Rabbinerkonferenz-Präsident mit Karlspreis geehrt

Zeichen gegen Antisemitismus

Der Internationale Karlspreis ging in diesem Jahr an Pinchas Goldschmidt, den Vorsitzenden der Europäischen Rabbinerkonferenz. Die Laudatio hielt Robert Habeck. Aachens Bischof Helmut Dieser warnte vor zunehmendem Judenhass.

Verleihung des Internationalen Karlspreises / © Henning Kaiser (dpa)
Verleihung des Internationalen Karlspreises / © Henning Kaiser ( dpa )
Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, bei der Verleihung des Internationalen Karlspreis zu Aachen  / ©  Henning Kaiser (dpa)
Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, bei der Verleihung des Internationalen Karlspreis zu Aachen / © Henning Kaiser ( dpa )

Der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), Pinchas Goldschmidt (60), ist am Donnerstag in Aachen mit dem Internationalen Karlspreis geehrt worden. Der frühere Oberrabbiner von Moskau setze sich "für den Frieden, die Selbstbestimmung der Völker und die europäischen Werte, für Toleranz, Pluralismus und Verständigung" ein, hieß es zur Begründung. Zudem engagiere er sich für den interreligiösen Dialog zwischen Juden und Christen sowie zwischen Juden und Muslimen, so das Karlspreisdirektorium. Gemeinsam mit Goldschmidt erhielten auch die jüdischen Gemeinschaften in Europa die Auszeichnung.

Dankesrede: "Jüdisches Leben nicht selbstverständlich"

Der Karlspreis für ihn und für alle jüdischen Gemeinschaften sei "eine Ermutigung in einer herausfordernden Zeit", sagte er bei seiner Dankrede. 

Der Karlspreis sei eine Auszeichnung, die verpflichte, mahnte der Rabbiner. In der Begründung für die Preisverleihung heiße es, man wolle das Signal setzen, dass jüdisches Leben selbstverständlich zu Europa gehöre und dort kein Platz für Antisemitismus sein dürfe: "Das klingt märchenhaft. Leider ist das Gegenteil ist der Fall. Jüdisches Leben ist eben nicht selbstverständlich, und in Europa ist viel Platz für Antisemitismus."

Judenhass sei nie tot gewesen: "Aber seit dem islamistischen Pogrom in Israel am 7. Oktober 2023 ist er in einer Art und Weise entfacht, die die Sicherheit und Freiheit jüdischen Lebens - gerade auch in Europa - ernsthaft bedroht." Und was dagegen getan werde, reiche bei weitem nicht: "Jüdisches Leben, von der Kita bis zum Seniorenheim, kann nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Judenhass tobt sich auf den Straßen aus, bei Demonstrationen, auf denen offen zum Mord an Juden aufgerufen wird."

Es waren Demonstration angemeldet worden – unter anderem zum Thema "Auch die Stimme Palästinas muss gehört werden". Aus Sicht der Polizei hat es zunächst keinerlei Probleme rund um die Verleihung des Internationalen Karlspreises gegeben.

Juden in Angst - für sich, ihre Kinder und Enkel

Während der Verleihung des Karlspreises nehmen Menschen an einer Demonstration zum Thema "Auch die Stimme Palästinas muss gehört werden" teil / © Benjamin Westhoff (shutterstock)
Während der Verleihung des Karlspreises nehmen Menschen an einer Demonstration zum Thema "Auch die Stimme Palästinas muss gehört werden" teil / © Benjamin Westhoff ( shutterstock )

Auch an den Universitäten gebe es "hochgebildete Antisemiten, die den jüdischen Kommilitonen die Luft zum Atmen nehmen". Jüdische Menschen trauten sich nicht, als jüdisch erkennbar zu sein. Sie lebten in Angst und bangten um ihre Zukunft - für sich, ihre Kinder und Enkel: "Dem müssen Sie, meine Damen und Herren, etwas entgegensetzen. Die jüdische Gemeinschaft kann es nicht und es ist auch nicht ihre Aufgabe. Es ist die Aufgabe ihrer Heimatländer und Heimatgesellschaften sich gegen die Feinde der europäischen Werte zu erwehren."

