Polens Kirche sieht Wahlerfolg der Antiklerikalen gelassen

Die Erde bebt nicht

Es ist ein Kulturschock für viele Polen: Mit einer polemischen Kampagne gegen die katholische Kirche gewann die neue "Palikot-Bewegung" am Sonntag zehn Prozent der Stimmen bei der Parlamentswahl - und wurde damit überraschend zur drittstärksten Partei Polens.

 (DR)

"Der größte Verlierer der Wahl ist die Kirche", kommentierte entsetzt das konservative Onlineportal "wPolityce". Polnische Bischöfe reagierten allerdings gelassen. Mit Kommentaren hielt sich die Kirchenspitze zunächst zurück. Erst am Montagabend erklärte der Danziger Erzbischof Slawoj Leszek Glodz knapp: "Die Erde wird trotzdem nicht beben." Die Sache sei "sehr komplex". Glodz kritisierte zudem die niedrige Wahlbeteiligung von knapp 49 Prozent - 5 Prozentpunkte weniger als 2007.



"Es gibt keinen Grund zur Panik", betonte auch der einstige Rektor der Päpstlichen Johannes-Paul-II.-Universität in Krakau, der emeritierte Weihbischof Tadeusz Pieronek. "Aber man muss offene Augen haben." Schon jetzt zeichnet sich eine Debatte ab, ob die Kirche die Gesellschaft künftig anders ansprechen solle. So wertete der Kattowitzer Weihbischof Jozef Kupny den Erfolg der "Palikot-Bewegung" als "weitere Herausforderung für uns": "Wir sollten sehr geduldig in der Überzeugung des moralischen Rechts erklären, wo viele Missverständnisse liegen."



Die Kirche müsse Konsequenzen aus dem wachsenden Antiklerikalismus ziehen, verlangte der Krakauer Jesuit Krzysztof Madel. Sie müsse mit der ganzen Gesellschaft kommunizieren, nicht nur mit den Gläubigen. Die Kirche solle schnell und offen reagieren, wenn ihr etwa vorgeworfen werde, sie erhalte vom Staat zu viel Entschädigung für während des Kommunismus beschlagnahmtes Kircheneigentum.



Kirchenhetze

Im Wahlkampf hatte die erst vor einem Jahr von dem Multimillionär Janusz Palikot (46) gegründete Partei gegen die Kirche gehetzt. Die Bürger müssten sich den von der Kirche besetzten Staat zurückerobern. "Schluss mit dem Religionsunterricht in den Schulen", forderten die Antiklerikalen. Und: Statt Geld vom Staat zu kassieren, solle die Kirche Steuern zahlen. Staat und Kirche müssten streng getrennt werden.



Für Parlamentspräsident Grzegorz Schetyna stellt der Wahltriumph der "Palikot-Bewegung" eine Zäsur dar: "Zum ersten Mal zieht eine offen antiklerikale Partei ins Parlament ein. Das ist eine größere Veränderung, als wir alle denken." Mit Angriffen auf die Kirche habe bislang keine Partei Erfolg gehabt. Das habe sich nun geändert. "Es gibt etwas Neues in der polnischen Seele", so Schetyna.



Vor allem der Ton im Parlament wird sich Beobachtern zufolge ändern. Denn Hetztiraden gegen die Kirche waren bislang im Sejm tabu. Sie waren vielmehr das Metier der Wochenzeitung "Fakty i Mity" (Fakten und Mythen). Deren Gründer und Chefredakteur, der ehemalige katholische Priester Roman Kotlinski (44), sitzt nun für die Antiklerikalen im Parlament. Sein Blatt wettert vulgär gegen die Bischöfe und auch gegen den früheren Papst aus Polen Johannes Paul II. (1978-2005). Und das auf fast allen Seiten.



Junge Wählerstimmen

Am meisten gepunktet hat die "Palikot-Bewegung" bei den 18- bis 25-Jährigen. Fast jeder vierte Wähler dieser Altersgruppe stimmte einer Umfrage zufolge für die Antiklerikalen. Fast zwei Drittel der Wähler sind den Angaben zufolge Männer. Die meisten von ihnen stimmten vor vier Jahren für die rechtsliberale Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk. Für diese Partei saß Janusz Palikot bis vor einem Jahr im Parlament.



Noch vor zwei Wochen hatten die Antiklerikalen in allen Umfragen unter fünf Prozent gelegen. Konservative Kommentatoren machten für den Erfolg der Partei deren angeblich zu große Präsenz in privaten TV- und Radiosendern verantwortlich. Janusz Palikot weckte mit zahlreichen Provokationen viele Emotionen. Für mediales Aufsehen wird die Partei wohl auch in nächster Zeit sorgen: Mit Anna Grodzka entsendet sie die erste Transsexuelle ins polnische Parlament.