DOMRADIO.DE: Sie sind Priester des Bistums Münster. Wieso leben Sie in Berlin?
Bernd Lütkemöller (Pfarrer im Ruhestand): Nach meinem Übergang in den Ruhestand und als durch Corona meine Tätigkeit in Warendorf nicht mehr so notwendig war, weil die Zahl der Gottesdienste runtergefahren wurde, habe ich mich deutschlandweit nach einer Wohnform umgeschaut, in der ich auch im Alter in meiner Wohnung bleiben kann. Das ist bei den meisten Alten-Einrichtungen in Deutschland nicht der Fall. Da müssen Sie im Zweifel in die Pflegeabteilung umziehen.
Das war mir nach insgesamt 37 Umzügen – vom Abitur an gerechnet – eine ganz wichtige Perspektive, dass ich endlich einen festen Wohnsitz habe.
DOMRADIO.DE: Diese Einrichtung befindet sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne. Und dort gibt es dann auch die FFS Film- & Fernseh-Synchron GmbH. Die synchronisiert seit 50 Jahren internationale Filme und Serien. Warum hat die Firma Ihr Interesse geweckt?
Lütkemöller: Die Technik interessierte mich. Ich komme da jedes Mal dran vorbei, wenn ich zur nächstgelegenen Bushaltestelle gehe, zur nächstgelegenen S-Bahn oder zum Supermarkt.
Ich habe die Mitarbeiter, die in der Raucherpause draußen standen, immer mal angehauen, dass ich gerne die Studios sehen würde. Die haben am Anfang ein bisschen rumgedruckst, in der Coronazeit sei das schwierig. Als ich das dritte Mal gefragt hatte, haben Sie mir vorgeschlagen, meine Visitenkarte dazulassen. Man werde sich melden, sobald das wieder gehe.
DOMRADIO.DE: Plötzlich kam dann ein Anruf und Sie sind zu Ihrer ersten Aufgabe gekommen. Und zwar ging es darum, einen Synchronsprecher zu coachen, der eine Rolle in einem Martin-Scorsese-Film spricht. Richtig?
Lütkemöller: Ja, der Studio-Chef hat sich aufgrund meiner Visitenkarte bei mir gemeldet. Er sagte, er könne mir jetzt die Studios zeigen, er hätte aber auch eine Bitte. Es wurde gerade der neue Film von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio synchronisiert. In dem Film kommt eine vor etwa 100 Jahren spielende katholische Eucharistiefeier in lateinischer Sprache vor.
Der Chef sagte, der Schauspieler könne kein Latein und sei sich ein bisschen unsicher, das einfach nur so abzulesen. Deswegen hat er mich als katholischen Priester gefragt, ob ich den Synchronschauspieler coachen könne.
Dann habe ich ein bisschen überlegt und gedacht, das könne nur Kirchenlatein sein. Das habe ich mir schon zugetraut. Auch wenn lateinische Eucharistiefeiern sehr selten vorkommen und ich das Kirchenlatein eher über chorische Mitwirkungsmöglichkeiten kenne. Ich bin über die Kirchenmusik zur Theologie gekommen. Von daher war das alles noch sehr vertraut.
DOMRADIO.DE: Bedauern Sie denn, dass in unseren Kirchen nur noch so wenig Latein vorkommt oder würden Sie da gerne mehr davon hören?
Lütkemöller: Ich bin nicht begierig, dass lateinische Gottesdienste häufiger stattfinden. Erstens versteht es immer noch keiner. Das hat auch früher keiner verstanden. Aber da waren die Leute ein bisschen geduldiger und haben sich nach dem Motto "Das muss so sein" gefügt.
Es muss aber eben nicht so sein. Spätestens das Zweite Vatikanum und früher noch die liturgische Bewegung hier in Deutschland haben das Muttersprachliche eingeführt. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, einmal in der Woche oder einmal im Monat einen lateinischen Gottesdienst zu feiern. Ich könnte das zwar, aber das muss ich nicht machen, schon gar nicht als Ruheständler.
DOMRADIO.DE: Sie haben also keine besondere Übung, sondern können Latein noch, weil sie es mal gelernt haben?
Lütkemöller: Ja, die Grundbegriffe sitzen dann doch. Es ging bei dem Coaching einfach darum, ein bisschen Sicherheit für die Aussprache des Lateinischen zu gewinnen. Da war dann die Frage, ob wir uns ans Kirchenlatein hängen und das "C" wie "Z" aussprechen oder ob wir uns an das schulische Latein hängen und das "C" wie "K" sprechen.
Wir haben uns dann fürs Kirchenlatein entschieden und ich habe dem Schauspieler Inhalt und Aussprache seines Textes dann zwei Mal vorgelesen. Er hat es nachgelesen, ich habe einmal korrigiert und dann saß das.
DOMRADIO.DE: Dann sind Sie schließlich selbst zum Sprechen gekommen, sogar für einen Papst. Wie ist es dazu gekommen?
Lütkemöller: Das war die Anschlussgeschichte. Denn als wir diese Scorsese-Synchronisierung drin hatten, kam eine andere Aufnahmeleiterin und sagte, sie habe auch noch etwas Lateinisches. Dabei ging es um die Synchronisierung der dritten Staffel der Netflix-Serie "Vikings Walhalla". Die sollte im Herbst vergangenen Jahres rauskommen, ist dann aber immer wieder verschoben worden und kommt am 11. Juli raus. Dabei geht es um die historisch belegte Begegnung von Knut dem Großen und seiner Gattin mit dem damaligen Papst Benedikt XIX.
Ich habe mir dann das schwer verständliche Latein der amerikanischen Originalschauspieler angehört. Ich habe versucht zu verstehen, was die denn sagen. Dummerweise gab es dazu auch nur ein lateinisches Skript. Das heißt also, auch das war nicht in Übersetzung vorhanden, sollte aber teilweise übersetzt werden, teilweise im Original erhalten bleiben.
Auch da ging es zunächst um das Coaching von zwei Schauspielern, was ich gemacht habe. Als wir deren Texte im Kasten hatten, sagte die Aufnahmeleiterin zu mir, dass die Papstrolle noch zu sprechen sei. Dafür gebe es aber keinen Schauspieler, denn für die drei Sätze, die der zu sagen habe, lohne es sich nicht einen Schauspieler zu engagieren.
Dafür kommt dann auch keiner hier in Berlin ins Studio. So einzelne "Takes" (Folge von Einzelbildern, ohne Schnitt, Anm. d. Red.) sind nicht besonders gut bezahlt. Da gibt es dann 3 Euro oder 3,50 Euro pro Take. Ich hatte insgesamt sechs Takes.
DOMRADIO.DE: Das müssen Sie Ihrem Bischof dann auch nicht als Nebeneinkunft angeben?
Lütkemöller: Das muss ich nicht mal dem Finanzamt melden.
DOMRADIO.DE: Können Sie sich denn vorstellen, dass Sie das weiterhin machen?
Lütkemöller: Ich wohne sehr nah und sehe die Kollegen nach wie vor praktisch jeden zweiten Tag. Aber ich erwarte es nicht, denn ich bin ja nur der "Latein-Fachmann". Für die anderen Jobs stehen die Schauspieler hier Schlange. Unter einer gediegenen Schauspielausbildung nehmen die von FFS auch keinen. Also, ich befürchte keine Nachwehen.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.