KNA: Rabbiner Goldstein, der gegenwärtige Streit um die mögliche Rückgabe des Abendmahlssaales in christlichen Besitz scheint nicht immer auf Fakten zu beruhen. Welche Informationen haben Sie zum Stand der Verhandlungen?
Rabbiner Abraham Goldstein, Leiter der Diaspora-Jeschiwa (Talmud-Hochschule): Nach meinen Informationen geht es darum, Christen die Nutzung des oberen Raumes für Messen und andere Zeremonien zuzusprechen. Es handelt sich bei dem Gebäude um das einzige Gebäude weltweit, das alle drei Religionen vereint. Ursprünglich war es eine Synagoge, die dann in eine Kirche umgewandelt wurde, und dann gab es eine muslimische Periode. Wenn der Saal wieder zu einer Kirche wird, bedeutet das für uns als Juden aber, dass es uns nach jüdischem Religionsrecht verboten ist, in dem darunter befindlichen Davidsgrab zu beten.
KNA: Bereits jetzt wird der Abendmahlssaal mindestens zweimal im Jahr für offizielle christliche Feiern genutzt. Täglich kommen Pilger, die in ihm beten und singen.
Goldstein: Das Singen und Beten ist kein Problem für uns, aber wenn dort Messen gefeiert werden, wird der Ort eine Kirche.
KNA: Schon Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Besuch eine Messe dort gefeiert.
Goldstein: Wenn das einmal vorkommt und wenn es nichts Offizielles ist, dann berührt uns das nicht. Wenn es aber offiziell wird, dann haben wir unter jüdischem Recht ein Problem. Das ist die Situation heute.
KNA: Wäre kein Kompromiss denkbar?
Goldstein: Wir haben hier ein Gebäude, das die ganze Welt teilen kann. Darin liegt die Schönheit. Es herrscht Frieden, warum sollten wir ihn brechen? Ist das die Botschaft des Papstes an die Welt: den Frieden zu brechen? Zurück zu 700 Jahren Geschichte des Kämpfens, Tötens und der Kontrolle der ganzen Welt, ist das die Botschaft? Oder will der Papst Liebe und Frieden? Ich sage: Lasst uns den Frieden erhalten. Bis jetzt konnten wir den Status quo erhalten. Warum sollten wir ihn jetzt brechen? Jeder ist hier willkommen.
KNA: Ist es nicht verständlich, dass auch Christen dieser Ort sehr wichtig ist für ihren Glauben?
Goldstein: Richtig. Aber was ist mit dem Frieden? Ich denke, wenn der Papst für Liebe und Frieden steht, sollte er sagen: Behaltet die Stätte. Die Schönheit einer Person liegt im Geben, und für Frieden sollte man alles geben. Wer in ein jüdisches Land kommt, sollte das jüdische Volk respektieren. Wir heißen den Papst willkommen. Es ist eine Ehre für Israel, dass er hierherkommt. Aber bei allem müssen wir den Frieden erhalten.
KNA: Wenn nun der Staat Israel und der Vatikan zu einer Einigung kämen, die eine Änderung des Status quo mit sich brächte, würden Sie weiterhin hier beten?
Goldstein: Diese Frage müssen wir an höhere jüdische Autoritäten stellen. Der Staat Israel ist kein religiöser Staat, auch wenn er sich jüdisch nennt. Wir respektieren den Staat, aber Respekt muss immer auf Gegenseitigkeit beruhen. Wir haben ein jüdisches Recht, und das kann nicht geändert werden.
KNA: Rein technisch gesprochen könnte der Staat aber den Status quo verändern. Wären in diesem Fall größere Proteste zu erwarten?
Goldstein: Wir glauben, dass Israel Frieden will. Jeder weiß das. Schauen Sie nach Syrien. Da gibt es keinen Frieden, schauen Sie in die Ukraine. Wir wollen Frieden, wir beten jeden Tag für diesen Frieden. Dies ist, was König David und das jüdische Recht sagen. Wir wollen Frieden, keine Probleme. Wir wollen alle lieben und mit allen teilen, und wir werden entsprechend unser Bestes tun, um Frieden zu halten.
KNA: Israel steht derzeit vor dem wachsenden Phänomen der sogenannten Price-Tag-Übergriffe gegen Christen und Muslime, die von einigen mit dem Streit um den Zion in Verbindung gebracht werden. Gibt es diese Verbindung?
Goldstein: Wir sind gegen diese Übergriffe. Nach jüdischem Recht sind sie verboten; dies ist nicht die jüdische Art. Wir beten, und wie ich gesagt habe: Wir wollen Frieden, das bedeutet Akzeptanz und Teilen. Wir haben nichts mit diesen Leuten zu tun!
KNA: Werden Sie Papst Franziskus bei seinem Besuch treffen, um ihm die Problematik um den Zion persönlich zu erörtern?
Goldstein: Ich will mich nicht mit Politik und Konflikten befassen. Ich denke gut über ihn, er denkt gut über mich, warum sollten wir das zerstören? Wenn wir uns treffen und reden, könnten die Dinge schlechter werden, weil wir verschiedene Ansichten haben.
Das Interview führte Andrea Krogmann.