DOMRADIO.DE: Ein zentrales Kloster mit einer zentralen Hochschule für einen Orden, der sehr dezentral strukturiert ist. Wie ist Sant'Anselmo entstanden?
Pater Mauritius Wilde OSB (Prior von Sant'Anselmo in Rom): Sant'Anselmo ist erst am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Es war eine Idee von Papst Leo XIII. Er hatte nämlich das Problem, dass wenn er mit den Benediktinern reden wollte, er zu jedem einzelnen Abt jedes Klosters hätte gehen müssen. Weil das etwas schwierig war, hat er dann gesagt: Ihr braucht auch einen Vertreter hier in Rom, so wie bei den anderen Orden, bei den Jesuiten, Kapuzinern und Franziskanern.
Er hat uns hier auf dem Aventin in Rom ein Stück Land überlassen, eine der schönsten Stellen Roms. Und er hat gesagt: Dort baut bitte ein Collegio, das heißt ein Kloster für die jungen Mönche in der Ausbildung und eine Universität. Dort hat dann auch der Abtprimas seinen Sitz. Dieses Amt des Abtprimas gab es vorher nicht.
DOMRADIO.DE: Alle vier Jahre tagen die Vertreter der verschiedenen Benediktinerkongregationen in Sant'Anselmo. Welches Welche Bedeutung hat dieses Treffen für Sie und für das Kloster selbst?
Pater Mauritius: Wir hier im Kloster Sant'Anselmo sind sozusagen die Gastgeber. Es ist ja der Sitz des Abtprimas und wir haben die Türen weit aufgemacht. Das Haus ist mit über 100 Äbten bummvoll. Weitere 130 Äbte sind irgendwo in der Stadt verteilt, weil wir die hier alle gar nicht unterbringen können.
Aber dieser Kongress der Äbte, wie wir das nennen, der findet hier bei uns statt. Wir wandeln dann einen Teil unserer Basilika in einen Konferenzraum um, und dort halten wir den Kongress.
DOMRADIO.DE: Sind das nur Äbte oder auch Äbtissinnen?
Pater Mauritius: Es sind im Wesentlichen Äbte und Prioren, das heißt höhere Vertreter der verschiedensten Benediktinerklöster. Aber dann gibt es auch eine zahlreiche Vertretung von Äbtissinnen und Priorinnen.
Die sind tatsächlich eigenorganisiert in der CIB, der Communio Internationalis Benedictinarum. Die haben eine Abordnung von 23 Schwestern und Müttern geschickt, die hier mittagen.
DOMRADIO.DE: Wie läuft das praktisch ab? Was ist die Konferenzsprache und welche Sprachen werden zwischendurch bei Ihnen bei den Begegnungen auf den Fluren gesprochen?
Pater Mauritius: Die Konföderation - so heißt die Dachorganisation aller Benediktiner - hat fünf offizielle Sprachen. Das sind Deutsch, Italienisch, Französisch, Spanisch und Englisch. Wir haben in unserer Kirche kleine Kabinen für Übersetzer. Das sind auch alles Mitbrüder, die diese Übersetzungen machen.
Das heißt, alle 240 schriftlichen Texte sind vorher in alle Sprachen übersetzt worden und werden auch simultan während der Konferenz in alle Sprachen übersetzt.
DOMRADIO.DE: Das klingt nach einer ziemlich gewaltigen Vorbereitungszeit. Wann haben die Vorbereitungen für dieses Treffen begonnen?
Pater Mauritius: Man braucht über ein Jahr. Anderthalb Jahre ist jetzt vorbereitet worden. Es war insofern speziell, als wir jetzt wegen der Pandemie acht Jahre lang gar keinen Kongress hatten. Einmal ist der Kongress ausgefallen. Wir haben allein 72 neue Äbte und Prioren, die vorher noch nie da waren, die wir auf Einführungstagen mit Sant'Anselmo und der Konföderation erst einmal vertraut gemacht haben. Das ist also schon eine größere Geschichte.
