DOMRADIO.DE: Sie waren am Samstag beim Christopher Street Day (CSD) in München dabei. Wie sind Sie denn darauf gekommen, als katholischer Pfarrer bei einer Pride-Veranstaltung teilzunehmen?
Wolfgang Rothe (Münchner Priester, Theologe und Kirchenrechtler): Das war ganz banal. Ich bin gefragt worden, ob ich mitgehen würde und habe sehr spontan ja gesagt, denn ich hatte sofort den Eindruck, da gehörst du auch hin, da gehört die Kirche hin. Darum habe ich gar nicht lange überlegt, sondern sofort zugesagt.
DOMRADIO.DE: Sie haben bereits queere Menschen gegen die Vorgaben des Vatikan gesegnet und ein Buch über katholisches Queersein geschrieben. Wie war denn Ihr Eindruck von dieser Veranstaltung? Was passiert da?
Rothe: Es war eine überwältigend positive Erfahrung, denn im Vorfeld des CSD haben mir doch einige Leute gesagt, dass ich vorsichtig sein soll. Man würde mir dort nicht nur mit Sympathie begegnen. Die katholische Kirche ist in queeren Kreisen oft ein Feindbild. Ich müsse damit rechnen, dass man mich verbal und vielleicht sogar körperlich attackiert.
Insofern hatte ich durchaus auch ein bisschen Bauchweh im Vorfeld. Aber das war vollkommen unnötig, denn ich bin dort mit offenen Armen aufgenommen worden. Die Leute haben sich gefreut, sind mir teilweise um den Hals gefallen. Ich habe viel Dankbarkeit erfahren. Es hat mich eigentlich zutiefst beschämt, dass ich mit diesem Bauchweh dorthin gegangen bin. Denn es war einfach ein Fest des Lebens, ein Fest der Fröhlichkeit, ein Fest der Gemeinschaft, wie man es sich auch von kirchlicher Seite nicht schöner vorstellen kann.
DOMRADIO.DE: Wie haben die Menschen Sie wahrgenommen?
Rothe: Als katholischen Priester. Also ich bin auch bewusst als Priester erkennbar dort hingegangen. Ich habe mir sehr gut überlegt, was ich anziehe. Ich bin genauso hingegangen, wie ich im Alltag auch herumlaufe, also in schwarzer Kleidung mit römischem Kollar, sodass für jeden sofort klar war, dass es kein Kostüm ist. Da macht niemand ein Theater um die katholische Kirche, sondern das ist ein echter Priester. Insofern stand völlig außer Frage, dass ich dort auch als ein Vertreter der katholischen Kirche aufgetreten bin.
DOMRADIO.DE: Wie waren dann die Rückmeldungen zu Ihrem Besuch, auch aus der Kirche?
Rothe: Auch überwältigend positiv. Auch das mediale Echo hat mich regelrecht geflasht. Das Bild von einer Dragqueen und einem katholischen Priester zusammen, ist, glaube ich, gestern in einem erheblichen Teil der deutschen Printmedien erschienen und im Internet viral gegangen.
Das Thema katholische Kirche und CSD hat interessiert. Da prallen anscheinend doch zwei Welten aufeinander. Aber was ich erlebt habe, war etwas ganz anderes. Nämlich, dass diese beiden Welten zusammen gehören.
DOMRADIO.DE: Worüber haben Sie mit den Menschen gesprochen, die Sie getroffen haben?
Rothe: Sehr viel über Verletzungen. Es war sehr viel die Rede davon, dass Menschen die katholische Kirche ganz anders wahrgenommen haben, ganz anders erlebt haben und auch ganz anders nach wie vor erleben. Sie erleben sie nämlich als Feinde der queeren Community, als eine Organisation, die queeren Menschen erklären möchte, dass sie so, wie sie sind und wie sie leben, falsch sind und falsch leben.
Mein Anliegen war es zu sagen: Ich als katholischer Priester, wir als katholische Kirche haben queere Menschen einfach mal zu akzeptieren, so wie sie sind, so wie Gott sie geschaffen hat, so wie Gott sie gewollt hat und so wie Gott sie auch liebt.
DOMRADIO.DE: Wie beobachten Sie aktuell, wie sich die katholische Kirche positioniert? Verändert sie sich Ihrer Meinung nach?
Rothe: Ja, es passiert gerade sehr viel. Nach wie vor stehen im Katechismus der katholischen Kirche unsägliche Sätze, die dringend geändert werden müssen. Aber das Thema ist momentan in allen Bereichen der katholischen Kirche ein großes Thema. Es wird sehr offen darüber gesprochen.
Auch Widerspruch äußert sich. Aber es ist ganz klar, dass der Widerspruch aus einer winzig kleinen Gruppe kommt.
Die überwältigende Mehrheit auch der katholischen Christen sagt, dass es vollkommen normal ist, schwul zu sein. Es ist vollkommen normal, lesbisch zu sein. Es ist vollkommen normal, trans zu sein. Das sind alles Menschen, die Gott genauso geschaffen hat und genauso liebt.
Das Interview führte Florian Helbig.