Brasilien steht vor einer Schicksalswahl. Doch schon vor der Abstimmung am Sonntag herrscht eher Katerstimmung als Optimismus: Die beiden Favoriten sind laut Umfragen zugleich diejenigen mit der größten Ablehnung in der Bevölkerung. Weder dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro noch Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT wird zugetraut, das von Wirtschaftskrise und Korruptionsskandalen geplagte Land zu einen. Die tiefgehende Spaltung in entgegengesetzte politische Lager droht sich weiter zu vertiefen.
Militärdiktatur als Zukunftsvision
Der ehemalige Fallschirmjäger Bolsonaro nutzt die aufgeheizte Stimmung und provoziert mit abfälligen Äußerungen über Frauen, Dunkelhäutige und Homosexuelle. Die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 ist für ihn Vorbild für die Zukunft Brasiliens. Die angespannte Sicherheitslage mit rapide zunehmen Raubüberfällen und Schießereien in Armenvierteln will er mit noch mehr Waffen kontrollieren und preist das Töten von Kriminellen als Lösung an.
Rund 30 Prozent der Stimmen sagen Umfragen dem 63-jährigen Hardliner voraus. Seine Anhänger sind weitgehend die gleichen, die vor zwei Jahren zu Hunderttausenden auf die Straßen gingen und die Absetzung der Mitte-Links-Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei forderten. Die Massenmedien und konservative Oppositionsparteien machten damals die Arbeiterpartei für den beginnenden Wirtschaftsabschwung, Korruption und politische Intoleranz im Land verantwortlich.
Die Amtsenthebung Rousseffs 2016 und die Machtübernahme durch den äußerst unbeliebten Konservativen Michel Temer änderte allerdings nichts an diesen Problemen. Sie öffnete vielmehr die Türen für eine diffuse Stimmung, die heute den Rechtsstaat unumwunden infrage stellt.
Gegen drohenden Rechtsruck
"Ich werde das Wahlergebnis nicht akzeptieren, wenn ich nicht gewinne", sagte Bolsoraro jüngst in einem Radiointerview. Ein Sieg Haddads wäre "ein Beweis dafür, dass die PT auf Wahlbetrug setzt". Wiederholt kritisierte der Rechtspopulist die elektronischen Wahlurnen als Einfallstor für Manipulationen. Vage Äußerungen Bolsonaros und auch einiger Generäle interpretieren Kritiker als versteckte Drohung, dass im Fall eines erneuten Wahlsiegs der Arbeiterpartei ein Eingreifen des Militärs zu erwarten sei.
Die Aussicht auf einen Sieg Bolsonaros hat eine breite, antifaschistische Bewegung auf den Plan gerufen. Hunderttausende gingen am vergangenen Wochenende in allen großen Städten des Landes auf die Straßen und sagten "Ele Não - Er nicht". Unter diesem Slogan machen auch Frauengruppen in sozialen Netzwerken gegen den drohenden Rechtsruck mobil. Sogar die organisierten Fans großer Fußballclubs wenden sich in Stellungnahmen gegen Bolsonaro und kritisieren Spieler, die mit dem Rechtsaußen-Kandidaten liebäugeln.
Sozialpolitik fortsetzen
Für Haddad bedeutet diese Bewegung Rückenwind. Der frühere Bürgermeister von São Paulo liegt je nach Umfrage mit 22 bis 25 Prozent Zustimmung inzwischen deutlich vor dem drittplatzierten Ciro Gomes mit elf Prozent, der ebenfalls das Mitte-Links-Spektrum vertritt. Für die Stichwahl Ende Oktober wird Haddad ein Sieg vorausgesagt. Seine Wähler stimmen allerdings weniger für ihn als für den inhaftierten Luiz Inácio Lula da Silva, für den Haddad einsprang. Der beliebte Ex-Präsident (2003-2010) darf wegen seiner Verurteilung wegen Korruption nicht antreten. Die Arbeiterpartei sieht in der juristischen Verfolgung Lulas ein wahlpolitischer Schachzug rechter Kreise in Politik und Justiz, da Lula in Umfragen in August auf 40 Prozent kam.
Haddad verspricht Kontinuität. Der 55-jährige frühere Erziehungsminister will die erfolgreiche Sozialpolitik seiner Vorgänger Lula und Rousseff fortsetzen. "Der Putsch gegen Rousseff hat die Demokratie und das Gleichgewicht der Institutionen geschwächt", sagte Haddad im Wahlkampf. Dringend notwendig sei, die Entwicklung des Landes mit einer sozial ausgerichteten Wirtschaftspolitik voranzutreiben und das Klima der Konfrontation zu beenden.
Keine Chance für konservative Parteien
Die Kandidaten der großen konservativen Parteien, die den Sturz von Rousseff einfädelten, liegen heute alle abgeschlagen im einstelligen Bereich. Der durchgängige Misserfolg von zwei Jahren Regierung Temer ist ihnen bei dieser Präsidentschaftswahl offenbar zum Verhängnis geworden. Den Kongress werden sie aber voraussichtlich erneut dominieren und dann eine eventuelle Arbeiterpartei-Regierung mit allen Mitteln torpedieren.
Andreas Behn