Professor für Kirchengeschichte verteidigt den Papst

Ist Franziskus ein Putin-Versteher?

Seit sich Papst Franziskus zum Ukraine-Krieg und der Rolle Russlands in einem Interview geäußert hat, bekommt er Gegenwind. Er wird als Putin-Versteher gehandelt. Kirchenhistoriker Jörg Ernesti verteidigt das Kirchenoberhaupt.

Wladimir Putin und Papst Franziskus (2019) / © Paul Haring (KNA)
Wladimir Putin und Papst Franziskus (2019) / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Hat der Papst die Opfer in der Ukraine zu wenig im Blick?

Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Prof. Dr. Jörg Ernesti (Mittlere und Neue Kirchengeschichte, Dekan an der katholischen Fachhochschule in Augsburg): Nein, das kann man ganz gewiss nicht sagen. Es vergeht kein Tag, an dem sich der Papst seit dem 25. Februar nicht zum Ukraine-Krieg äußert und für die Opfer, die Flüchtlinge, die Menschen, die von dem Krieg betroffen sind, betet und sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisiert.

Ich glaube, da fehlt es aus meiner Sicht bisher an nichts. Man kann ihm bestimmt nicht vorwerfen, dass er die Opferperspektive nicht einnimmt und die Opfer nicht im Blick hat.

DOMRADIO.DE: Die Aussage von Papst Franziskus, dass das "Bellen der NATO an Russlands Tür" Putin dazu gebracht habe, den Konflikt auszulösen, hat viele Menschen irritiert. Was könnte hinter dieser Aussage stecken?

Ernesti: Ich vermute, dass viele Kommentatoren nicht das gesamte Interview gelesen haben. Das hat der Papst in italienischer Sprache gegeben. Es liegt eine autorisierte englische Übersetzung vor. Da werden dann irgendwelche Aussagen aus dem Kontext gerissen und es wird dann eine Schlagzeile daraus gemacht.

Hintergrund: Debatte um Papst-Äußerungen

In einem Interview der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" hatte der Papst zu bedenken gegeben, vielleicht habe "das Bellen der Nato an Russlands Tür" Wladimir Putin dazu gebracht, den Konflikt auszulösen.

Dieser Konflikt sei von außen geschaffen worden. Er könne nicht sagen, ob es richtig sei, die Ukraine jetzt mit Waffen zu versorgen, so Franziskus weiter. Zugleich hatte er in dem Interview den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. kritisiert. Dieser dürfe sich "nicht zum Messdiener Putins machen".

Papst Franziskus
  / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Der Papst hat gerade, was diese Wendung mit den bellenden Hunden angeht, konstatiert, dass sich Russland durch die NATO-Osterweiterung der letzten Jahrzehnte provoziert gefühlt hat. Das haben russische Politiker doch immer wieder festgestellt.

Diese Äußerungen finden wir auch bei westlichen Politikern, vor allem in den ersten Wochen des Krieges, als man sich gefragt hat, was dieser Krieg soll und warum dieser Krieg von Russland angezettelt wurde.

Der Papst hat irgendetwas konstatiert und er hat ganz gewiss nicht den Krieg gerechtfertigt und auch nicht, wie man es lesen konnte, den Putin-Versteher gegeben, sondern einfach nur eine Aussage getroffen, die man eigentlich auch kaum bestreiten kann.

DOMRADIO.DE: Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte im DOMRADIO.DE-Interview, sie glaube in diesem Fall nicht an die Diplomatie, auch nicht an die Diplomatieversuche von Papst Franziskus. Was halten Sie von seinen bisherigen Diplomatieversuchen auch in Richtung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I.?

Ernesti: Frau Strack-Zimmermann hat es sogar noch schärfer formuliert. Sie hat gefragt, ob sich der Papst und die päpstliche Diplomatie nicht überheben, wenn sie als Vermittler auftreten wollen.

Bisher stand ja die Frage im Raum, warum Franziskus nicht in die Ukraine gereist ist und die Einladung, die mehrfach ausgesprochen worden ist, nicht angenommen hat. Das hat er in diesem Interview erklärt und hat gesagt, dass er zuerst nach Moskau fahren müsse. Das ist seine persönliche Überzeugung, das muss man auch respektieren.

Er ist der Meinung, dass dort der Schlüssel für die Lösung des Problems, für die Beendigung des Krieges, liegt. Wenn Moskau den Schalter umlegt, dann wird der Krieg enden, meint der Papst. Diese Schlussfolgerung liegt doch eigentlich auf der Hand.

DOMRADIO.DE: Wie könnte Papst Franziskus in Zukunft in diesem Konflikt vermitteln?

Ernesti: Der Papst hat in diesem Interview - und das ist höchst ungewöhnlich - auch gesagt, dass er um eine Einladung nach Moskau gebeten hat. Normalerweise bittet man nicht um eine Einladung. Diese Bitte ist sogar wiederholt worden. Putin ist darauf nicht eingegangen und hat den Papst bisher nicht eingeladen.

Wladimir Putin / © Yevgeny Odinokov (dpa)
Wladimir Putin / © Yevgeny Odinokov ( dpa )

Ich glaube nicht, dass der Papst und der Heilige Stuhl in großem Stil als Friedensvermittler ins Spiel kommen. Aber der Heilige Stuhl kann doch intervenieren, etwa was humanitäre Maßnahmen anbetrifft.

Wir wissen jetzt durch die Enthüllung der italienischen Wochenzeitschrift L'Espresso, die ganz gewiss keine vatikannahe Zeitschrift ist, dass der Papst zusammen mit dem Patriarchen Kyrill I. einen humanitären Korridor geplant hat, um Menschen aus Mariupol herauszuholen. Der Stichtag wäre der 23. März gewesen. Die Aktion ist im letzten Moment gescheitert, weil die russische Militärführung abgelehnt hat.

Ich denke, in dem Bereich humanitäres Wirken wird der Papst schon Gehör finden. Putin ist auch zweimal während des Syrien-Krieges im Vatikan gewesen und hat beim Papst Audienzen bekommen. Franziskus hat bei der Gelegenheit Fürsprache für die Christen vor Ort eingelegt. Anscheinend auch nicht ganz ohne Erfolg.

In diesem Bereich, nicht im Bereich der ganz großen Vermittlung eines Friedens, wird man schon sagen müssen, dass der Papst Gehör finden wird. Aber diese Aussage, "ich glaube in diesem Kontext nicht an Diplomatie" ist mir zu apodiktisch, was Frau Strack-Zimmermann bei DOMRADIO.DE gesagt hat.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR