DOMRADIO.DE: Wo sitzen Sie am Frankfurter Flughafen?
Tanja Sacher (Evangelische Pfarrerin im Kirchlichen Flüchtlingsdienst am Flughafen Frankfurt): Ich habe eine gesamtkirchliche Pfarrstelle im kirchlichen Flüchtlingsdienst. Meine Stelle ist aufgeteilt. Mit einer Hälfte der Stelle bin ich in der Außenstelle der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung im Transitbereich des Frankfurter Flughafens tätig. Das ist im Industriegebiet, in CargoCity Süd.
Dort werden geflüchtete asylsuchende Menschen unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht. Im Gebäude wird geklärt, ob sie einreisen dürfen oder nicht. Müssen sie durch das verkürzte Asylverfahren am Flughafen? Oder müssen sie zum Beispiel auch nach der Dubliner Übereinkunft überstellt werden?
Es landen auch Menschen aus der Ukraine, denen ich begegne und denen ich versuche weiterzuhelfen.
Die andere halbe Stelle, die ich habe, ist ausschließlich für Menschen aus der Ukraine. Hier am Flughafen versammelt sich die ganze Welt. Wir haben hier Tamilen aus Sri Lanka und Uiguren aus China. Wir haben Menschen aus Simbabwe, Südafrika und Nicaragua. Sie kommen von überall her, eben auch aus der Ukraine oder auch Kriegsverweigerer aus Russland.
DOMRADIO.DE: Wenn man speziell auf Ihre Hilfen für die Menschen eingeht, die aus der Ukraine zu Ihnen kommen oder auch die Kriegsdienstverweigerer aus Russland, welche Rolle spielt es da, dass Sie die Sprache sprechen?
Sacher: Das ist wichtig, weil die Geflüchteten die deutsche Sprache meistens nicht beherrschen. Manche Menschen sprechen ganz gutes Englisch, aber die deutsche Sprache ist einfach ein Problem. Deswegen ist es für sie hilfreich, wenn ich auf sie zukomme und sofort mit ihnen anfange, Russisch zu sprechen.
Denn dann fühlen sie sich verstanden und ich kann sie viel besser beim Orientieren unterstützen und ihnen weiterhelfen. Sie können mir einfach erklären, was Ihr Anliegen ist, ohne einen Sprachmittler zu benötigen.
DOMRADIO.DE: Was sind die dringendsten Sorgen, mit denen diese Menschen zu Ihnen kommen?
Sacher: Zunächst gibt es immer Probleme, sich überhaupt verständlich zu machen, ob das in der Ambulanz, im Krankenhaus oder in der Konfrontation mit allen möglichen Behörden ist. Egal, um was es geht, im Alltag gibt es immer wieder Probleme, sich verständlich zu machen.
Sie haben oft das Gefühl, der Bürokratie sozusagen ausgeliefert zu sein. Viele fühlen sich ohnmächtig, nicht nur, weil sie in irgendeinen bürokratischen Strudel gelangt sind, sondern es ist auch ein tiefsitzendes Gefühl von Ausgeliefertsein und Ohnmacht. Das haben sie aufgrund ihrer Kriegserfahrung und ihrer Flucht schon mitgebracht.
Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft und die Zukunft in der Ukraine. Wie wird es dort sein? Wann wird es endlich zu Ende sein? Werde ich jemals wieder in meine Heimat zurückkehren können?
Sie machen sich auch Sorgen um ihre Zukunft hier in Deutschland. Wie kann ich ankommen? Die Leute sagen sofort, dass sie nicht auf dem Nacken des Staates sitzen wollen. Sie möchten so schnell wie möglich einen Job finden und eine Wohnung mieten. Sie möchten, dass ihre Kinder in eine vernünftige Schule gehen, in der sie schnell Deutsch lernen. Das sind erst mal die dringendsten Fragen.
In der weiteren Begleitung kommt dazu, dass sie Diskriminierung erfahren, dass sie Rassismus erfahren, dass sie selbst immer größer und schwerer auszuhaltende Depressionen haben, dass sie immer wieder Panikattacken bekommen.
Sie können das nicht kontrollieren, dass ein Trigger-Reiz ausgelöst wird und sie plötzlich in Tränen ausbrechen oder sich irgendwo ducken und verstecken. Ihr Verhalten hat sich plötzlich verändert. Das können sie nicht erklären und das macht Angst.
DOMRADIO.DE: Wie versuchen Sie dabei zu helfen? Was können Sie tun?
Sacher: Ich versuche die Menschen erstmal zu orientieren und ihnen zu erklären, was jetzt mit ihnen passiert, wo sie sich gerade befinden und was sie tun können. Oft geht es um verfahrenstechnische Fragen oder um Banalitäten, die ihnen aber helfen, sich zu orientieren und zu verstehen, was gerade mit ihnen passiert.
Ein großer und wichtiger Teil ist die Stabilisierung der Menschen, dass sie selbst aus diesem Gefühl von Ausgeliefertsein und Ohnmacht rauskommen. Es ist wichtig, dass sie das Gefühl haben, dass sie etwas tun können und sich als selbstwirksam empfinden. Darin versuche ich sie zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: Was sind Hindernisse? Wo stoßen Sie auf Widerstände?
Sacher: Die größten Widerstände sehen wir in der öffentlichen Diskussion. Die AfD setzt Narrative, die die öffentliche Meinung vergiften. Solange Migration als Bedrohung wahrgenommen wird und Naturkatastrophen-Szenarien ausgemalt werden, kommt die Flut, dann vergiftet das eine Gesellschaft. Das ist etwas, das die größten Probleme insgesamt für die Menschen ausmacht, aber auch für mich und meine Arbeit.
DOMRADIO.DE: Was müsste passieren, damit sie die Geflüchteten aus der Ukraine besser unterstützen könnten?
Sacher: Es würde schon helfen, wenn wir statt Zahlen Menschen sehen, von Menschen sprechen und ihre Schicksale wahr- und ernst nehmen, also wenn man mehr Empathie wahrnehmen und Migration als Chance wahrnehmen würde.
Ein konkreteres Beispiel: Nächste Woche möchte ich gerne für drei Wochen in Urlaub fahren. Aber ich habe niemanden, den ich als Vertretung angeben kann. Ich frage mich, ob ich mein Diensthandy ausschalten kann. Denn was ist, wenn in dieser Zeit jemand abgeschoben wird? Oder wenn mich jemand genau zu diesem Zeitpunkt dringend braucht, damit ich ihn an eine Hilfsorganisation weitervermitteln kann oder ich schnell einen Rechtsbeistand für eine Familie finden muss. Dann erreichen sie mich nicht. Aber es gibt auch niemanden, der ihnen sonst in so einer akuten Situation weiterhelfen kann.
Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, mein Diensthandy auszuschalten und nicht erreichbar zu sein. Ich bräuchte im Prinzip noch mehr Kolleginnen und Kollegen, die dasselbe machen wie ich und mich in dieser Arbeit unterstützen würden.
Das Interview führte Hilde Regeniter.