Plünderer rauben historische Stätten in Afghanistan aus

Antike Keramiken für den Whirlpool

Gier, Ignoranz und Gleichgültigkeit lassen historische Tempel, Paläste und Statuen in Afghanistan verschwinden. Die Plünderungen gehen trotz des Versprechens der Taliban-Regierung, die historischen Kulturschätze zu schützen, weiter.

Autor/in:
Michael Lenz
Afghanistan, Bamiyan / © Pvince73 (shutterstock)

Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) beim Durchsuchen einer Fülle von Satellitenbildern haben Wissenschaftlerdes "Center for Cultural Heritage Preservation" der Universität Chicago (UC) festgestellt, dass seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 noch an mindestens drei Dutzend archäologischen Orten Plünderer am Werk sind.

Die Taliban-Regierung habe vermutlich, wie ihre Vorgängerin Schwierigkeiten, gegen lokale Führer vorzugehen, die vom Verkauf der Artefakte profitieren, heißt es in einem Beitrag in dem Wissenschaftsmagazin "Science".

Keine klare Richtlinien

Noor Agha Noori, ehemaliger Direktor des "Archäologischen Instituts Afghanistan", sagte gegenüber "Science": "Seit ihrer Machtübernahme haben die Taliban einige Schritte unternommen, um archäologische Stätten zu schützen und Schmuggel zu verhindern." Allerdings seien Grenzen durchlässig, und es gebe keine klaren Richtlinien oder Gesetze und Vorschriften, jene zu bestrafen, die das kulturelle Erbe Afghanistans verletzen.

Die jüngste Analyse von Plünderungen entstand im Rahmen der "Afghan Heritage Mapping Partnership", einer von der US-Regierung finanzierten Initiative zur Identifizierung archäologischer Stätten. Als das Projekt 2015 begann, waren bereits rund 5.000 Standorte dokumentiert, darunter Siedlungen aus der Zeit des Achämenidenreiches vor etwa 2.500 Jahren wie auch spätere Kulturen und Reiche. Forscher vermuteten jedoch, dass es sich dabei "nur um einen Bruchteil dessen handelte, was tatsächlich vorhanden ist", so der Archäologe Gil Stein, Direktor des "Center for Cultural Heritage Preservation" der Universität Chicago.

Großer archäologische Datensatz

Steins Team erstellte zusammen mit afghanischen Archäologen eine Datenbank mit Satellitenbildern. Gemeinsam mit Informatikern entwickelten sie eine KI, die archäologische Stätten erkennen konnte, und trainierten sie mit Hilfe von fast 2.000 Bildern bekannter Stätten. Bis 2021 konnten Teams an den Computern in Chicago und Kabul mit solchen Tools mehr als 29.000 archäologische Stätten identifizieren. Das ist laut "Science" der größte archäologische Datensatz, der jemals für Afghanistan gesammelt wurde.

Die KI "entdeckte sogar Stätten die unsere menschlichen Analysten nicht identifizieren konnten", so Stein. An manchen Orten seien auf den Bildern Gruben zu sehen, die mit Hacken und Schaufeln gegraben worden seien. Auf Bildern, die nach 2017 aufgenommen wurden, als sich der Konflikt mit den wieder erstarkten Taliban verschärfte, würden durch Bulldozer verursachten Schäden sichtbar. Als die Forscher 162 Orte untersuchten, von denen bekannt war, dass sie zwischen 2018 und 2021 geplündert wurden, hätten sie 37 Stätten mit fortgesetzten Plünderungen seit der Machtübernahme der Taliban identifizieren können.

