlassen habe.

Autor/in:
Carsten Döpp
Papst Franziskus verstarb am Ostermontag. / © Andreas Solaro/AFP/AP (dpa)

DOMRADIO.DE: Haben sie gestern auch vor dem Gottesdienst von dem Tod des Papstes erfahren?

Pfarrer Rainer Maria Schießler / © Dieter Mayr/KNA (KNA)

Pfarrer Rainer Maria Schießler (Kath. Pfarramt Sankt Maximilian, München): Nicht vor irgendeinem Gottesdienst, sondern vor dem letzten Gottesdienst in unserer Kirche, weil sie ab jetzt für mehrere Jahre wegen Sanierungsarbeiten geschlossen bleibt. Natürlich ging die Nachricht wie ein Lauffeuer herum. Bevor jeder einzeln kommen konnte, habe ich die Nachricht offiziell verkündet. Ich habe gesagt, dass wir gerade von dem Tod erfahren haben, unsere Feier - so wie sie als Abschiedsgottesdienst konzipiert war, aber trotzdem stattfinden wird. Bis zum Beginn des Gottesdienstes haben wir den Rosenkranz gebetet. In den Fürbitten und im Hochgebet war das Thema natürlich immer präsent.

DOMRADIO.DE: Wie haben die Menschen in ihrer Gemeinde reagiert? 

Schießler: Das muss ein Papst erst einmal erreichen. Es herrschte durch die Bank weg echte Betroffenheit. Die Menschen sprachen nicht davon, dass der Papst tot ist, sondern, dass einer von uns gegangen ist. Er war ein Bruder von uns. Er war ein Mitgläubiger. So hat er sich auch benommen. Er hat uns nicht gezeigt, dass er im Glauben über uns steht. Zu mir hat einmal jemand gesagt: "Ich bin nicht Christ wegen dem Papst, aber mit ihm." Das hat man gestern gespürt. Es ist wirklich einer aus unserer Gemeinde gegangen und man betet im Hochgebet nicht mehr für den lebenden Papst, sondern für den verstorbenen. 

Rainer Maria Schießler

"Er war jemand, der durch seine Aura Menschen mitnehmen konnte"

DOMRADIO.DE: Viele erinnern sich gerade an ihren ganz persönlichen Franziskus-Moment und posten diesen zum Beispiel in den sozialen Medien. Welcher ist Ihr eigener Franziskus-Moment?

Schießler: Ich habe ihn, wie Millionen anderer Menschen, nur einmal kurz in seinem Papamobil vorbeifahren sehen. Das ist sehr bewegend, weil es den Job nur einmal auf der Welt gibt. Denjenigen zu sehen, der diesen Job ausübt, ist schon etwas Besonderes. Ein Bekannter, der jahrelang in Rom gelebt und Medizin studiert hat, schrieb mir eines Tages in einer Nachricht, dass er den Papst gesehen habe. Dabei habe er pure Menschlichkeit gespürt. Das überzeugt mich, denn wenn du mit Menschen zusammen bist, merkst du, ob der Mensch guttut. Welche Aura hat er, welche Atmo - wie ihr das im Radio sagt - verbreitet er? Tut er mir nicht gut, macht er mich krank? Er war jemand, der durch seine Aura die Menschen mitnehmen konnte. 

Rainer Maria Schießler

"Er hat die Frau auf eine Ebene gehoben, auf der sie vorher nicht war"

DOMRADIO.DE: Ein "Erneuerer der Kirche", sagt Bischof Bätzing. Einer, der die jungen Leute erreicht hat, sagen zum Beispiel Passanten auf dem Petersplatz. Wie hat sich Franziskus in diesen zwölf Jahren verdient gemacht? 

Schießler: Es wird ihm immer vorgeworfen, er hätte nichts durchgesetzt, aber da muss man ganz vorsichtig sein. Er war kein Papst, der neu Dogmen und Doktrinen herausgegeben hat. Er hat die Kirche wesentlich durch die Perspektive, die er gegeben hat, verändert. Er hat sie zur Selbstständigkeit bewegt und dazu aufgerufen, eigene Vorschläge zu machen. Er hat einen neuen Stil eingebracht, wie man über Gays (Anm. d. Red.: Slang, engl. für Schwule) und über Frauen spricht. 

Frauenbewegungen werfen Franziskus vor, dass er nichts dafür getan hätte, dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden dürfen. Er hat die Frau auf eine Ebene gehoben, auf der sie vorher nicht war. Nicht nur amtstechnisch und nicht nur im Vatikan, sondern indem er sagte, dass der Geist der Frau wichtiger sei, als der des Mannes. In seiner jüngsten Audienz sagte er, wo eine Frau am Werk sei, funktioniere es halt.

Auch hat ihn diese einfache Sprache, die jesuitische Einfachheit, die er jetzt konsequent bis zum Tod beibehält, ausgezeichnet. Indem er zum Beispiel in Santa Maria Maggiore beerdigt wird, geht er einen anderen Weg, ohne ein Revolutionär zu sein. Das wird bleiben und darum wird er als ein großer Papst in Erinnerung bleiben. 

Rainer Maria Schießler

"Er hat nicht aufgehört, mit dem Finger darauf zu zeigen. Und das ist die Aufgabe des großen Papstes"

DOMRADIO.DE: Wo hätten Sie sich ein wenig mehr Veränderung gewünscht? 

Schießler: Ich war zufrieden. Ich habe seinen Weg verstanden, der darin bestand, Vorbereiter zu sein. Das sage ich auch über meine 40-jährige Arbeit als Priester. Ich war nur zum Säen da. Ich bin nicht zum Gebäude aufbauen oder zum Ernten da. Ich gehe über das Feld und mache den Säemann, das ist mein Dienst. Das hat auch Franziskus gemacht, und das sehr vielfältig. Ob klimapolitisch, friedenspolitisch, wirtschaftspolitisch, in der Flüchtlingsfrage - er hat immer gesät. Die Fluchtbewegung etwa konnte er nicht einstellen, aber er hat nicht aufgehört, mit dem Finger darauf zu zeigen. Das ist die Aufgabe des großen Papstes. 

Rainer Maria Schießler

"Die Türen, die Franziskus aufgemacht hat, wird niemand mehr schließen"

DOMRADIO.DE: Was muss ein neuer Papst für die Zukunft der Kirche tun? Welche Fähigkeiten muss er haben? 

Schießler: Am Besten die gleichen. Die Türen, die Franziskus aufgemacht hat, wird niemand mehr schließen. Wehe dem, der meint, er könne schließen. Der nächste Papst sollte sie bitte noch ein Stück weiter aufmachen. Das hat Kirche 2000 Jahre lang gemacht und da machen wir schön brav weiter. Dann werden wir hier in den nächsten 2000 Jahren unsere Sendung leben können.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Rainer Maria Schießler

Rainer Maria Schießler, geboren 1960, gilt durch unkonventionelle Seelsorge und teilweise medienwirksamen Aktionen als "einer der bekanntesten Kirchenmänner" in Bayern und wird als "Münchens bekanntester Pfarrer" bezeichnet. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian in München und übernahm im Jahr 2011 auch die Münchner Heilig-Geist Gemeinde am Viktualienmarkt.

Pfarrer Rainer Maria Schießler mit einem Lamm im Arm / © Matthias Balk (dpa)
Quelle:
DR

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