domradio.de: Ausreisepflichtige tunesische Migranten sollen zukünftig dazu motiviert werden, freiwillig nach Tunesien zurückkehren. Anreiz soll ein Rückkehrer-Programm sein. Der Entwicklungsminister hat heute in Tunis dazu ein neues Beratungszentrum eröffnet. Es soll zum Beispiel Ausbildungs- und Arbeitsplätze vermittelt und Unternehmensgründungen fördern. Ist das die Lösung?
Günter Burkhardt (Geschäftsführer von Pro Asyl): Zunächst einmal muss gesagt werden, dass Tunesien während des Arabischen Frühlings eine bemerkenswerte Rolle spielte. Europa hat es versäumt, Tunesien in ökonomischer Weise zu unterstützen, zur Entwicklung der Wirtschaft beizutragen und normale Handlungsbeziehungen weiter zu entwickeln. Dadurch wurde die Migration verhindert. Das war ein Fehler, weil man nach dem Einbruch der Diktatur nichts getan hat. Trotz dieser Einschätzung gibt es Menschen, die aus Tunesien fliehen. Das ist keine lupenreine Demokratie.
domradio.de: Warum nicht?
Burkhardt: Es hat Elemente, die von Willkür, Hass und Verfolgung und von Homosexuellen geprägt sind. Zurecht gibt es die Berichte von Amnesty International und anderen Organisationen über Tunesien, Marokko und Algerien, dass diese keine sicheren Herkunftsstaaten sind. Das ist jedoch in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln. Zum einen gibt es Menschen, die aus ökonomischen Gründen auswandern. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch politisch Verfolgte, die ein faires Asylverfahren brauchen. Das sind nicht so viele, wie es öffentlich dargestellt wird. Es ist nur eine bescheidene Zahlen von Menschen aus Tunesien, die in Deutschland Asylanträge stellen. Das ist ein lösbares Thema, und keines, weswegen man in Deutschland Gesetze ändern müsste.
domradio.de: Zum Beispiel?
Burkhardt: Man geht in ein Asylverfahren und führt dieses fair durch, das ist bei 1000 Menschen im Jahr durchaus machbar; und prüft die individuellen Fluchtgründe. Die ganze Debatte in Deutschland um die sicheren Herkunftsländer wie die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko ist hochgezogen, aber von der praktischen Wirkung her gering. Sie hat aber eine Funktion; nämlich ein Asylrecht zunehmend unzugänglich und zum Schnellverfahren zu machen und somit die Rechte, die ein Recht auf Asyl bedeutet, abzubauen.
domradio.de: Was muss das Programm in Ihren Augen leisten?
Burkhardt: Das Hauptziel müsste ein anderer Ansatz in der ökonomischen Kooperation mit Tunesien sein. Das hat wenig mit Fluchtmigration zu tun, sondern mit fairen Handelsbeziehungen. Aber das ist nicht das Kerngebiet von Pro Asyl. Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, dass Tunesien und Ägypten als die Staaten ins Spiel gebracht wurden, die verhindern sollen, dass Menschen auf der Flucht weiter nach Europa gehen. Die Reise von Merkel hat auch das Ziel, dass Ägypten seine Südgrenze abriegelt und, dass gerade Bürger von Eritrea, eine enorme Militärdiktatur, nicht mehr nach Europa fliehen können. In Bezug auf Tunesien möchte man verhindern, das Menschen über Tunesien nach Lybien und von dort in die Boote gehen. Das trifft nicht nur, aber auch politisch Verfolgte, die dann perspektivlos in Nordafrika stranden.
domradio.de: Was müsste Angela Merkel Ihrer Meinung nach jetzt in Tunesien konkret tun?
Burkhardt: Sie hätte in Europa ein Bündnis mit allen anderen Staats-und Regierungschef schließen müssen, wo man sich entscheidet, was man mit Nordafrika machen will. Mein persönlicher Rat wäre gewesen, faire Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Das Zweite ist: Die nordafrikanischen Staaten sind nicht das Auffanglager für politisch Verfolgte und Flüchtlinge aus Somalia, Eritrea und anderen Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. Und hier riecht es danach, als würde man viel Geld zahlen, etwa wie jetzt 500 Millionen Euro an Ägypten, und im Gegenzug erwartet, dass die Grenzen gegen politisch Verfolgte geschlossen werden, damit diese möglichst außerhalb des europäischen Sichtfeldes bleiben sollen. Das ist vermutlich das Hauptziel, das Merkel verfolgt, was wir in keinster Weise teilen.
Das Gespräch führte Milena Furmann.