Buddha-Stätte im Tal von Bamiyan im Zentrum von Afghanistan. In den Felsnischen standen die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt. Sie wurden durch die Taliban im März 2001 zerstört.  / © Saifurahman Safi/XinHua/dpa (dpa)
Buddha-Stätte im Tal von Bamiyan im Zentrum von Afghanistan. In den Felsnischen standen die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt. Sie wurden durch die Taliban im März 2001 zerstört. / © Saifurahman Safi/XinHua/dpa ( dpa )

Islamistische "cancel culture"

Weltweites Entsetzen löste im März 2001 die Zerstörung der größten stehenden Buddha-Statuen der Welt durch sunnitische Taliban aus. Sie standen im 2.500 Meter hoch gelegenen, mehrheitlich von schiitischen Hazara bewohnten Bamiyan-Tal. Der Vandalismus der Taliban entsprang jedoch keiner Gier, sondern islamistischer "cancel culture". Die Buddha-Statuen waren historische Zeugnisse einer einzigartigen graeco-buddhistischen Kultur vom 3. bis zum 10. Jahrhundert in Bamiyan.

Der Islam setzte sich erst relativ spät in Afghanistan durch. In der Antike gehörte das heutige Afghanistan zum Perserreich. In der Spätantike siedelten dort iranische Hephthaliten, bevor deren Reich von den Sassaniden, deren Religion der Zoroastrismus war, und den Gök-Türken vernichtet wurde.

Geschichte Afghanistans 

Vermutlich waren die Hephthaliten ebenfalls Anhänger des Zoroastrismus, obwohl es auch archäologische Hinweise gibt, dass der Buddhismus ebenfalls eine Rolle gespielt haben könnte. Bei den Gök-Türken hingegen dominierte der Tengrismus der Turkvölker Zentralasiens. Der Glaube ist eine Mischung aus Animismus, Schamanismus, Ahnenverehrung und Göttern.

Nach dem Fall des persischen Sassaniden-Reiches (um 650) begann eine Invasion muslimischer Araber. Dennoch setzte sich der Islam in dieser Region verhältnismäßig langsam durch und nur gegen den Widerstand der buddhistischen Turk-Schahi und der hinduistischen Dynastie Hindu-Shahi. Die Geschichte des heutigen islamischen Afghanistan ist eng mit dem Aufstieg des Stamms der sunnitischen Paschtunen als dominierendem Volk verbunden, aus deren Reihen auch die Taliban stammen.

In Hotels und Bädern wiederzufinden 

Ob Taliban-Beamte direkt in den Plünderungen verwickelt sind, ist unklar. Es sei jedoch bekannt, dass die Schmuggler antiker Artefakte lokalen Taliban-Kommandeuren eine "Provision" für Antiquitäten zahlen, zitierte "Science" einen afghanischen Archäologen, der anonym bleiben wollte. Die Artefakte tauchten oft in neuen Gebäuden auf, sagt er, darunter "Säulen, die in Hotels verwendet werden" oder als "Keramik in Bädern und Whirlpools."

Die Taliban antworteten nicht auf eine Bitte von "Science" um Stellungnahme. Es sei aber bekannt, dass die Regierung in Kabul öffentlich die Plünderung archäologischer Stätten verurteilt und seit ihrer Machtübernahme Maßnahmen zum Schutz oder zur Wiederherstellung einiger Denkmäler und Kulturstätten ergriffen hat. Die Taliban seien zur Zusammenarbeit mit ausländischen Geldgebern bei archäologischen Projekten bereit. Doch der Autor des "Science"-Artikels meint: "Da die Taliban größtenteils aus der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen sind, sind nur wenige Geber dazu bereit."

Taliban: Islamistische "Gotteskrieger"

Der Begriff Taliban ("Koranschüler") hat sich als Bezeichnung für die islamistischen Aufständischen in Afghanistan eingebürgert. Die "Gotteskrieger" wollen wieder ihr Islamisches Emirat Afghanistan errichten. Bis 2001 hatten die Taliban die Macht über das Land am Hindukusch.

Taliban-Kämpfer in Afghanistan / © john smith 2021 (shutterstock)
Taliban-Kämpfer in Afghanistan / © john smith 2021 ( shutterstock )
Quelle:
KNA