Politikwissenschaftler über die Berichte nach dem Attentat in Berlin

Instrumentalisiert die Boulevard-Presse die Angst?

"Angst" - das Wort prangt auf der Titelseite der am Mittwoch erschienenen "BILD" - Zeitung. Einen solchen Titel und mediale Herangehensweise findet der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann verantwortungslos, erklärt er gegenüber domradio.de.

Medien in der Verantwortung / © Sven Hoppe (dpa)
Medien in der Verantwortung / © Sven Hoppe ( dpa )

domradio.de: Die Bildzeitung, macht heute mit den Worten "Angst!" auf. Ist dies ein guter Titel für den heutigen Tag?

Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist): Nein, ist es nicht. Es ist zwar Aufgabe des Boulevardjournalismus - wie überhaupt des Journalismus - auch Empfindungen der Bevölkerung zu artikulieren. Aber es sollte eben nicht zu reißerisch sein.

domradio.de: Was wären denn Alternativen?

Püttmann: Man hätte ja auch zum Beispiel "Entsetzen", "Trauer" oder "Schock" schreiben können. Aber "Angst", die berühmte "German Angst" ist doch irgendwie künstlich forcierend. Es passt auch meines Erachtens nicht zur Wirklichkeit: Erstens ist die Stimmungslage in der Bevölkerung eine andere. Wir wissen aus Umfragen, dass die große Mehrheit damit gerechnet hat, dass so ein Anschlag auch in Deutschland passieren wird. Ich persönlich habe oft gehört: "Wir lassen uns dadurch nicht terrorisieren." "Wir lassen uns unsere Lebensweise dadurch nicht kaputt machen." "Wir gehen trotzdem auf die Straße." Zweitens passt es nicht zum Leitkommentar der Bild Zeitung selbst, wo Nikolaus Blome Besonnenheit und Entschlossenheit fordert. Das ist nun beides das glatte Gegenteil von Angst.

domradio.de: Würden Sie so weit gehen und sagen, die machen sich mit solchen Tönen zum Sprachrohr der Terroristen, indem man zusätzlich Ängste schürt?

Püttmann: Ja, wenn die Terroristen solche Schlagzeilen lesen - und sie werden ja auf das Echo achten -, dann wird so eine Schlagzeile sie natürlich freuen. Denn Angst zu erzeugen ist ja ihr Ziel. Dieses Ziel der Verunsicherung haben übrigens noch andere Akteure: Russland mit seinem systematischen Propagandakrieg und die Rechtspopulisten, die Probleme emotionalisieren statt praktikable Lösungsvorschläge zu machen.

domradio.de: Wie finden sie es, dass man als Journalist bei einer heiklen politischen Lage noch Öl ins Feuer gießt?

Püttmann: Ich halte das natürlich schon für verantwortungslos. Aber ich finde auch nicht, dass es Aufgabe des Journalismus ist, zu beschwichtigen. Also etwa gegen eine bestimmte Stimmung in der Bevölkerung zu schreiben. Allerdings bestreite ich, dass die Stimmung in der Bevölkerung so Angst-dominiert ist. Beides,das Beschwichtigen und das Forcieren von Furcht, die es natürlich gibt, ist falsch. Öl ins Feuer der Angst zu gießen ist verantwortungslos.

domradio.de: Viele schreiben von Angst. Sie sprechen von Furcht, warum?

Püttmann: Bei der Furcht hat man einen konkreten Gegenstand, vor dem man sich fürchtet. Angst ist eine eher irrationale Befindlichkeit. 

domradio.de: Nicht erst seit diesen Tagen setzt die Bild-Zeitung Themen und beeinflusst damit die öffentliche Meinung. Wie sehen Sie das?

Püttmann: Es ist durchaus eine Aufgabe von Medien, Themen auszuwählen, zu bestimmen. Dafür gibt es den Fachausdruck "Agenda-Setting". Journalisten setzen die Themen des Tages, bestimmen die Tagesordnung wesentlich mit. Auch damit bilden sie die öffentliche Meinung. Die Meinungsbildungsfunktion ist völlig legitim. Allerdings muss es für beides auch Anhaltspunkte in der Sache geben. Es darf nicht zu einseitig und nicht zu agitatorisch werden.

domradio.de: Also, Sie meinen, dass sehr stark für etwas geworben wird und Menschen im Sinne bestimmter politischer Ziele beeinflusst werden…

Püttmann: Ja, dann wird die Themensetzung zum Kampagnenjournalismus oder die Meinungsbildung eben zur Panikmache oder zum Politik Treiben. Hier hat man doch den Eindruck, dass die Bild-Zeitung, deren Auflage drastisch gesunken ist in den letzten Jahren, versucht, durch das Schüren von Angst vor allem Auflage zu machen. Das ist schon ein erbärmliches Unterfangen. In so einer ernsten Situation sollte man sich verantwortungsbewusster verhalten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR