Damit haben wohl viele der 70.654 Zuschauer in der ausverkauften Arena in Atlanta ebenso wie die Millionen Zuschauer an den TV-Bildschirmen zwischen Kanada und Chile nicht gerechnet:
Unmittelbar vor dem Eröffnungsspiel der Copa America 2024 sprechen zwei evangelikale Prediger ein Gebet - in englischer und spanischer Sprache; gleich neben dem traditionsreichen Pokal und vor den beiden Mannschaften aus Argentinien und Kanada. Die beiden Kapitäne, Argentiniens Rekord-Weltfußballer Lionel Messi und Kanadas Alphonso Davies (Bayern München), klatschten zögerlich, aber sichtbar Beifall. Auch von den Rängen gab es Applaus.
Öffentliche Gebete in ausverkauften Stadien - bei der gerade laufenden Fußball-Europameisterschaft wäre das undenkbar. Bei der Fußball-Südamerikameisterschaft, die zur Amerika-Meisterschaft ausgeweitet wurde, haben die Organisatoren sie aber zur besten Sendezeit platziert. Unmittelbar vor Nationalhymnen und Anpfiff konnten die Prediger medienwirksam auftreten.
Gesprochen wurde das Gebet von den beiden evangelikalen Predigern Caleb Mooney (USA) und Emilio Agüero (Paraguay). "Gott segne Amerika, die Botschaft Christi ist auch heute noch aktuell. Er rief uns zu Frieden, Verständnis und Vergebung auf", begann Agüero sein kurzes Gebet. "Jesus hat uns auch gesagt, dass wir glauben sollen. Denn für den, der glaubt, sind alle Dinge möglich. Und diese Worte ermutigen uns, uns nicht entmutigen zu lassen und zu glauben, dass alle Dinge möglich sind."
Ein Kickbox-Champion als Prediger
Dann richtete sich Agüero direkt an die Teilnehmer: "Gott segne alle Nationen Amerikas, jedes Team und jeden Athleten, jeden Fan, jede Mannschaft und jede Familie auf dem Kontinent. Im Namen von Jesus Christus, Amen." Agüero war laut einigen christlichen Portalen einst ein Kickbox-Champion, der im Ring den Namen "El Destructor" - Der Zerstörer - trug. Anschließend trug Caleb Mooney in englischer Sprache ein ähnliches Gebet vor.
Kaum war die kurze religiöse Zeremonie gesprochen, die laut lateinamerikanischen Medienberichten erstmals die Copa America einläutete, meldeten sich in den sozialen Netzwerken Stimmen Pro und Contra: "Bei allem Respekt, ich verstehe nicht die Notwendigkeit, Religion und Fußball zu vermischen. Das war sehr schlecht von Conmebol und Concacaf", kritisierte der prominente mexikanische Sportjournalist David Faitelson auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, die beiden gastgebenden Verbände aus Süd- und Nordamerika.
Sein Tweet wurde bereits am Abend 1,3 Millionen Mal abgerufen. Der venezolanische Politstratege Emmanuel Rincon kommentierte dagegen: "Die Eröffnung der Copa America in Atlanta begann mit einem Gebet auf Spanisch und einem Dank an Gott. Es ist schön zu sehen, dass es diese Dinge immer noch gibt."
Evangelikale Kirchen auf dem Vormarsch
Millionen Zuschauer, dazu Millionen Abrufe in den Sozialen Netzwerken: Für die Initiatoren des Gebets war der Auftritt ein voller Erfolg. Warum sich die Verbände zu diesem Schritt entschlossen und sich ausschließlich auf evangelikale Prediger konzentrierten, war am Abend zunächst nicht bekannt. Die evangelikalen Kirchen in Lateinamerika und den USA sind aber kontinuierlich auf dem Vormarsch.
Die Copa America ist anlog zur Fußball-Europameisterschaft das kontinentale Turnier der Südamerikaner. Zum zweiten Mal nach 2016 findet das Nationenturnier aber in den USA statt. Hintergrund ist, dass der südamerikanische Verband Conmebol und der nord- und mittelamerikanisch-karibische Verband Concacaf eine strategische Partnerschaft eingegangen sind und das Turnier zu einer Amerika-Meisterschaft ausgebaut haben. Das Eröffnungsspiel gewann Weltmeister und Titelverteidiger Argentinien nach Toren von Julian Alvarez und Laurentin Martinez mit 2:0. Das Finale findet am 14. Juli in Miami statt.