Politiker zur Diskussion um die Essener Tafel

"Menschen wirksam vor Armut schützen"

Politiker von Linken und Grünen sehen die umstrittene Essener Entscheidung der Essener Tafel als "Hilfeschrei", der gehört werden müsse. Am Samstag besuchte NRW-Integrationsminister Joachim Stamp die Essener Tafel.

Altersarmut / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Altersarmut / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Nach dem Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel wird zunehmend über das Problem der Armut in Deutschland debattiert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bezeichnete die Entscheidung der Tafel als "Hilfeschrei". Die Politik müsse "das Problem, das dahinter steckt, erkennen und lösen". Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte die künftige Bundesregierung auf, Familien besser vor Armut zu schützen.

Kein rassistisches Vorgehen

Bodo Ramelow / © arifoto UG (dpa)
Bodo Ramelow / © arifoto UG ( dpa )

Ramelow sagte dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Samstag), die Tafeln leisteten "wichtige Arbeit, sind aber oftmals einfach überfordert". Zu dem Vorgehen der Essener Tafel erklärte er: "Womöglich hätten die Verantwortlichen vor Ort eine andere Struktur der Verteilung der Lebensmittel finden können." Dann wäre die Entscheidung, einen Teil der Antragsteller abzuweisen, überflüssig gewesen. Rassistisch sei das Vorgehen aber nicht.

Ramelow fügte hinzu: "In meinen Augen ist es einer Gesellschaft wie der unsrigen unwürdig, wenn Menschen wie Bittsteller behandelt werden und sich in Schlangen stellen müssen, um Nahrungsmittel zu erhalten, damit sie wenigstens einigermaßen über die Runden kommen." Bund, Länder und Kommunen müssten sich mit der Frage beschäftigen, welche sozialen Angebote für arme Menschen gemacht werden und ob sie ausreichen, damit gesellschaftliche Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden können.

"Hilferuf" von engagierten Freiwilligen

Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler (dpa)
Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler ( dpa )

Nach den Worten von Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt muss die Bundesregierung "für mehr soziale Sicherheit in unserem Land sorgen und Menschen wirksam vor Armut schützen". Vor allem Familien mit Kindern müssten deutlich entlastet werden, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Wer arbeitslos sei, müsse eine soziale Absicherung bekommen, die auch wirklich vor Armut schütze.

Die Entscheidung der Essener Tafel, keine Ausländer mehr als Neukunden aufzunehmen, halte sie für falsch, erklärte die Grünen-Politikerin. Wie Ramelow sprach sie von einem "Hilferuf" von engagierten Freiwilligen, die dieser Not nicht mehr Herr werden. Es handele sich nicht um rechte Meinungsmache.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

Essener Tafel-Chef kritisiert Politik

Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, hat ein "politisches Hin und Her" in der Debatte um die Tafeln kritisiert. Bis vor kurzem sei in Essen die SPD an der Macht gewesen. "Jetzt soll der neue Oberbürgermeister schuld an der Misere sein?", fragte er in der "Bild"-Zeitung (Samstag). Sozialdemokratische Politiker hatten zuvor den Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) kritisiert, weil der sich nicht um die Tafeln gekümmert habe. Sartor: "Solche Aussagen führen zu Politikverdrossenheit."

Verband fordert "Masterplan zur Armutsbekämpfung"

Die Tafeln sind nur ein Symptom für die wachsende Armut in der Gesellschaft, sagt Christian Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. "Es gibt faktisch ein steigendes Armutsproblem in Deutschland. Das wird bei den Tafeln greifbar", so Woltering weiter. Er fordert einen Masterplan zur Armutsbekämpfung. "Es geht um eine armutssichere Ausgestaltung der Sozialsysteme, vor allem bei alten Menschen, Arbeitslosen und Asylbewerbern."

In der Debatte werde offensichtlich, "was schon lange rumort hat: Dass es in Deutschland an vielen Stellen nicht so läuft wie die Politik uns weißmachen will". Woltering kritisierte erneut die Entscheidung der Essener Tafel, vorübergehend keine Ausländer aufzunehmen. "Das ist kein vernünftiger Weg, um Bedürftigen zu helfen."

Joachim Stamp / © Guido Kirchner (dpa)
Joachim Stamp / © Guido Kirchner ( dpa )

Integrationsminister besucht Essener Tafel

Am Samstag besuchte Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) die Essener Tafel. Er hatte am Mittwoch im Landtag angekündigt, sich am Rande einer regulären Lebensmittelausgabe selbst ein Bild vor Ort verschaffen und mit Beteiligten reden zu wollen.

Im Landtag hatte Stamp ein anständiges Benehmen aller Tafel-Kunden gefordert: "Ich kann nur appellieren an unsere Gesellschaft, dass wir uns nicht definieren über deutsch oder nicht deutsch, sondern dass wir uns definieren über anständig und unanständig", sagte Stamp wörtlich. "Wer an einer Tafel sich nicht anständig benimmt, der gehört da dauerhaft ausgeschlossen und da ist es auch völlig egal, ob er einen Fluchthintergrund hat oder nicht. Wer sich nicht benimmt, hat an einer Tafel nichts verloren." Generell müsse bei dem Angebot nicht die Herkunft, sondern die Bedürftigkeit entscheidend sein, sagte der Minister weiter.

Eindeutiges Umfrageergebnis

Der Schritt der Essener Tafel stößt laut einer Umfrage bei der Mehrheit der Deutschen auf Verständnis. In der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey für die "Welt" (Samstag) bejahten 66 Prozent die Frage "Haben Sie Verständnis dafür, dass der wohltätige Verein 'Essener Tafel' nur noch Menschen mit deutschem Pass aufnimmt?". 27 Prozent der Befragten haben dagegen kein Verständnis für die Maßnahme. Sieben Prozent sind in dieser Frage unentschieden.

Quelle:
dpa , epd