Da gibt es ja nicht nur Konferenzen, sondern auch Workshops. Wir haben 36 Workshops zu allen möglichen Themen, die heute Klöster interessieren und berühren. Wir haben Keynote Speaker, also Menschen von außerhalb, Nicht-Benediktiner, die uns etwas sagen wollen. Und dann haben wir auch die Audienz beim Heiligen Vater.
DOMRADIO.DE: Am Samstag soll ein neuer Abtprimas gewählt werden. Welche Bedeutung hat dieser Ehrenvorsitz, wenn jetzt doch jede Abtei für sich völlig selbstständig ist?
Pater Mauritius: Das ist der Clou an unserem Orden, dass wir von unten nach oben organisiert sind, nicht umgekehrt. Unser Abtprimas ist nicht wie ein General, wie in den anderen Orden, der auch Jurisdiktion, das heißt Durchgriffsrechte bis zur Basis hat, sondern jedes Kloster ist selbstständig, jedes Klosters eine kleine Kirche, eine ecclesiola, wie wir sagen. Ich glaube, deswegen gibt es uns noch nach 1500 Jahren, weil wir das so organisiert haben.
Aber dann macht es auch Sinn, sich in den Kongregationen zu vernetzen. 19 Kongregationen gibt es auf der ganzen Welt, im deutschsprachigen Raum die Beuroner Kongregation, die bayerische, die Missionsbenediktiner, die Verkündigungskongregation, die österreichische, die schweizer im deutschsprachigen Raum. Die wiederum versammeln sich jetzt alle hier - deren Abtpräsides und alle Äbte - und wählen einen Abtprimas.
Dieser Abtprimas hat mehr repräsentative Funktion. Er verkörpert, repräsentiert die benediktinischen Gemeinschaften und er ist natürlich auch das Bindeglied zum Heiligen Stuhl, hält also die Kontakte in den Vatikan.
DOMRADIO.DE: Neben der Wahl des Abtprimas stehen auch finanzielle und strukturelle Entscheidungen für den Orden an. In einigen Ländern Europas gibt es gravierende Nachwuchsprobleme. Auch soll es um Synodalität und den Umgang mit Äbte, die die Priesterweihe nicht empfangen haben, gehen. Welche Diskussion verfolgen Sie persönlich mit großer Spannung oder hat der Ablauf des Kongresses mit ihrem Alltag in Sant'Anselmo eher weniger zu tun?
Pater Mauritius: Der Kongress bestimmt meinen Alltag im Moment schon total. Nicht nur, weil wir hier im Haus Gastgeber sind, sondern der Prior und der Rektor der Universität haben Stimmrecht. Wir sind also auch offizielle Mitglieder des Kongresses. Zum Abtprimas gewählt werden kann übrigens jeder Mönch aus der ganzen Konföderation. Von 6000 Mönchen auf der Welt kann jeder ausgewählt werden, der schon fünf Jahre Feierliche Profess hat.
Was verfolge ich mit besonderem Interesse? Zunächst einmal geht es wirklich um das Zuhören, dass man aus den verschiedenen Erdteilen hört, was da so los ist. Natürlich gibt es da Tendenzen, die auch gemeinsam sind. So haben wir zum Beispiel unsere Workshops unter verschiedene Themen gestellt. Ein großes Thema ist "Fragile Gemeinschaften" vor allem in der westlichen und nördlichen Welt, nicht so sehr in Afrika und in Asien. Da brummen die Klöster im Wesentlichen. Aber was ist mit kleiner werdenden oder mit älter werdenden Gemeinschaften, die schließen wollen oder sollen.
Ein anderes Thema ist Leadership, also Führung kann immer noch verbessert werden. Synodalität ist bei uns Benediktinern eigentlich schon eingebaut. Wir machen eigentlich fast alles synodal, weil wir sonst als Gemeinschaft gar nicht zusammenleben könnten. Das ist wie in der Familie. Wenn wir nicht gemeinsam entscheiden, wäre das unerträglich.
Aber es sind auch andere Themen da, wie zum Beispiel was die benediktinischen Werte für die heutige Welt sind. Was können wir als Benediktiner den heutigen Gesellschaften geben? Das ist auch sehr spannend.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.