KNA: Herr Prüfer, in Ihrem neuen Buch schildern Sie, wie Sie sich von einem Freund verabschieden mussten, der durch einen Gehirntumor aus dem Leben gerissen wurde. Wie sehen Sie heute auf den Tod?
Tillmann Prüfer (Publizist und "Style Director" des "Zeit-Magazins"): Er ist plastischer geworden. Die Erkenntnis, dass der Tod zum Leben gehört, traf mich auf eine sehr harte Weise.
KNA: Woher, meinen Sie, kommt das?
Prüfer: Das hat, denke ich, damit zu tun, dass wir den Tod komplett verdrängen - zumindest in der ersten Lebenshälfte. Wir leben mit 40 noch so, wie wir mit 20 gelebt haben, hören die gleiche Musik, altern kaum - Fitness-Studio und gesunde Ernährung machen's möglich.
KNA: Wenn dann trotzdem eine möglicherweise lebensbedrohliche Krankheit ausbricht...
Prüfer: ...sagen wir dem Betroffenen: "Das wird schon." Und wenn der dann antwortet: "Ich bin wirklich ernstlich krank", sagen wir: "Du musst an Dich glauben, Dich nicht hängen lassen." Aber es gibt nun einmal Situationen, da geht es nicht weiter. Kommt der Tod dann tatsächlich, wird er oft weggekehrt.
KNA: Wie meinen Sie das?
Prüfer: Schauen Sie sich die Friedhöfe an - die werden immer leerer, weil sich die Leute nicht mehr bestatten lassen.
KNA: Die sinkende Zahl an Grabstätten könnte aber auch mit dem demografischen Wandel zu tun haben.
Prüfer: Für mich bleibt das trotzdem ein Zeichen dafür, dass es uns an einer Gedächtniskultur fehlt. Die Toten wollen die Lebenden nicht mehr belasten. Und die Lebenden nehmen das dankbar an.
KNA: Sie selbst sind Vater von vier Kindern. Generell gefragt: Gehen Kinder anders mit Tod und Sterben um?
Prüfer: Kinder haben dazu einen natürlicheren Zugang. Sie können eher akzeptieren, wenn jemand plötzlich nicht mehr da ist. Der Tod bleibt ja ein Fragezeichen, eine Leerstelle.
KNA: Die bei Ihnen den Anstoß zu einer spirituellen Suche gegeben hat. Sie waren unter anderem in einem Kapuzinerkloster in Südtirol und an biblischen Orten in Israel und Palästina. Hilft Beten?
Prüfer: Den Tod kann man nicht "verarbeiten". Aber ich finde, Beten hat etwas Tröstliches. Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen. Für Gott, aber auch für das, worum man bittet. Ich selbst mache das inzwischen regelmäßig, meist stehe ich dafür morgens etwas eher auf als der Rest der Familie.
KNA: "Die Kirche", so schreiben Sie an einer Stelle, "verkörpert viele gute Werte". Wie sieht der Protestant Tillmann Prüfer auf die katholische Kirche, die derzeit vor allem wegen ihres Umgangs mit sexuellem Missbrauch in den Schlagzeilen steht?
Prüfer: Ich will nicht die katholische gegen die evangelische Kirche ausspielen. Natürlich dreht sich mir der Magen um, wenn Täter teilweise jahrelang gedeckt wurden, weil das Interesse an Aufklärung geringer war als der Wille zur Verdrängung. Grundsätzlich scheint mir das Problem eher in der Selbstwahrnehmung von Kirche zu liegen, in ihrem Anspruch, zu definieren, was gut und was schlecht ist, in ihrer Macht, zu bestimmen, wer dazugehört und wer nicht.
KNA: Welches Bild von Kirche würden Sie dagegensetzen wollen?
Prüfer: Kirche besteht nicht aus Glaubensbeamten, Kirche das sind wir alle und wenn wir es nicht sind, dann ist da nichts.
KNA: Dann also nochmals - wo sehen Sie die "guten Werte", die Kirche verkörpert?
Prüfer: Die finde ich zum Beispiel in der Gemeinde vor Ort. Die Vereinzelung in unserer Gesellschaft ist etwas sehr Trauriges. Kirchengemeinden setzen stattdessen auf Gemeinschaft. Ich treffe dort auf Leute, denen ich sonst in meinem Leben kaum begegnen würde. So etwas fehlt in unserer Gesellschaft. Wie oft sagen wir: "Mit denen setzen wir uns nicht auseinander - die kapieren es eh nicht!" In der Kirchengemeinde funktionieren solche Pauschalurteile nicht. Das ist doch großartig! Davon abgesehen, tun in den Gemeinden viele Menschen Gutes. Das wird allzu leicht übersehen und abgewertet.
KNA: Sie selbst sind viel in der Welt der Mode unterwegs, die eher auf den äußeren Schein setzt. Haben Sie manchmal Probleme, beide Welten, die berufliche und die private, unter einen Hut zu bringen?
Prüfer: Beides gehört ja zu mir. Insofern wäre es unsinnig, eine Trennlinie zu ziehen.
KNA: Aber würden Sie denn mit Models und Modeschöpfern ernsthaft über so etwas wie den Glauben reden können?
Prüfer: Natürlich kann man solche Gespräche führen - wenn man es denn wagt. Jeder von uns trägt letzten Endes dieselben Fragen mit sich herum. Das eigentlich Absurde ist, dass wir so selten darüber sprechen. Meiner Erfahrung nach verlaufen solche Unterhaltungen fast immer interessant. Man kann nicht oberflächlich über den Glauben sprechen. Und jeder glaubt an irgendetwas: an Gott, eine positive Energie, an das Universum oder an bestimmte Werte. Dazu müssen wir uns in Bezug setzen. Denn was wir mit den Fingern greifen können, ist schnell auserzählt.
KNA: Wohin gehen wir? Was wird aus uns, was bleibt?
Prüfer (zögert): Eine schwierige Frage. Zuerst einmal denke ich, liegt es an uns selber, was von uns bleibt, wie wir in den Erinnerungen anderer Menschen fortleben. Wohin wir gehen? Das wissen wir nicht, das bleibt Sache des Glaubens. Letztlich kann man das Leben aus zwei Blickwinkeln heraus betrachten. Entweder hat alles keinen Sinn, ist chaotisch und deprimierend. Oder es gibt einen Sinn, auch wenn wir den nicht unbedingt begriffen haben.
KNA: Sie scheinen Variante Zwei zu bevorzugen.
Prüfer: Angesichts dieser beiden Alternativen ist für mich klar, welche ich wähle.
Das Intervie führte Joachim Heinz.