Polens Regierung bremst und bremst. Seit einem Jahr machen sich in Warschau die katholische Kirche und Flüchtlingsorganisationen für einen "humanitären Korridor" für syrische Kriegsopfer stark. Nach italienischem Vorbild wollen sie besonders schwer belasteten Flüchtlingsfamilien helfen. Aber die nationalkonservative Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ bislang keine einzige ins Land.
Angst vor "gesellschaftlicher Katastrophe"
Statt der Kirche die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten zu erlauben, schürt die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Ängste vor Menschen aus anderen Kulturen. Ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski warnte jüngst, wenn eine große Gruppe von ihnen nach Polen käme, "müssten wir unsere Kultur völlig ändern, und das Sicherheitsniveau in unserem Land würde radikal sinken". Die Einwanderung von Muslimen bringe nicht nur Terrorismus, sondern "eine gesellschaftliche Katastrophe", sagte er der Zeitung "Gazeta Polska Codziennie".
Bischöfe nahmen mit den zuständigen Ministerien Gespräche über einen humanitären Korridor auf. Die Regierung wolle möglicherweise Syrer für "Kurzaufenthalte zur Genesung" ins Land lassen, machte ihnen Außenminister Witold Waszczykowsk am Dienstag bei einer Pressekonferenz Hoffnung. Doch Regierungssprecher Rafel Bochenek ruderte inzwischen zurück. Die Haltung des Kabinetts habe sich nicht geändert. Man wolle weiter an "Ort und Stelle im Nahen Osten" helfen. "Das ist die wirksamste Hilfe", so Bochenek.
Vertrag mit Kirche in Not
Vor laufenden Kameras hatte die Ministerpräsidentin mit dem polnischen Zweig des päpstlichen Hilfswerks "Kirche in Not" Anfang März einen Vertrag geschlossen. 360.000 Euro stellte sie damals für den Wiederaufbau und den Betrieb eines Krankenhauses im syrischen Aleppo bereit. Das suggerierte, Szydlo stehe in der Flüchtlingsfrage an der Seite der Kirche. Überraschend erklärte der Leiter der polnischen Abteilung von "Kirche in Not", Waldemar Cislo, bei dieser Gelegenheit sogar, es brauche keinen humanitären Korridor nach Polen.
Damit wich er klar vom Kurs der Bischofskonferenz ab.
Warschauer Erzbischof wirbt für Flüchtlingsaufnahme
Besonders Kardinal Kazimierz Nycz wirbt unermüdlich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien in Polen. "Für mich ist es am wichtigsten, dass endlich Menschen unterstützt werden, die humanitäre Hilfe brauchen", sagte der Warschauer Erzbischof. "Wir warten und freuen uns, dass es in jüngster Zeit gewisse Signale von der Regierung gegeben hat." Tatsächlich schloss die Ministerpräsidentin einen humanitären Korridor nicht aus.
Nycz will vor allem Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren haben, und schwer erkrankte Flüchtlinge ins Land holen. Damit folgt er dem Beispiel der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio. Gemeinsam mit der Bischofskonferenz und protestantischen Kirchen hatte diese 2016 mit Italiens Regierung einen humanitären Korridor für fast 1.000 syrische Flüchtlinge ausgehandelt. Italiens Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut verteilte demnach Visa an besonders hilfsbedürftige Flüchtlingsfamilien. Die kirchlichen Träger der Initiative finanzieren den Unterhalt der Familien in Italien.
Auch Frankreich folgte diesem Beispiel. Im März unterzeichneten der damalige Staatspräsident Francois Hollande und Vertreter verschiedener Organisationen ein Übereinkommen zu einem humanitären Korridor für 500 Flüchtlinge aus Syrien. Auch in Spanien wird nach Angaben von Sant'Egidio ein ähnliches Projekt vorbereitet.
Regierung scheut offene Konfrontation
Auf offenen Konfrontationskurs mit den Bischöfen wird Szydlo in der Flüchtlingsfrage nicht gehen - auch wenn eine Mehrheit der Polen Umfragen zufolge keine Syrer aufnehmen will. Die Regierungschefin ist gläubige Katholikin. Ihr Sohn Tymoteusz wurde vor wenigen Tagen im südpolnischen Bielsko-Biala zum Priester geweiht. Die Gespräche mit der Kirche auf die lange Bank zu schieben - das kann sie aber sehr wohl.
Eingeschaltet hat sich laut polnischen Medienberichten inzwischen auch der Vatikanbotschafter in Warschau, Erzbischof Salvatore Pennacchio. Er soll Szydlo in einem Brief um Hilfe für Flüchtlinge gebeten haben und als Beispiel den italienischen Korridor genannt haben.