DOMRADIO.DE: Wie hat sich Truss denn bei Ihrer Rede gezeigt, nachdem sie gewählt worden ist?
Prof. Stefan Schieren (Politikwissenschaftler katholische Universität Eichstätt): Sie hat nicht wirklich überrascht. Sie gilt als steif und etwas ungelenk und den Eindruck hat sie auch bei ihrer Antrittsrede als neue Vorsitzende gemacht.
Es gab da zum Beispiel eine Situation, da hat sie eine Pause gemacht und es dauerte ein paar Sekunden, bis der Applaus kam. Sie ist offenbar nicht wirklich in der Lage, durch einen Punkt, den sie in einer Rede setzt, gleich Applaus hervorzurufen. Da wird sie sich sicherlich in erheblicher Weise von Boris Johnson unterscheiden.
Bei ihrer kurzen Antrittsrede ist mir zudem aufgefallen, dass sie sich sehr ausführlich bei Boris Johnson, ihrem Freund, wie sie ihn nennt, bedankt hat. Hier hat man nicht vor, den Vorgänger, der durch einige Affären aufgefallen ist, stillschweigend zu entsorgen. Vielmehr ist Liz Truss durchaus bewusst, dass Boris Johnson weiter eine sehr mächtige Position in der Partei wahrscheinlich haben wird. Deswegen hat sie sich von ihm auch nicht distanziert.
Inhaltlich hat sie letztendlich so gut wie gar nichts gesagt. Sie hat nur geäußert, dass man werde die Wahl 2024 schaffen und gewinnen werde. Man werde nämlich ein Programm und ein Ziel verfolgen. Man wird liefern. Das englische Wort dafür, "deliver", hat sie häufig in der Rede wie auch schon bei ihren ganzen Vorstellungsrunden gesagt.
DOMRADIO.DE: Sie ist die dritte Frau im höchsten Regierungsamt des Landes. Nun wird sie wahrscheinlich mit ihren Vorgängerinnen Margaret Thatcher und Theresa Mayverglichen. Margaret Thatcher hatte in der Church of England noch einen Verbündeten gesehen, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Bei Liz Truss wird es anders sein, oder?
Schieren: Thatcher war gläubiges, praktizierendes Mitglied der Church of England und hat sich immer sehr stark auf das Wertefundament bezogen. Sie hat allerdings auch ihre Konflikte mit der Church of England ausgetragen, weil die sich doch immer wieder gegen die Sozialpolitik und auch gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung Thatcher gewandt hat.
Es gibt da ein sehr interessantes Buch von Peter Itsen mit dem Titel "Streitbare Kirche". Da werden diese Entwicklungen sehr schön gezeigt und auch die neuen Herausforderungen, vor denen die Church of England stand.
Liz Truss wird allerdings nicht als praktizierende und gläubige Christin wahrgenommen. Sie hat auch selbst erst am 2. August in einem Interview gesagt, sie sei keine praktizierende Kirchgängerin, aber sie stehe auf den Fundamenten des christlichen Glaubens und der anglikanischen Kirche. Das ist wohl das Mindeste, was man sagen muss. Aber hier lässt sich sicherlich ein Unterschied zwischen beiden Frauen feststellen.
DOMRADIO.DE: Die andere Vorgängerin Theresa May wird vielfach schon als glücklose Premierministerin angesehen. Auch sie ist aus einem Ministeramt zur Premierministerin aufgestiegen. Welche Fehler darf Liz Truss jetzt nicht wiederholen?
Schieren: Ob Theresa May wirklich so viele Fehler gemacht hat, ist schwer zu beurteilen, weil sie mit einem Parlament zu tun hatte, das mehrheitlich aus Gegnern des Brexits bestanden hat. Sie sollte den Brexit aber liefern. Und das hat ja bekanntlich nicht funktioniert, zumal Boris Johnson wirklich alles dafür getan hat, sie zu demontieren, um selbst das Amt zu übernehmen.
Sie hat sehr schlechte Voraussetzungen gehabt. Aber ob die Voraussetzungen von Truss so viel besser sind, ist eine aus meiner Sicht offene Frage. Margaret Thatcher konnte 1979 ihr Amt nach einem sehr, sehr überzeugenden, überwältigenden Wahlsieg antreten und war damit natürlich schon mal als Wahlsiegerin und als Wahlkämpferin in Erscheinung getreten. Sie konnte so ihre Partei für sich entscheiden.
Das ist bei Truss anders. Sie ist während der laufenden Wahlperiode, ohne eine Wahl gewonnen zu haben, ins Amt gelangt. Sie müsste erst einmal unter Beweis stellen, dass sie auch Wahlen gewinnen kann.
Das zweite ist, dass die Fraktion sehr unterschiedlich besetzt ist. Es gibt die Traditionellen. Die meisten Mitglieder der Partei kommen aus dem Süden und aus London, den wohlhabenden Bereichen und Bezirken des Vereinigten Königreichs. Aber bei der Wahl 2019 haben auch sehr viele aus der "Red Wall" im Norden, in den armen und ärmeren Regionen des Nordens, des alten industrialisierten Norden Englands, konservative Mitglieder des Parlaments gewählt, teilweise zum ersten Mal.
Verbunden war dies mit dem Versprechen: Wir werden uns verstärkt um eure Region kümmern, wir werden stark intervenieren. Also eigentlich das Gegenteil von dem, was sich die konservative Partei immer auf ihr Programm geschrieben hat.
Bisher war die Devise: Wir mischen uns in die Wirtschaft und in den Lauf der Dinge nicht ein. Eigentlich herrschen in der Fraktion der Konservativen derart starke, unterschiedliche Auffassungen über die richtige Politik, dass ich Zweifel daran hege, dass Truss die Fraktion hinter sich bekommen wird.
Sie wird, das ist meine Prognose, aufgrund dieser Umstände ihre Probleme bekommen, denn die Parlamentsmitglieder aus dem Norden werden um ihre Sitze fürchten, wenn man eine klassische Thatcher-Politik macht. Und die Thatcher-Anhänger im Süden werden sich gegen eine Politik, die stärker interveniert, stellen.
Da gibt es auch schwere Kompromisse zu finden, vor allen Dingen angesichts der gegenwärtigen Situation. Meine Einschätzung ist, dass Frau Truss vor nicht einfachen Aufgaben steht.
DOMRADIO.DE: Am Dienstag wird sie der Queen ihre Aufwartung machen. Als 19-Jährige soll sie für die Abschaffung des Königshauses plädiert haben. Das ist aber längst Vergangenheit. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der doch deutlich jüngeren Truss und der Queen?
Schieren: Das sind natürlich Jugendsünden. Ich kann keine Gemeinsamkeiten erkennen. Die Queen ist bekannt als sehr gläubiges, praktizierendes Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Da wird sicherlich nicht so großartig geschätzt, wenn sich jemand als nicht praktizierend erweist.
Ob das eine Rolle spielt? Ich weiß es nicht. Aber die beiden Frauen erscheinen mir da sowohl vom Temperament als auch von vielen Auffassungen eher unterschiedlich zu sein.
Die Queen hat ja inzwischen so viele Premierminister erlebt. Sie ist so routiniert und erfahren. Ich denke, dass das Verhältnis der beiden Frauen keine politisch relevante Rolle spielen wird, sondern das wird alles, wie die letzten Jahre auch, sehr professionell von allen behandelt. Da bin ich ziemlich sicher.
Das Interview führte Bernd Hamer.