Präses verteidigt Missbrauchsaufarbeitung "seiner" Kirche

"Uns liegt sehr an externer Aufarbeitung"

Kritiker vermissen eine externe Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche. So urteilte auch der Jura-Professor Jacob Joussen. Ihm widerspricht der Leitende Geistliche der rheinischen Landeskirche, Thorsten Latzel.

"Wir sind ganz klar für unabhängige Aufarbeitung", sagte der Präses im Interview der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag). Dies geschehe in der regionalen Aufarbeitungskommission für die Region West, die im Herbst ihre Arbeit aufnehmen werde. Dort sitze die Landeskirche zwar mit am Tisch, habe aber keine Mehrheit.

"Auch wenn wir als Kirche der Auftraggeber sind"

Latzel reagierte auf Kritik des Bochumer Jura-Professors Jacob Joussen. Der begründete seinen vorzeitigen Rückzug aus dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter anderem damit, dass die Missbrauchsfälle der Kirche nicht von außerhalb aufgearbeitet werden. "Eine Institution wie die EKD kann sich nicht selbst aufarbeiten."

Mit Blick auf seine Landeskirche wies Latzel den Vorwurf zurück. Alle 70 Missbrauchsfälle der rheinischen Kirche, die in der im Januar vorgestellten EKD-Missbrauchsstudie aufgeführt sind, seien der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben worden. Auch ein Strafrechtler schaue sich die Fälle an. 

Zudem würden aktuell Wissenschaftler mit fallbezogenen Studien beauftragt. "Uns liegt sehr an unabhängiger, externer Aufarbeitung unter Einbeziehung der Betroffenen - auch wenn wir als Kirche der Auftraggeber sind."

Mehrere Untersuchungen in Auftrag gegeben

Eine Untersuchung fasst laut Latzel die Internate ins Auge, die seit 1946 in evangelischer Trägerschaft auf dem rheinischen  Kirchengebiet waren. Eine andere Studie beschäftige sich mit den problematischen Wirkungen früherer Sexualpädagogik.
Nach Latzels Worten gab es auch institutionelles Versagen beim Umgang mit Missbrauchsfällen, "auch bei Menschen auf den Leitungsebenen unserer Kirche". Damit werden sich die regionale Aufarbeitungskommission befassen.

Bei der 2021 eingerichteten Meldestelle der rheinischen Kirche für Verdachtsfälle sind nach Angaben des Präses bis Ende Juni 2024 insgesamt 108 Meldungen eingegangen. Diese dürften aber nicht einfach zu den 70 Fällen aus der EKD-Studie addiert werden, da es Schnittmengen gebe.

Bisher hat die Evangelische Kirche im Rheinland rund 2,5 Millionen Euro an Missbrauchsbetroffene in Anerkennung ihres  Leids gezahlt, wie Latzel ausführte. 540.000 Euro seien an 35 Betroffene gegangen. Weitere rund 2 Millionen Euro hätten  34 Menschen bekommen, die in Heimen der Diakonie Missbrauch erlitten hätten.

Die Evangelische Kirche im Rheinland umfasst weite Teile von NRW, von Rheinland-Pfalz und des Saarlands sowie zwei Kirchenkreise in Hessen. Mit rund 2,2 Millionen Mitgliedern ist sie die zweitgrößte Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
KNA