Anders als in Deutschland oder in Frankreich gibt es in der Schweiz bislang keine nationale Studie über sexuelle Übergriffe im kirchlichen Kontext.
Die Schweizer Bischofskonferenz, die katholischen Ordensgemeinschaften der Schweiz (KOVOS) und die Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) haben im Herbst einen Vertrag mit der Universität Zürich unterschrieben. Es geht um ein einjähriges Pilotprojekt, das am Montag in Lausanne vorgestellt wurde.
"Kultur des Schweigens, Wegschauens und Vertuschens"
Das Projekt hat zwei Hauptziele, wie die Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier ausführten: "Erstens soll geklärt werden, welche Quellen existieren und zugänglich gemacht werden. Zweitens sollen mögliche Fragestellungen und Methoden für nachfolgende Forschungsprojekte vorgeschlagen werden." Die Historikerinnen sprachen von einer "Kultur des Schweigens, Wegschauens und Vertuschens" der katholischen Kirche, die es nun aufzuarbeiten gelte.
Das Forschungsteam besteht aus vier Personen, die die drei Schweizer Sprachregionen abdecken. Es werde im Mai "in die Quellenarbeit einsteigen". Ein Schwerpunkt soll in der Pilotphase auf den Geheimarchiven und Archiven der diözesanen Fachgremien liegen. Hier würden Anklagen und Straf-Akten von Priestern aufbewahrt.
Bei den Orden wird zunächst ein Schwerpunkt auf Institutionen gelegt, die mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet haben, wie es hieß. Auch sollten punktuell einzelne Missbrauchsfälle verfolgt werden, um zu prüfen, wo sich weitere Quellen befinden. Auch würden Gespräche mit Bischöfen, Opferorganisationen, Betroffenen und weiteren Zeitzeugen geführt.
Laut Bischof Bonnemain viele Taten vertuscht
Der Churer Bischof Joseph Bonnemain ist in der Bischofskonferenz für das Missbrauchsdossier zuständig. Er kündigte an, die Forschenden erhielten ungehinderten Zugang zu den Akten in den Bistumsarchiven.
Die Unabhängigkeit des Pilotprojekts sei gewährleistet. Bonnemain sagte, viele Taten seien vertuscht und die Opfer ignoriert worden.
Die Kirche müsse noch stärker zu einer lernenden Organisation werden, "die bereit ist, eigene Fehler einzugestehen und Strukturen zu verändern, die Verbrechen und deren Vertuschung ermöglicht oder begünstigt haben".
Die Präsidentin der Römisch-katholischen Zentralkonferenz, Renata Asal-Steger, sieht auch die Körperschaften in der Verantwortung. So gelte es zu klären, ob die staatskirchenrechtlichen Behörden als Aufsichtspflichtige präventiv gewirkt hätten oder ob es unterlassen wurde, "in Verdachtsfällen kritisch nachzufragen".
Vielleicht sei "manchmal weggeschaut" und damit zur "Vertuschung von Missbrauchsfällen beigetragen worden".
Betroffene begrüßen Pilotstudie
Vreni Peter von der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld begrüßte die Pilotstudie: "Endlich ist es soweit!", sagte sie in Lausanne. Allerdings zeigte sie sich "irritiert", dass es sich vorerst nur um eine Pilotstudie handelt.
Ihre Interessengemeinschaft erwarte, dass der Pilotstudie "unverzüglich eine umfassende Studie und Aufarbeitung folgen wird". Auch bereits bei der Pilotstudie sollten Betroffene angehört werden.
Renata Asal-Steger sagte, für sie sei klar, dass es danach mit einem größeren Forschungsprojekt weitergehe. Und Historikerin Meier kündigte an, nach Ende des Pilotprojekts werde auch "klar aufgedeckt, wer nicht kooperiert hat".