Präsidentin des Pflegerats lobt neue Ausbildung

"Wir hatten keine Alternative"

Die Ausbildungen zu Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflegenden wurden 2020 zu einer generalistischen Pflegeausbildung zusammengeführt. Der erste Jahrgang macht jetzt den Abschluss. Hat sich die Reform gelohnt und wo hapert es noch?

Pflegerin an einem Transportwagen auf einer Station / © Corinne Simon (KNA)
Pflegerin an einem Transportwagen auf einer Station / © Corinne Simon ( KNA )

KNA: Frau Vogler, hat sich die jahrelange Debatte über die Reform gelohnt? Ist die Pflegeausbildung besser geworden?

Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, am 1. September 2021 in Berlin. / © Reiner Freese/Deutscher Pflegerat (KNA)
Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, am 1. September 2021 in Berlin. / © Reiner Freese/Deutscher Pflegerat ( KNA )

Christine Vogler (Präsidentin des Deutschen Pflegerats): Sie hat sich schon deshalb gelohnt, weil wir gar keine Alternative hatten. International stand Deutschland mit der Trennung in spezialisierte Ausbildungen für Alten- und Krankenpflege ziemlich allein da. Wir waren abgehängt. Grundständiges Studieren war in Deutschland bis 2020 nicht möglich. Auch die EU hat klar gemacht, dass die alte Ausbildung in Deutschland nicht mehr anschlussfähig sei.

KNA: Die Zahlen der Auszubildenden sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Ist das auch ein Erfolg der Modernisierung?

Vogler: Das kann man schlecht beweisen. Wir werben ja auch insgesamt sehr stark für den Pflegeberuf. Und es gibt viele andere positive Entwicklungen. Die Bezahlung hat sich - auch durch höheren Mindestlohn und die gesetzliche Forderung nach tariflicher Bezahlung - verbessert. Der Pflegeberuf hat ein hohes gesellschaftliches Ansehen und verspricht große Arbeitsplatzsicherheit - das alles sind positive Faktoren.

KNA: All das hat mit der Art der Ausbildung wenig zu tun.

Vogler: Es gibt schon einen Zusammenhang. Denn durch die generalistische Ausbildung haben junge Menschen die Chance, in alle pflegerischen Versorgungsgebiete - zum Beispiel Krankenhaus oder Pflegeheim - unkompliziert zu wechseln. Sie können auch viel leichter im Ausland arbeiten. Es gibt deutlich mehr Optionen. Das steigert natürlich die Attraktivität.

KNA: Kritiker verweisen auf hohe Abbruchquoten...

Vogler: Hohe Abbruchquoten hat es auch während der früheren Ausbildung gegeben - schon 2016 gab es in der Krankenpflegeausbildung einer Abbrecherquote von 26 Prozent über drei Jahre. Das dürfte sich jetzt auf ähnlichem Niveau bewegen. Genau wissen wir das aber noch nicht; wir haben ja gerade erst den ersten Jahrgang in der neuen Ausbildung.

Studie: In Deutschland fehlen mehr als eine halbe Million Fachkräfte

In Deutschland fehlen nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mehr als eine halbe Million Fachkräfte. Besonders groß sei die Personalnot in der Sozialarbeit, der Erziehung, der Pflege, dem Handwerk und der Informationstechnik, berichtete das IW am Freitag in Köln. Zuvor hatten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe darüber berichtet.

Einwanderungsgesetz soll Fachkräfte anlocken / © Christoph Schmidt (dpa)
Einwanderungsgesetz soll Fachkräfte anlocken / © Christoph Schmidt ( dpa )

KNA: Also aus Ihrer Sicht eine rundum positive Bilanz?

Vogler: Natürlich gibt es Mängel. Aber wichtig ist auch, dass das neue Pflegeberufegesetz weitere zentrale Verbesserungen enthält. Mit der Reform wird der Pflegeprozess nämlich zur Vorbehaltsaufgabe erklärt. Das bedeutet: Nur Pflegefachpersonen dürfen über den Pflegeprozess entscheiden, so wie nur die Ärzte über die Therapie entscheiden. Das ist eine wichtige Aufwertung des Berufs.

Klar ist aber auch, dass die generalistische Ausbildung nur ein Anfang sein kann. Wir müssen das Ausbildungssystem ganz neu aufbauen: Wir brauchen zusätzlich eine bundeseinheitliche Ausbildung für Pflegehelfer, ein System von Weiterbildung und Spezialisierung sowie die Stärkung der akademischen Pflegeausbildung. Erst dann sind wir für die alternde Gesellschaft und die steigenden Anforderungen gewappnet.

KNA: Apropos steigende Anforderungen: Kritiker beklagen durch die Generalistik eine Schmalspurausbildung. Die Auszubildenden schnuppern in alle Bereiche herein, erhalten aber nirgendwo tiefer reichende Kenntnisse. Ist das kein Problem?

Vogler: Die Auszubildenden sind weiterhin einer bestimmten Einrichtung - also einen Krankenhaus oder Altenheim - zugeordnet und absolvieren dort einen Schwerpunkt. Für alle Bereiche gibt es aber Pflichteinsätze, und zwar: 400 Stunden Akutpflege, 400 Stunden stationäre Altenpflege, 400 Stunden ambulante Pflege, 160 Stunden Psychiatrie und 60 bis 160 Stunden Pädiatrie.

Richtig ist, dass die Ausbildung breiter aufgestellt ist und weniger spezialisiert abläuft. Das Lernen findet stärker exemplarisch statt. Die Auszubildenden müssen in der Lage sein, das im Fallbeispiel gelernte Vorgehen im Arbeitsalltag auf andere Situationen und Krankheitsbilder zu übertragen. Um so wichtiger werden dann auch die Fortbildungsangebote für zentrale Bereiche.

KNA: Überfordert das nicht viele der meist jungen Auszubildenden?

Vogler: Die Zugangsvoraussetzungen für den Pflegeberuf sind in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich abgesenkt worden - da steckt sicher auch die Meinung dahinter: Pflege kann jeder. Deshalb gibt es durchaus bei vielen Auszubildenden Überforderung, weil der Beruf von jedem viel Wissen verlangt.

Deshalb sieht das Pflegeberufegesetz mehr Anleitung vor. Auszubildende müssen mindestens zehn Prozent ihrer Einsatzzeit von Praxisanleitern begleitet werden. Ein Betrieb, der diese Vorgabe nicht erfüllt, darf nicht mehr ausbilden. Zudem gibt es ja die Differenzierung der Tätigkeiten zwischen Fachkräften und Pflegehelfern.

KNA: Die Frage ist, ob es genügend Ausbilder gibt...

Vogler: Das ist ein großes Problem. Wir haben viel zu wenig Studienplätze, um Ausbilder auszubilden. Das muss dringend geändert werden. Die Betreuungsquote zwischen Ausbilder und Auszubildenden ist - je nach Bundesland unterschiedlich - sehr hoch. Das führt auch für viele Ausbilder in den Pflegeschulen zu Überforderung, zumal viele von ihnen auf ihrem Berufsweg ja nur die Alten- oder die Krankenpflege kennengelernt haben.

Die Lehrenden müssen also aus ihrer eigenen Komfort-Zone raus und sich mit neuen Anforderungen auseinandersetzen. Das ist sicher nicht einfach. Je kleiner oft eine Pflegeschule ist, desto weniger kann man sich gegenseitig inhaltlich ergänzen und unterstützen.

Das Interview führte Christoph Arens, KNA.

Quelle:
KNA