Antisemitismus müsse in all seinen Formen erkannt, benannt und bekämpft werden. Dazu gehöre die uralte rassistische rechtsradikale Gestalt, aber der Judenhass komme auch als "Antizionismus" und "Israelkritik" vor und sickere in Disziplinen wie Postcolonial Studies ein.

Am Ende einigten sich die Radikalen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Judenhass, kritisierte Goldschmidt weiter: "Oder eben: den Hass auf Israel - paradoxerweise die einzige Demokratie im Nahen Osten, die an vorderster Front für die westlichen Werte kämpft."

Kritik an Israel und Forderungen an die Hamas

Auch er habe Probleme mit der heutigen israelischen Regierung, fügte er hinzu - und "auch mich lassen die Bilder aus dem Gazastreifen nicht kalt, wie könnten sie"? Aber es sei doch offensichtlich: "Die Hamas hat den Krieg begonnen. Und sie könnte ihn sofort beenden. Indem sie die Geiseln freilässt, die Waffen streckt und ihrem eigenen Volk ein echtes Leben ermöglicht."

Antisemitismus sei nicht zuerst das Problem der Juden, sondern das Problem der Gesellschaften, in denen er herrsche: "Er ist ein Seismograf für ihren Zustand. Extremismus von rechts und links und insbesondere der radikale politische Islam - die Pervertierung einer Religion - gefährden nicht nur das jüdische Europa. Sie bedrohen die Sicherheit, die Freiheit, ja die Zukunft ganz Europas."

Alle freiheitsliebenden Demokratinnen und Demokraten müssten endlich wehrhaft werden - nach außen und nach innen, forderte Goldschmidt zum Schluss: "Wann, frage ich Sie, soll 'nie wieder' sein, wenn nicht jetzt?"

Habeck lobt Amtsniederlegung in Russland

Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen  / © Henning Kaiser (dpa)
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen / © Henning Kaiser ( dpa )

In seiner Laudatio lobte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) im Krönungssaal des Aachener Rathauses die Entscheidung Goldschmidts, 2022 Putins Russland zu verlassen, um so gegen die Gewalt gegen die Freiheit in der Ukraine zu protestieren. "Es zeugt von Ihrem tiefen historischen Gerechtigkeitssinn", so der Bundeswirtschaftsminister.

Mit dem Karlspreis an Goldschmidt setzt die Jury laut Habeck überdies auch ein Zeichen gegen Antisemitismus - und "dafür, dass jüdisches Denken und jüdisches Leben Europa reicher macht". Zudem setze er sich als Mitgründer des europäischen Muslim-Jewish-Leadership Council für eine besseres wechselseitiges Verständnis zwischen den rund 1,5 Millionen Juden und den über 40 Millionen Muslimen in Europa ein.

Bischof Dieser: Einsatz gegen alle Formen von Judenhass

Bei einem Gottesdienst vor der Karlspreis-Verleihung sagte der Aachener katholische Bischof Helmut Dieser, Goldschmidt stehe für ein demokratisches, freies und friedfertiges Europa. Mit dem Karlspreis für ihn und alle jüdischen Gemeinschaften in Europa werde hervorgehoben, dass Europa rechtsstaatlich sei und Raum für religiöse wie kulturelle Freiheit biete. Er rief außerdem dazu auf, allen Formen von Judenhass entschieden entgegenzutreten - auch an der Wahlurne.

"Als Angehöriger des Volkes, das für die Schoah, den systematischen Massenmord an sechs Millionen jüdischen Menschen in Europa, verantwortlich ist, empöre ich mich zutiefst darüber und rufe alle Landsleute auf, niemals mehr Antisemitismus unwidersprochen zu lassen oder gar die zu wählen, die sich nicht überzeugend davon distanzieren", sagte er in seiner Predigt im Aachener Dom.

