DOMRADIO.DE: Was verbinden Sie persönlich mit Sinéad O'Connor?
Manfred Müller (Diakon im Bistum Würzburg und Experte für Popmusik): Als sie das Lied "Nothing Compares 2 U", das sie bekannt gemacht hat, rauskam, war ich 20 Jahre alt. Und das lief bei mir rauf und runter.
Ich habe dieses Video auch heute noch mal ganz bewusst angeguckt. Das hat ja damals Musikgeschichte geschrieben, weil man fast nur ihr Gesicht sieht, während sie das Lied singt. Man sieht auch, wie die Träne aus ihrem Auge sich langsam auf den Weg macht. Das ist schon ein unvorstellbarer Moment gewesen. Und dieses Lied mit diesem Video dazu ist auch ein Stück meiner Lebensgeschichte.
DOMRADIO.DE: Die Sängerin wuchs im konservativ-katholischen Irland der 70er und 80er-Jahre auf, und das hat sie geprägt. Inwiefern?
Müller: Ja, das hat sie geprägt, weil sie in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die ganz streng katholisch war; das hat sie auch extrem in der Familie erlebt. Sinéad O'Connor hat das immer wieder beschrieben und auch offen davon gesprochen, dass sie sich von ihrer Mutter massivst misshandelt gefühlt hat.
Wie wir uns dieses Misshandeln vorstellen müssen, das sagt sie nicht. Aber eine Erziehung unter Druck, eine Erziehung mit ganz großen Repressalien ist eben auch Missbrauch an einem Menschen. Da braucht es nicht unbedingt die Fantasie, ob das Schläge waren, sondern eventuell ist da vieles über den sozialen Druck gegangen.
DOMRADIO.DE: O'Connor hat ja auch immer wieder davon gesprochen, dass sie als Jugendliche auch von Geistlichen missbraucht worden ist. Was wissen wir darüber?
Müller: Sie hat diese Vorwürfe schon Jahre vorher geäußert, bevor die Missbrauchsthematik in ganz großem Ausmaß an die Öffentlichkeit gegangen ist. Ihr haben damals wahrscheinlich wenige Menschen geglaubt. Da muss man doch wahnsinnig Respekt haben vor ihrem Mut, mit dem Wissen, das die Vorwürfe eine wahnsinnige Gegenwelle auslösen, und dann trotzdem zu sagen: "Das ist meine Lebensgeschichte, das habe ich erlebt und erleiden müssen. Dazu stehe ich. Das müssen alle erfahren."
DOMRADIO.DE: Es gibt noch die Anekdote, dass Sie sich 1996 in Lourdes unter dem Ordensnamen Mother Bernadette Mary zur Priesterin der orthodox-katholischen Kirche weihen ließ, was die römisch-katholische Kirche selbstverständlich nicht anerkannt hat. 2018 ist sie dann zum Islam konvertiert. Was zeigt das über sie und ihr Verhältnis zur Religion und auch zur römisch-katholischen Kirche?
Müller: Wenn man ihren Lebensweg so verfolgt, sieht man das Hin und Her mit Namensänderungen und Konversion, und man sieht, dass sie in vielem leider eine bedauernswerte Frau war. Sie selbst steht dazu und sagt ganz offen, dass sie psychische Probleme hatte.
Sie war auf der Suche: spirituell, aber vermutlich auch – gezeichnet von der Erziehung, von dem Umfeld, in dem sie großgeworden ist – auf der Suche nach dem Glück und offensichtlich konnte sie nirgends so richtig glücklich werden.
DOMRADIO.DE: Über die genauen Todesumstände ist ja zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts Näheres bekannt. Wir wissen aber, dass sie unter einer bipolaren Störung litt, mehrere Suizidversuche hinter sich hatte und dass der Suizid ihres 17-jährigen Sohnes sie natürlich total aus der Bahn geworfen hatte. Das ist noch nicht so lange her. Seelischer Schmerz und psychische Probleme haben ihr Leben geprägt. Wie spiegelt sich das in ihrer Musik wieder?
Müller: Die Musik ist inhaltlich von diesem Seelenschmerz immer wieder erfüllt: in den Texten, in der Melodie, in der Art, wie sie singt. Wie verletzlich und wie schmerzhaft sie sich in Texten ausdrücken kann, sieht man ganz deutlich in dem Video von "Nothing Compares 2 U".
Aber ihre Stimme, die eine unglaubliche Vielfalt hat, die wunderschön klingt, aber die auch diese Zerrissenheit ausdrückt – ich denke, das spricht Bände.
Das Interview führte Michelle Olion.