DOMRADIO.DE: Die neue polnische Regierung gibt sich sehr pro-europäisch und gegenüber Deutschland sehr versöhnlich. Kann man sagen, sie ist das Gegenteil zur nationalpopulistischen PiS-Partei?
Dr. Anja Hennig (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt an der Oder): In den groben Zügen auf jeden Fall. Wenn es um die Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die pro-europäisch Position geht, kann man das sagen. Wenn man sich einzelne Politikfelder anschauen sollte, gibt es Kontinuitäten, die sozialpolitisch oder energiepolitisch nicht verwundern. Aber das ist gerade nicht unser Thema.
DOMRADIO.DE: Die PiS und der polnische Präsident Andrzej Duda, haben den Wechsel wochenlang hinausgezögert. In der Zwischenzeit wurden Akten vernichtet, Posten besetzt, Regeln geändert. Das klingt nicht sehr demokratisch.
Hennig: Das ist genau das, was der PiS wichtig war. Es geht um Finanzen, die noch verteilt werden mussten. Es ging um eine Absicherung der eigenen Partei. Die PiS hat die Zeit dafür genutzt. Natürlich ist das nicht unbedingt demokratisch. Aber sie hat sich auch in den letzten acht Jahren nicht in unserem Verständnis demokratisch gezeigt.
DOMRADIO.DE: Welche Konsequenzen hat die Ablösung der PiS-Partei für kirchliche Institutionen in Polen, für Bischöfe, Priester, aber auch für die konservativ orientierten Katholiken und Katholikinnen?
Hennig: Das ist ganz interessant. Das Dreierbündnis der Regierung ist gerade in diesen Fragen, auch auf moralpolitische Themen bezogen, sehr unterschiedlicher Meinung.
Donald Tusk mit der "Platforma Obywatelska" (Bürgerplattform, Anm. d. Red.) ist in vielen moralpolitischen Fragen wie Abtreibung oder gleichgeschlechtlicher Partnerschaften liberal. Die "Polska Lewica" (Polnische Linke, Anm. d. Red.) zeigt schon fast antiklerikale Töne. Und Szymon Hołownia (unabhängiger Kandidat um das Amt des Präsidenten, Anm. d. Red.) präsentiert sich auch offen als Katholik. Für ihn aber ist Religion eine Privatsache. Das macht auch den Konsens für alle drei aus.
Aber die Politik sollte sich nicht gegen die Kirche oder gegen Gläubige richten, sondern gegen die Privilegien der katholischen Kirche und die Interaktion von Kirche und Politik, die in der PiS-Regierungszeit sehr ausgeprägt war. Interessant ist, dass wir im Koalitionsvertrag, der schon vor Regierungsstart formuliert wurde, zumindest sehen, dass man sich auf diese Notwendigkeit verständigt.
Ich zitiere mal aus dem Kontext: Die Trennung von Kirche und Staat, die auf den Grundsätzen der gegenseitigen Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Staates in religiösen und weltanschaulichen Fragen beruht, ist eigentlich ein Allgemeinplatz für liberale Demokratien, der hier aber betont wurde.
Wenn es jetzt um konkrete Maßnahmen geht, so wurde im Wahlkampf betont, dass man die In-vitro-Maßnahmen, also künstliche Befruchtung, wieder finanzieren möchte. Das war das erste, was die PiS abgeschafft hat.
Das Thema Abtreibung wird diskutiert. Da gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie weit die Wahlfreiheit der Frauen gehen soll. Es soll einen leichteren Zugang zu Verhütungsmitteln geben. Religionsunterricht soll nur an Randstunden stattfinden.
Hier wird einiges verhandelt und natürlich gibt es noch die Frage des Kirchenfonds. Das sind finanzielle Unterstützungen, auch die Frage der Besteuerung von Priestern spielt mit rein. Hier gibt es einige Themen, die diskutiert werden, welche die Kirche oder die Kirchen-Mitarbeitenden direkt betreffen.
DOMRADIO.DE: Eine klare, strikte Trennung zwischen Staat und Religion, also eine Säkularisierung wird angestrebt. Aber auch die neuen Partner sind sehr heterogen, von ganz links-außen bis über christlich-konservativ. Kann man überhaupt sagen, dass eine klare Abkehr vom Kurs der PiS-Partei einfach durchzusetzen sein wird?
Hennig: Es gibt einen Unterschied zwischen der Trennung von Kirche und Staat und der Trennung von Religion und Politik. Beides ist während der PiS-Zeit entweder stärker vernachlässigt oder forciert worden. Die PiS hat sich ihr Wertesystem auf einem nationalkonservativen Katholizismus aufgebaut.
Man hat vor allem den radikalsten Akteuren aus Hierarchie und NGOs ein Forum gegeben, also gewissermaßen den rechten Rand der katholischen Kirche gestärkt. Das ist eine breitere Landschaft unterschiedlicher Einrichtungen, also nicht nur die Kirchenhierarchie selbst. Das wird sich auf jeden Fall ändern.
Es gibt liberale, katholische Akteure in Polen. Für die ist dieser Regierungswechsel definitiv eine Chance. Man wird sich nicht gegen die individuelle Religiosität richten. Tusk hat sogar gesagt, dass diese Korruptionsskandale und vor allem die Pädophilie sowie diese enge Verbindung zur PiS der Kirche massiv geschadet hat.
Eine Politik der Trennung von Kirche und Staat könnte diese Vertrauenskrise der Kirche ein Stück weit bewältigen. Vielleicht können sich auch junge Menschen, die spirituelle Interessen haben, wieder der Kirche zuwenden, wenn sie entpolitisiert wird.
Das Interview führte Elena Hong.