 "Antisemitismus niemals unwidersprochen lassen" 

Bischof Dieser (DR)
Bischof Dieser / ( DR )

Umso mehr freue er sich, "dass der Internationale Karlspreis 2024 an Pinchas Goldschmidt und die jüdischen Gemeinschaften in Europa dagegen ein unübersehbares Zeichen setzt", fügte der Bischof hinzu.

Goldschmidt war viele Jahre Oberrabbiner in Moskau und ist Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER). Weil er den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine immer wieder verurteilte, verließ er 2022 die russische Hauptstadt. Mit ihm zusammen werden alle jüdischen Gemeinschaften in Europa ausgezeichnet.

"Universale Berufung Israels" 

Bischof Dieser ergänzte in seiner Predigt: "Jesus von Nazareth, zu dem wir Christen uns bekennen, war Jude, seine ersten Anhänger, die seinen Namen weit über Israel hinaustrugen, ebenfalls." Als Christ glaube er, dass Gott in dem Juden Jesus und seinem Lebenswerk und im Wirken seines Heiligen Geistes diese universale Berufung Israels geschichtlich unwiderruflich wahrmache. "Ich bin überzeugt: Darin liegen die Grundlagen der tiefsten und weitreichendsten menschlichen Hoffnung", unterstrich der Bischof: "Alles, was uns als Einzelne bedroht, alles, was unser Zusammenleben vergiftet und was zu religiösem oder politischem Extremismus führt, kann dadurch identifiziert und überwunden werden."

Leitung der Europäischen Rabbinerkonferenz

Der 1963 in Zürich geborene Goldschmidt steht seit 2011 der Europäischen Rabbinerkonferenz vor, der rund 800 orthodoxe Rabbiner angehören. Ab 1993 war er Oberrabbiner von Moskau. Weil er den russischen Überfall auf die Ukraine nicht unterstützte, geriet er unter Druck. Deshalb verließ er im März 2022 Moskau und reiste nach Israel aus.

Kohl, Merkel, Selenskyi 

Polizistinnen stehen neben einem Plakat zum Internationalen Karlspreis / © Benjamin Westhoff (dpa)
Polizistinnen stehen neben einem Plakat zum Internationalen Karlspreis / © Benjamin Westhoff ( dpa )

Der Karlspreis wird seit 1950 an Persönlichkeiten und Institutionen vergeben, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Namensgeber ist Kaiser Karl der Große (742-814). Er gilt als erster Einiger Europas und wählte Ende des achten Jahrhunderts Aachen zu seiner Lieblingspfalz. Außer der Urkunde erhalten die Preisträger eine Medaille, die das älteste erhaltene Stadtsiegel Aachens aus dem zwölften Jahrhundert mit Karl dem Großen zeigt.

Bisher erhielten die Auszeichnung unter anderen Francois Mitterrand und Helmut Kohl (1988), Angela Merkel (2008) und Papst Franziskus (2016). Im vergangen Jahr ging sie an den ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyi und das ukrainische Volk.

Karlspreisträger Pinchas Goldschmidt

Er nannte den russischen Angriff auf die Ukraine wiederholt eine Katastrophe. Unterstützen wollte er den Krieg nicht. Zu dem Zeitpunkt war Pinchas Goldschmidt Oberrabbiner von Moskau und seine Haltung riskant. Wegen des Drucks verließ er im März 2022, kurz nach Kriegsbeginn, mit seiner Ehefrau die russische Hauptstadt – nicht zuletzt auch, um seine Gemeinde zu schützen. Seit Juli desselben Jahres ist er auch nicht mehr Oberrabbiner von Moskau.

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, diesjähriger Karlspreisträger, steht auf der Bühne in der Aula der Hochschulverwaltung der RWTH Aachen. Am Vortag der Verleihung spricht der diesjährige Karlspreisträger zu Studierenden. / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, diesjähriger Karlspreisträger, steht auf der Bühne in der Aula der Hochschulverwaltung der RWTH Aachen. Am Vortag der Verleihung spricht der diesjährige Karlspreisträger zu Studierenden. / © Rolf Vennenbernd ( dpa )
Quelle:
dpa , KNA