Eigentlich wollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon im Frühjahr ein Konzept für eine zukunftsfähige Finanzierung der Pflege vorstellen. Doch dann kam die Corona-Krise - und nichts passierte.
Doch damit sind die Probleme nicht beseitigt. Am Donnerstag legte ein breit aufgestelltes "Bündnis für gute Pflege" einen Forderungskatalog für eine Reform vor. Der Tenor: Die Pflege ist am Limit. Veränderungen muss es noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 geben, so das Bündnis aus 23 Organisationen, zu denen Sozialverbände, Verbraucherschützer, kirchliche Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften gehören.
"Selbst mit auskömmlicher Rente nicht mehr zu bewältigen"
Beschrieben wird eine Finanzierungsfalle: Auf der einen Seite machen es die alternde Gesellschaft und ein Fachkräftemangel notwendig, dass mehr Geld in das System Pflege fließt. Auf der anderen Seite können schon jetzt immer mehr Pflegebedürftige ihre steigenden Eigenanteile nicht mehr bezahlen.
"Pflegebedürftigkeit ist zum realen Armutsrisiko geworden", kritisiert das Bündnis. "Selbst mit einer auskömmlichen Rente ist dies nicht mehr zu bewältigen."
Warum, das verdeutlichen die Zahlen, die in den vergangenen Wochen bekannt wurden: Die von den Pflegebedürftigen in Heimen selbst zu zahlenden Kosten sind nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen bundesweit auf im Schnitt mehr als 2.000 Euro im Monat gestiegen, wovon 786 Euro auf den sogenannten Eigenanteil, 774 Euro auf Unterkunft und Verpflegung sowie 455 Euro auf Investitionskosten entfielen. Und kurz darauf wurden durch das Statistische Bundesamt und die Linksfraktion bekannt, dass mittlerweile 36 Prozent der Pflegebedürftigen in Heimen Sozialhilfe benötigen, weil sie die Zuzahlungen nicht mehr aufbringen können.
Stellschrauben liegen auf der Hand
Seit 2013 hat die große Koalition drei Reformgesetze beschlossen und dabei unter anderem die Kriterien für Pflegebedürftigkeit neu definiert, die Leistungen für Demenzkranke verbessert sowie die Hilfen für pflegende Angehörige gestärkt. Die Mindestlöhne für Pflegekräfte wurden erhöht. Das alles kostet.
Die Stellschrauben bei der Pflegefinanzierung liegen auf der Hand: höhere Versicherungsbeiträge, größere Eigenanteile der Pflegebedürftigen und mehr Steuerzuschüsse. Vermutlich wird es angesichts der Alterung der Gesellschaft auf eine Kombination aus allen Elementen hinauslaufen.
Forderung nach Systemwechsel
Vorschläge für Finanzierungsmodelle liegen schon seit Monaten auf dem Tisch. Die Bertelsmann Stiftung etwa sprach sich für einen Mix aus moderat steigenden Beiträgen und einem wachsenden Zuschuss aus Steuermitteln aus. Damit werde mehr Generationengerechtigkeit geschaffen, hieß es zur Begründung. Die künftigen Generationen würden am wenigsten zusätzlich belastet.
Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) forderte einen Systemwechsel. Es plädiert aber für ein Zwei-Säulen-Modell aus Pflichtversicherung und einer kapitalgedeckten privaten Zusatzversicherung.
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung fordert dagegen eine Bürger-Vollversicherung, die alle Pflegekosten abdeckt. Dabei würde die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Versicherung aufgehoben. Eine einheitliche Bürgerversicherung, in die auch Selbstständige, Beamte und besser Verdienende einzahlen, gehört auch zu den Forderungen von SPD, Grünen und Linken.
Bündnis will Maßnahmen-Mix
Das "Bündnis für gute Pflege" sprach sich jetzt für einen Mix aus schnell möglichen Reformschritten und mittelfristigen Maßnahmen für einen Systemwechsel in der Pflegeversicherung aus. Kurzfristig durchsetzbar seien die Steuerfinanzierung "versicherungsfremder" Leistungen, die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege in stationären Einrichtungen durch die Krankenkassen, die Übernahme der Investitionskosten durch die Länder sowie die Begrenzung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Mittelfristig plädiert auch das Bündnis für die Einführung einer solidarischen und paritätisch finanzierten Bürgerversicherung.
Spahn selbst hat mehrfach betont, er wolle einen fairen Ausgleich schaffen. "Pflege darf nicht arm machen." Zudem ließ er durchblicken, dass er die Leistungen von Familien stärker berücksichtigen will.